Am kommenden Wochenende findet in Leipzig ein durch die Initiative „Pogrom 91“ und die Kampagne „Rassismus tötet!“ organisierter „Gedenkkongress“ statt. Dabei soll sich in zahlreichen Vorträgen und Diskussionsrunden mit der bisherigen Gedenk- und Erinnerungspolitik nichtstaatlicher Gruppen an rechte Morde und Gewalttaten auseinandergesetzt werden, um daraus mögliche Schlüsse für das Andenken an die Betroffenen des NSU zu ziehen. Los geht es am Freitag um 19 Uhr im UT Connewitz, wo es die letzten Informationen zu organisatorischen Fragen und das finale Programmheft geben wird, anschließend wird der französische Film „Une vie de lutte – Der Kampf geht weiter“ im Beisein der Macherinnen und Macher gezeigt werden. Eine Übersicht mit dem umfangreichen Programm des dreitägigen Kongresses findet ihr an dieser Stelle.
Was ist Gedenken für euch? Warum ist es wichtig?
Erinnerungspolitik an rechte Morde und Gewalttaten ist oft verbunden mit dem Kampf gegen die Verdrängung und Relativierung der Taten. Denn: Wenn sich ziviligesellschaftliche, antifaschistische und antirassistische Initiativen nicht dieser Themen annehmen, geraten die Opfer rechter Gewalt in Vergessenheit.
Wir stehen für ein aktives Gedenken, also eine Erinnerungspolitik, die nicht nur die Vergangenheit aufarbeitet sondern auch in die Gegenwart wirkt. Denn die Ideologien wie z.B. Rassismus, welche rechte Mörder oder rassistische Mobs wie in Hoyerswerda und Rostock zu ihren Taten motivieren sind gesamtgesellschaftliche Probleme, die immer aktuell bleiben und denen sich dementsprechend breit entgegengestellt werden muss. Die dem zugrunde liegenden Motive und Umstände rechter Gewalttaten unterscheiden sich zwar von Fall zu Fall in gewissen Aspekten – ihre menschenverachtenden Folgen bleiben jedoch bis heute tödlich. Deshalb ist in der Gedenk- und Erinnerungspolitik ein deutlicher Bezug in die Gegenwart stets notwendig.
Die konkrete Gestaltung der praktischen Erinnerungsarbeit ist sehr vielschichtig, da wollen und können wir auch gar nicht festlegen, welches nun das richtige oder falsche Format ist. Auf dem Gedenkkongress wird es die Möglichkeit geben, Einblicke in die Arbeit vieler verschiedener Erinnerungsinitiativen zu erhalten, die mit unterschiedlichen Ansätzen arbeiten. Ausgehend davon kann dann diskutiert werden, welche Formen Sinn machen oder nicht, so gibt es z.B. einen Vortrag zur Frage, ob die klassische Forderung nach einem Denkmal an den Tatorten rechter Gewalttaten wirklich Sinn macht?
Warum macht ihr das?
Wir finden die Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig, gerade auch um im hier und jetzt für Veränderungen der bestehenden Verhältnisse zu sorgen. Desweiteren wollen wir den Betroffenen rechter Gewalt gedenken und ihre Angehörigen dabei unterstützen, ihren Positionen Gehör zu verschaffen. Viel zu oft wird sich fast ausschließlich auf die Täterinnen und Täter fokussiert.
Was erhofft ihr euch davon?
Wir erhoffen uns eine Vernetzung der vielen zivilgesellschaftlichen, antifaschistischen und antirassistischen Gedenkinitiativen, die in Deutschland aktiv sind, eine Auseinandersetzung zu gemeinsamen Problemen aber auch Erfolge in der Gedenk-und Erinnerungsarbeit.
Viele Gruppen arbeiten dabei oft „nur“ im lokalen Rahmen, denn Erinnerungsarbeit ist oft im direkten Umfeld des Tatorts am wirksamsten. Allerdings ist für die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Strukturen eine bundesweite Perspektive wichtig. Deshalb haben wir zu dem Kongress Gruppen aus ganz Deutschland eingeladen, wie z.B. das Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“, in dem auch die bekannte Gruppe „Keupstraße ist überall“ organisiert ist. Außerdem wurden die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ aus Berlin, die Initiative „Mord verjährt nicht!“ in Erinnerung an den vom NSU ermordeten Mehmet Turgut aus Rostock und viele weitere eingeladen.
