Alles erst mal "soweit in geordneten Bahnen"

Erstveröffentlicht: 
17.08.2015

Erstes Wochenende für Flüchtlinge im Interim Ernst-Grube-Halle / Ab Dienstag Sichtschutzwände zwischen den Liegen

 

VON ANGELIKA RAULIEN


Radelnde Ausflügler entlang des Elsterflutbeckens. Vereinzelt ein neugieriger Blick gen Westeingang der Ernst-Grube-Halle auf dem Uni-Sportcampus an der Jahnallee, wo ein kleiner Trupp Securitas-Sicherheitsleute in gelb-schwarzen Westen den Eingang hütet: Eine wohltuende sonntägliche Vormittagsruhe lag da gestern über dem Areal. Nachdem zig Hilfskräfte am Freitag in einer Holterdipolter-Aktion die Ankunft erster Flüchtlinge aus dem Erstaufnahmelager Chemnitz - vorwiegend Männer, aber auch Frauen und Kinder - vorzubereiten hatten, hat sich die Hektik nunmehr gelegt.


Gleich im Hallen-Foyer stehen auf einer Bierzeltgarnitur Wasser, Saft und Tee bereit. Zeichenblockblätter, notdürftig per Hand auf Arabisch, Englisch und in einigen weiteren Sprachen beschrieben und an Säulen wie Glaswände geklebt, weisen den Ankömmlingen den Weg. "Zum Aufenthaltsraum" etwa. Im Aufenthaltsraum, der Grube-Halle selbst - ein Meer von 500 Liegen. Auch wenn eine Privatsphäre unter den Umständen gleich Null ist, wer eine Liege zugewiesen bekommen hat, hat seine paar Habseligkeiten säuberlich darunter oder daneben gepackt. Einige sitzen auf "ihrem Stück Bett", falten wie zum Zeitvertreib immer wieder ihre Sachen neu. Eine Hose, oder - wie beiläufig aufzuschnappen war - das eine gute Hemd, das man bei sich hat, um bei den Behörden in Deutschland ordentlich zu erscheinen.


"Das macht man gern"


"Momentan haben wir 110 Personen hier. Soweit man's überblicken kann, vor allem aus Pakistan, Syrien, dem Irak, Afghanistan und Eritrea", so Kevin Herrmann, der Abschnittsleiter der hiesigen Johanniter, die sich noch am späten Freitagnachmittag bereiterklärt hatten, die Interimsunterkunft vorerst zu betreiben. Der junge Mann sieht müde aus. Schon seit Samstag ist er hier vor Ort. "Das macht man gern", winkt Herrmann das Thema vom Tisch. "Wir sind ständig mit Chemnitz in Kontakt. In der Sekunde wissen wir zwar noch nicht, wann die nächsten Flüchtlinge kommen. Doch wir werden hier noch voll", blickt er auf die jetzt noch vielen freien Liegen.


"Die Zusammenarbeit mit allen Kräften hier läuft beeindruckend gut", zollt derweil Securitas-Niederlassungschef Hardy Tennhardt Respekt. Auch seine Firma war Freitag quasi erst in letzter Minute noch gebeten worden, den Sicherheitsjob in der Grube-Halle zu machen. "Eine sensible Geschichte. Man braucht auf alle Fälle qualifiziertes und motiviertes Personal. Bin schon bisschen stolz, dass man da uns gefragt hat", gibt er zu erkennen. Und einer seiner Mitarbeiter, so im Vorbeigehen, wirft ein: "Es macht so viel aus, wenn du das hier mit einem freundlichen Lächeln machst. Das nehmen die Flüchtlinge so dankbar auf. Naja, und ein bisschen fühlen wir uns ja auch mit als Gastgeber!"


Auf ein Wort schwer zu erwischen an diesem Vormittag ist Abdulaziz Bachouri. Der Arabistik-Student der Leipziger Universität - seine Heimat ist Syrien - ist seit den Morgenstunden vor Ort, gehört zu dem knappen Dutzend Dolmetschern, die ehrenamtlich für ein Minimum an Kommunikation sorgen. "Dass die Flüchtlinge kommen, habe ich in der Vorwoche hier erfahren - ich treibe sonst hier Sport. Klar habe ich gleich meine Hilfe angemeldet", so der 28-Jährige knapp - er ist anderweitig erneut gefragt. Am Nachmittag will er noch rund 30 Flüchtlinge rüber in die Arena zum Erstligisten-Handballspiel begleiten. Die Einladung gab es von den SC-DHfK- Handballern. "Finde das gut", so Bachouri noch fix. "Da kommen die Leute gleich mal raus hier und erleben schon mal ein kleines Stück Integration."


"Fein, dass Malteser und ASB helfen"


Während die Uhrzeiger gen Mittag steuern und die Essenversorgung des Studentenwerkes in der Halle anläuft, ist vor der Halle Johanniter-Regionalvorstand Wieland Keller auszumachen. Er diskutiert mit den Seinen ein Unverständnis. "Die Flüchtlinge hier müssen nun die Tage irgendwie noch mal zurück nach Chemnitz gebracht werden. Zur Registrierung. Behörden arbeiten halt übers Wochenende nicht". Kopfschütteln in der Runde. Ansonsten ist Keller froh, dass seine rund 40 ehrenamtlichen Mitstreiter, seit Freitag im Dreischichtsystem und allesamt Katastrophenschutz-Profis, den Betrieb soweit in "geordnete Bahnen" lenken konnten. "Was schwer hinzukriegen ist. Fein, dass uns Malteser, ASB und unter anderem der Flüchtlingsrat unterstützen." Oder auch Johanniter-Landesverbandsarzt Detlef Brock, der auch gleich Freitagabend herbeigeeilt kam. Ein paar Fälle von Zahnschmerzen und einige kleine Akutsachen galt es bisher zu behandeln. An diesem Sonntag bieten zudem weitere Leipziger Mediziner ihre Hilfe an. Schlimmeren Erkrankungen müsse sich jedoch die Landesdirektion annehmen, sagt Keller. Mit letzterer will er sich am Montag überhaupt noch mal zusammensetzen. (Zumal die Johanniter zum Sonntagnachmittag aus Chemnitz vage Signale ereilen, am späten Abend sei mit weiteren Menschen zu rechnen). "Wir sind gern bereit, alle auch weiterhin zu betreuen. Nur - ehrenamtlich ist das auf Dauer nicht durchzuhalten", sagt Keller.


Als dann Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) eine Visite macht, meint sie: "Das hier ist keine optimale Lösung." Doch Obdachlosigkeit und Zeltstädte ließen sich so eben erst mal vermeiden. Köpping verspricht: "Ab Dienstag wird es hier zunächst zwischen den Liegen einen Sichtschutz geben. Wir drängen zudem darauf, dass die Menschen bald auf Kommunen, Landkreise und kreisfreie Städte verteilt werden."


Von Leipzigs Stadtverwaltung ist übers Wochenende niemand in der Grube-Halle zu entdecken. Ausführlich informiert sich am Sonntag indes beispielsweise Christine Clauß. "Das hier ist mein Wahlkreis und wichtig", so die Leipziger Landtagsabgeordnete (CDU). "Und weil das hier keine einmalige Situation bleiben wird, brauchen wir - ganz schnell - analog zum Asyllenkungsausschuss des Landes auch ein dezentrales, regionales Gremium, wo Land und Stadt zusammenarbeiten müssen", so ihr Fazit.