"Übergriffe sind negativ für Sachsens Außenbild"

Erstveröffentlicht: 
25.08.2015

Ifo-Vizechef Ragnitz fordert Mut zur Integration

 

Als gebürtiger Niedersachse leben und arbeiten Sie schon seit geraumer Zeit im Osten. Wie wirken die Bilder von den Ausschreitungen in Heidenau auf Sie?

 
Ich finde das alles erschreckend und schockierend - wie doch wohl jeder normal denkende Bundesbürger auch. Das hat also nichts mit meiner Herkunft zu tun. Zwar haben schon die Pegida-Demonstrationen zu Beginn des Jahres gezeigt, dass es in Teilen Ostdeutschlands latent fremdenfeindliche Einstellungen gibt, dass diese sich aber in derartigen Aggressionen niederschlagen und dass vonseiten der Zivilgesellschaft kaum Protest dagegen zu erkennen ist, hätte ich nicht für möglich gehalten.


Haben Sie selbst schon Erfahrungen mit rechtem Gedankengut in Ostdeutschland gemacht?

 
Im weiteren Bekanntenkreis höre ich mitunter ausländerfeindliche Bemerkungen - zum Glück merkt man relativ schnell, dass diese meist nur gedankenlos dahin geplappert wurden. Aber ich verfolge natürlich auch die Kommentarspalten in den Internet-Angeboten der Zeitungen. Was man dort lesen muss, ist teilweise schon erschütternd. Das ist nicht allein auf Ostdeutschland beschränkt.


Seit einiger Zeit gehen die Besucherzahlen ausländischer Gäste in Dresden zurück. Glauben Sie, dass das schon erste Auswirkungen sind auf Pegida und die Angriffe auf Flüchtlingsheime?


Da kommt sicherlich vieles zusammen. Man darf da wohl keine so einfachen Kausalitäten konstruieren. Aber unbestritten ist, dass fremdenfeindliche Meinungsäußerungen und rassistische Übergriffe wie jetzt in Heidenau und die mediale Berichterstattung darüber sich negativ auf das Außenbild Dresdens und Sachsens auswirken. Zu befürchten ist, dass es lange dauern wird, bis sich dieses Bild wieder korrigieren lässt.


Also wird auch die Wirtschaft in Sachsen unter der Entwicklung langfristig leiden?


Ja, natürlich! Sachsen ist angewiesen auf die Zuwanderung von Fachkräften, ganz egal, ob diese aus Deutschland oder dem Ausland kommen. Vor allem die Tochtergesellschaften internationaler Konzerne und die exzellenten Forschungseinrichtungen in Dresden und seinem Umland könnten nicht ohne die ausgezeichneten Wissenschaftler und Spezialisten auch aus dem Ausland bestehen. Und abgesehen davon: Gerade die Flüchtlinge aus Syrien sind doch in ihrer großen Mehrzahl gut ausgebildet und könnten dazu beitragen, das drohende Arbeitskräfteproblem auch in der mittelständischen Wirtschaft zu lösen. Dafür ist es aber erforderlich, diese Menschen zu integrieren, nicht sie weiter zu traumatisieren, wie es jetzt geschieht.


Warum gestaltet sich die Integration von Flüchtlingen aus Ländern mit günstiger Bleibeperspektive so schwierig?


Grundsätzlich haben es Zuwanderer aus dem Ausland am sächsischen Arbeitsmarkt nicht leicht. In vielen Betrieben sind unabhängig von objektiven Integrationshemmnissen wie Sprachschwierigkeiten oder Qualifikationsdefiziten die Vorurteile ja immer noch riesengroß. Das Problem ist aber weiter zu fassen: Integration kann nur gelingen, wenn man gegenseitiges Vertrauen aufbaut, und hier sind die Akteure der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen gefordert. Leider sehe ich auch aufseiten der Politik kaum ernsthafte Bemühungen, den notwendigen Einstellungswandel hin zu mehr Weltoffenheit und Aufnahmebereitschaft gerade auch gegenüber Zuwanderern aus dem Nahen Osten oder aus Afrika zu unterstützen.


In Deutschland erfolgt die Verteilung der Asylbewerber nach dem Königsteiner Schlüssel, wobei je Land das Steueraufkommen zur Bevölkerungszahl in Bezug gesetzt wird. Ist das der richtige Weg?


Kurzfristig kommt es darauf an, die Asylbewerber menschenwürdig unterzubringen - das kann nicht nach festgelegten Quoten erfolgen, sondern muss sich daran orientieren, wo ausreichend Plätze zur Verfügung stehen. Insoweit habe ich Sympathie für den Vorschlag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, einen größeren Anteil der Asylsuchenden zunächst hier in Ostdeutschland unterzubringen. Davon zu trennen ist aber die Frage der Finanzierung. Diese sollte weiterhin nach Kriterien wie dem Königsteiner Schlüssel erfolgen. Besser noch wäre es aber, wenn der Bund die Kosten übernähme, denn letzten Endes handelt es sich hierbei ja um eine gesamtstaatliche Aufgabe.
Interview: Andreas Dunte