Natürlich soll es dabei auch darum gehen, voneinander zu lernen, Eindrücke zu sammeln, um im besten Fall mit neuen Ideen nach dem Kongress die eigene Arbeit wieder aufzunehmen. Deshalb war es für uns wichtig, auch Initiativen einzuladen, die sich mit der Aufarbeitung des NSU befassen. Wir wollen diese gern mit anderen Gruppen zusammenbringen, die auf viele Jahre Erfahrung in der Erinnerungspolitik zurückgreifen können. Denn die Opfer des Nationalsozialistischen Untergrund werden nach dem Ende des Gerichtsprozesses in München mehr und mehr in Vergessenheit geraten – genau wie andere Betroffene rechter Gewalt auch. Das kann nur durch die Intervention ziviligesellschaftlicher, antirassistischer und antifaschistischer Gruppen verhindert werden. Deshalb ist der NSU auch ein Schwerpunktthema auf dem Gedenkkongress.
Wer soll damit angesprochen werden? Warum wurde dieser Rahmen als Form der Auseinandersetzung gewählt?
Wir wollen mit dem Kongress zunächst jene erreichen, die sich praktisch mit Erinnerungspolitik an rechte Morde und Gewalttaten auseinandersetzen. Deshalb sind zahlreiche verschiedene Erinnerungsinitiativen aus dem ganz Deutschland im Programm des Kongresses vertreten. Es sind natürlich auch alle anderen antifaschstisch und antirassistisch Interessierten eingeladen, den Kongress zu besuchen und mit uns zu diskutieren.
Wir haben uns dafür entschieden, einen Kongress zu organisieren, weil wir schnell gemerkt haben, dass eine ursprünglich geplante eintägige Veranstaltung nicht ausreichend ist, eine Konferenz über drei Tage dagegen eine wesentlich intensivere Auseinandersetzung und Vernetzung ermöglicht.
Wieso wurde Leipzig als Veranstaltungsort gewählt und nicht etwa Städte wie Hoyerswerda, Zwickau oder Dresden?
Der Kongress wird vor allem von „Rassismus tötet!“ Leipzig mitorganisiert, deshalb lag es nahe, ihn auch in Leipzig zu veranstalten, denn um eine dreitägige Konferenz mit zum Teil mehreren parallel laufenden Veranstaltungen durchzuführen, braucht es eine gewisse Infrastruktur und viele helfende Hände vor Ort. Leipzig ist zudem im Vergleich zu anderen sächsischen Städten sehr viel besser für Gäste aus ganz Deutschland erreichbar, die z.T. schon jetzt lange Fahrtwegen auf sich nehmen, weil sie von den Rändern der Republik im Süden (Freiburg), Norden (Rostock und Hamburg) und Westen (Saarbrücken) anreisen. Es ist zudem der erste Kongress dieser Art, den wir organisieren. Wenn es eine Fortsetzung geben sollte, dann gern in einer anderen Stadt.
Was hat es mit dem Tribunal „NSU – Komplex auflösen“ auf sich?
Das Tribunal ist eine geplante Aktion des Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“, ein bundesweiter Zusammenschluss von Gruppen und Initiativen, welche sich mit der Aufarbeitung des NSU, der Erinnerung an die Opfer seiner Gewalttaten, der Begleitung der davon Betroffenen und der damit verbundenen Rolle von Staat und Gesellschaft auseinandersetzen. Mit einem „Tribunal“ will das Bündnis eine neue Form der Auseinandersetzung mit dem Thema suchen. Um was es dabei genau geht und wie man sich daran beteiligen kann, erfahrt ihr auf der Veranstaltung dazu am Samstag um 15.15 Uhr im Conne Island.
Zuguterletzt noch die Frage nach den Kosten für die Teilnahme an den Veranstaltungen?
Die Teilnahme am Kongress ist kostenlos. Eine Anmeldung ist nicht notwendig – kommt einfach vorbei. Für Gäste von außerhalb haben wir eine Schlafpatzbörse eingerichtet – bitte schreibt uns zeitnah eine Mail, wenn ihr eine Unterkunft braucht.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!