Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und Libyen warten in Ostsachsen auf ihre Anerkennung
Von J[rgen Kochinke
Bautzen/Dresden. Seit Monaten kommt beim Thema Asyl von Politiker-Seite
stets ein und derselbe Satz: Die Bearbeitungsfristen sollten verkürzt
werden. Damit könnten Asylbewerber aus dem Balkan schnell abgeschoben
und solche aus Bürgerkriegsgebieten noch schneller anerkannt werden -
Syrer vor allem. Denn diese haben eine Anerkennungsquote von nahezu 100
Prozent. Eigentlich eine einfache Übung, sollte man meinen. Doch die
Realität in Sachsen sieht anders aus. Flüchtlinge aus Syrien, selbst die
mit vorhandenen Papieren, hängen viele Monate in einer Art
Warteschleife, dürfen keine Integrationskurse besuchen und zum Teil noch
nicht einmal einen Deutsch-Kurs. Gleichzeitig belegen diese völlig
unnötig die Heime im Land, während ständig weitere Asylbewerber
ankommen. Wir haben mehrere Betroffene gesprochen, die es in die Region
Bautzen verschlagen hat. Was sie von dort zu berichten haben, sind trübe
Geschichten - wie aus Absurdistan.
Flucht vor dem Krieg
Eine ist die von Salman Selim, einem 22-jährigen syrischen Kurden, den
es heftig erwischt hat. Selim musste seine Heimat verlassen, weil er
nicht als Soldat im Mehr-Fronten-Krieg zwischen Terror-Regime und
verschiedenen islamistischen Terror-Gruppen verheizt werden wollte.
Flucht oder wahrscheinlicher Tod - das war die Alternative. Er wählte
die erste Variante. Doch vor der Flucht wurden 10000 Euro für Schlepper
fällig. Dann war er monatelang unterwegs - eine Extremsituation, die mit
der Ankunft im bayrischen Passau endete. Es folgten Stationen in
München, Chemnitz und Schneeberg sowie schließlich ein Dorf in
Ostsachsen. All das ist zehn Monate her, anerkannt aber ist Selim bis
heute nicht.
Doch das ist noch nicht die ganze bittere Geschichte über den
Bürgerkrieg in Syrien und das Bürokratie-Versagen hier. Beispiel Nummer
1: Bis das formale Verfahren für Selim überhaupt eröffnet wurde, verging
rund ein halbes Jahr. In der Regel soll das innerhalb von wenigen
Wochen geschehen. So aber wurde es eine lange Zeit, in der Selim, der
Integrationswillige mit der nahezu 100-prozentigen Bleibeperspektive,
nichts tun konnte außer warten. Und in der 10000 neue Asylbewerber nach
Sachsen kamen mit all den bekannten Folgen - von überfüllten Heimen bis
zu Versorgungsengpässen. Das gesamte System platzt aus den Nähten, doch
Selim hängt wider alle Vernunft in ihm fest.
Beim Thema Bürokratie-Versagen aber kommt noch eine weitere Facette
hinzu. Bis heute wird Selim vom zuständigen Amt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) mit Sitz in Chemnitz unter falschem Vornamen geführt -
Salam statt Salman, wie er richtig heißt. Das verkompliziert die Sache
zusätzlich, und es macht ihn mürbe. "Mein halbes Leben ist weg mit
Stress in Syrien", meint er, in gebrochenem Deutsch zwar, aber immerhin.
"In Syrien hatte ich keinen Pass, den bekam ich erst für den Krieg. Und
nun habe ich wieder keinen."
Was er damit meint, liegt angesichts seiner Lage auf der Hand. Es ist
die Perspektivlosigkeit, die ihn wurmt, das ungute Gefühl, sein Leben
nicht selbst in die Hände nehmen zu dürfen. Arbeiten will er, der in
Syrien jahrelang Autolackierer war, sein syrischer Pass liegt seit
Januar bei den Behörden im Schreibtisch. In seinem Fall müsste die
Anerkennung eine Frage von wenigen Tagen sein, ohne persönliche
Anhörung, reine Formsache. Doch das BAMF gibt sich zäh, seit Monaten tut
sich nichts.
Das Schicksal von Selim ist kein Einzelfall, es geht noch absurder.
Khaled Dhamen ist das beste Beispiel dafür. Der ist Syrer wie Selim,
zudem aber auch ein heiß begehrter Spezialist. Arzt ist Dhamen, ein
Chirurg mit dem Schwerpunkt Orthopädie. Die Kliniken in Sachsen dürften
sich - Stichwort Ärztemangel - um ihn reißen. Letztlich scheint das
alles aber kaum eine Rolle zu spielen. Geschlagene neun Monate musste
der 27-Jährige auf seine Anerkennung warten, durfte in dieser Zeit noch
nicht einmal einen Sprach-Kurs belegen, weil studierte Asylbewerber zu
diesen Kursen keinen Zugang haben - Absurdistan eben. Dhamen aber hat
Deutsch trotzdem gelernt, auf eigene Rechnung und dank eines kulanten
Bildungsträgers.
Das ist bei Samira und Djaser Alsafouri nicht der Fall. Die beiden, ein
Ehepaar aus Libyen, sind ebenfalls in einem Dorf im Ostsächsischen
gestrandet. Seit neun Monaten leben sie nun in Deutschland, Pässe sind
vorhanden, eine Anerkennung gibt es bis heute trotzdem nicht. Dabei tobt
auch in Libyen ein Bürgerkrieg, es gibt eine Reisewarnung des
Auswärtigen Amtes, die Terrororganisation IS treibt ihr Unwesen so wie
in Syrien. Die Anerkennung als Asylberechtigte, die sogenannte
Bleibeperspektive, dürfte auch hier kein Problem sein. Ist sie aber,
sagen Samira und Djaser Alsafouri mit Hilfe eines Dolmetschers.
Begründung vom Amt: keine.
Zum Nichtstun verdammt
Für die beiden ist das eine enorme Belastung. "Deutschland ist sehr
schön", sagt Samira Alsafouri. "Wir wollen arbeiten, sind aber
enttäuscht." Grund dafür ist, dass sie zum Nichtstun verdammt sind. Er
ist ein 64-jähriger Automechaniker, sie ist 57 und Kuchenbäcker. Doch
beides geht derzeit nicht. "Wir sind wie weggesperrt", meint die Frau,
und er sagt: "Früher habe ich den ganzen Tag gearbeitet, jetzt aber
sitze ich nur drin." Und wohin sollten sie auch gehen, wo selbst der
nächste Einkaufsladen schon zwei Kilometer entfernt liegt. Erschwert
wird das Ganze, weil ihnen Deutsch-Kurse aus Altersgründen verwehrt
sind, Integrationskurse gibt es vor der Anerkennung sowieso nicht.
Dieses Schicksal teilen Samira und Djaser Alsafouri mit Selim aus
Syrien, auch er hat keine Chance auf Integration. Aber immerhin durfte
er schon mal die Vorbereitungsklasse "Deutsch als Zweitsprache" in einer
Berufsschule in Bautzen besuchen. Täglich zwölf Kilometer hin mit dem
Fahrrad und wieder zwölf Kilometer zurück - ein langer Weg, aber nicht
das Problem, sagt er. Das bestehe eher in der Sinnlosigkeit. Was bleibt,
ist ein doppeltes Gefühl: Frust über das (Nicht-) Handeln der Behörden,
und die Hoffnung, dass es am Ende doch irgendwann klappt.