Ifo-Vizechef Ragnitz fordert Mut zur Integration
Als gebürtiger Niedersachse leben und arbeiten Sie schon seit geraumer Zeit im Osten. Wie wirken die Bilder von den Ausschreitungen in Heidenau auf Sie?
Ich finde das alles erschreckend und schockierend - wie doch wohl jeder
normal denkende Bundesbürger auch. Das hat also nichts mit meiner
Herkunft zu tun. Zwar haben schon die Pegida-Demonstrationen zu Beginn
des Jahres gezeigt, dass es in Teilen Ostdeutschlands latent
fremdenfeindliche Einstellungen gibt, dass diese sich aber in derartigen
Aggressionen niederschlagen und dass vonseiten der Zivilgesellschaft
kaum Protest dagegen zu erkennen ist, hätte ich nicht für möglich
gehalten.
Haben Sie selbst schon Erfahrungen mit rechtem Gedankengut in Ostdeutschland gemacht?
Im weiteren Bekanntenkreis höre ich mitunter ausländerfeindliche
Bemerkungen - zum Glück merkt man relativ schnell, dass diese meist nur
gedankenlos dahin geplappert wurden. Aber ich verfolge natürlich auch
die Kommentarspalten in den Internet-Angeboten der Zeitungen. Was man
dort lesen muss, ist teilweise schon erschütternd. Das ist nicht allein
auf Ostdeutschland beschränkt.
Seit einiger Zeit gehen die Besucherzahlen ausländischer Gäste in
Dresden zurück. Glauben Sie, dass das schon erste Auswirkungen sind auf
Pegida und die Angriffe auf Flüchtlingsheime?
Da kommt sicherlich vieles zusammen. Man darf da wohl keine so
einfachen Kausalitäten konstruieren. Aber unbestritten ist, dass
fremdenfeindliche Meinungsäußerungen und rassistische Übergriffe wie
jetzt in Heidenau und die mediale Berichterstattung darüber sich negativ
auf das Außenbild Dresdens und Sachsens auswirken. Zu befürchten ist,
dass es lange dauern wird, bis sich dieses Bild wieder korrigieren
lässt.
Also wird auch die Wirtschaft in Sachsen unter der Entwicklung langfristig leiden?
Ja, natürlich! Sachsen ist angewiesen auf die Zuwanderung von
Fachkräften, ganz egal, ob diese aus Deutschland oder dem Ausland
kommen. Vor allem die Tochtergesellschaften internationaler Konzerne und
die exzellenten Forschungseinrichtungen in Dresden und seinem Umland
könnten nicht ohne die ausgezeichneten Wissenschaftler und Spezialisten
auch aus dem Ausland bestehen. Und abgesehen davon: Gerade die
Flüchtlinge aus Syrien sind doch in ihrer großen Mehrzahl gut
ausgebildet und könnten dazu beitragen, das drohende
Arbeitskräfteproblem auch in der mittelständischen Wirtschaft zu lösen.
Dafür ist es aber erforderlich, diese Menschen zu integrieren, nicht sie
weiter zu traumatisieren, wie es jetzt geschieht.
Warum gestaltet sich die Integration von Flüchtlingen aus Ländern mit günstiger Bleibeperspektive so schwierig?
Grundsätzlich haben es Zuwanderer aus dem Ausland am sächsischen
Arbeitsmarkt nicht leicht. In vielen Betrieben sind unabhängig von
objektiven Integrationshemmnissen wie Sprachschwierigkeiten oder
Qualifikationsdefiziten die Vorurteile ja immer noch riesengroß. Das
Problem ist aber weiter zu fassen: Integration kann nur gelingen, wenn
man gegenseitiges Vertrauen aufbaut, und hier sind die Akteure der
Zivilgesellschaft auf allen Ebenen gefordert. Leider sehe ich auch
aufseiten der Politik kaum ernsthafte Bemühungen, den notwendigen
Einstellungswandel hin zu mehr Weltoffenheit und Aufnahmebereitschaft
gerade auch gegenüber Zuwanderern aus dem Nahen Osten oder aus Afrika zu
unterstützen.
In Deutschland erfolgt die Verteilung der Asylbewerber nach dem
Königsteiner Schlüssel, wobei je Land das Steueraufkommen zur
Bevölkerungszahl in Bezug gesetzt wird. Ist das der richtige Weg?
Kurzfristig kommt es darauf an, die Asylbewerber menschenwürdig
unterzubringen - das kann nicht nach festgelegten Quoten erfolgen,
sondern muss sich daran orientieren, wo ausreichend Plätze zur Verfügung
stehen. Insoweit habe ich Sympathie für den Vorschlag des
baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, einen
größeren Anteil der Asylsuchenden zunächst hier in Ostdeutschland
unterzubringen. Davon zu trennen ist aber die Frage der Finanzierung.
Diese sollte weiterhin nach Kriterien wie dem Königsteiner Schlüssel
erfolgen. Besser noch wäre es aber, wenn der Bund die Kosten übernähme,
denn letzten Endes handelt es sich hierbei ja um eine gesamtstaatliche
Aufgabe.
Interview: Andreas Dunte