Die Nazi-Hochburg tief im Westen

Erstveröffentlicht: 
17.08.2015

Rechtsextremisten treten immer selbstbewusster öffentlich auf - in Dortmund gehen sie jetzt sogar mit einem eigenen "Stadtschutz" auf Patrouille

 

Von Carsten Bergmann und Thorsten Fuchs

 

Sie fühlen sich offenbar sehr stark. Selbstbewusst bewegen sich die Männer in den gelben T-Shirts durch die Dortmunder U-Bahn. "Stadtschutz" nennen sie sich, erklären, sie wollten "nur mal nach dem Rechten sehen", fragen Ältere, ob sie sich wirklich sicher fühlen, schüchtern Migranten ein. Sie wollten etwas "gegen die steigende Kriminalität" tun, brüsten sich die selbst ernannten Ordnungshüter. Doch die jungen Männer, die sich als Mischung aus besorgtem Kundenberater und strengem Wachmann inszenieren, sind Mitglieder der Partei "Die Rechte". Unverhohlen demonstrieren die Neonazis ihren Machtanspruch - so zeigen es die Bilder, die sie über Twitter und Facebook verbreiten.


Rechtsextremisten gehen in selbst gebastelten Uniformen Streife - ein PR-Coup, ähnlich wie die "Scharia-Polizei" von Islamisten in Wuppertal im vergangenen Jahr? Oder Zeichen eines neuen Selbstbewusstseins der rechten Szene? Seit einem Jahr schon gehen die Rechten in Dortmund auf Streife - neuerdings auch in Bussen und U-Bahnen. Die Stadt selbst will die Angelegenheit nicht zu hoch hängen. Den Neonazis gehe es mit "rechten Bürgerwehr" vor allem um öffentliche Aufmerksamkeit.


Die Polizei dagegen nimmt die Rechtsextremisten ernst: Man verfolge deren Treiben genau, erklärt Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange. Die Polizei dulde keine Bürgerwehr - schon gar keine rechtsextremistische. Ein Mittel gegen den "Stadtschutz" hat jedoch auch die Polizei nicht. Mit einem Verbot waren die echten Ordnungshüter gescheitert. Ihr Argument, die Rechtsextremisten würden sich uniformieren, wiesen die Richter zurück. Die T-Shirts würden doch eher an Juggesellenabschiede erinnern, erklärten sie. Ernst nehmen klingt anders. Die Justiz scheint sich wenig Sorgen über die Rechtsextremisten zu machen - zu Unrecht, wie Experten meinen.


Die Hemmschwelle, offen seine braune Gesinnung zu demonstrieren, sei jedenfalls massiv gesunken, beobachtet Hajo Funke, Politik-Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Ob bei den ausländerfeindlichen Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen wie zuletzt im sächsischen Freital, bei Drohungen gegen Hoteliers, die Häuser an Asylbewerber vermieten wollen, oder bei den Einschüchterungen ihrer Gegner: Die Rechtsextremisten fühlen sich wieder salonfähig.


In wenigen Städten lässt sich das so deutlich beobachten wie in Dortmund - einer der Hochburgen des Rechtsextremismus in Westdeutschland. Dort sitzen die Neonazis seit einem Jahr sogar im Stadtparlament. Bei den Kommunalwahlen im Mai 2014 holte die Nazi-Partei "Die Rechte", 2012 mitgegründet vom Hamburger Neonazi Christian Worch, einen Sitz. Es zog ein: Siegfried Borchardt, besser bekannt als "SS-Siggi", ein früherer Funktionär der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei. Wobei er in einem Interview einmal sagte, mit dem Namen "SS-Siggi" sei er nicht ganz glücklich - er würde lieber "SA-Siggi" heißen. Aus seinen Nazi-Überzeugungen machte er auch im Stadtrat nie ein Geheimnis, unter anderem verlangte er einmal eine Liste aller in Dortmund lebender Juden. Nach nur zwei Monaten legte Borchardt sein Mandat nieder - und machte den Weg für einen "jüngeren Kameraden" frei, wie es in der Diktion der "Rechten" hieß. Die Neonazis führten das Parlament ganz offen an der Nase herum.


Warum gerade Dortmund, die Arbeiterstadt im sozialdemokratisch dominierten Ruhrgebiet? Arbeitslosigkeit und Abstiegsängste seien es jedenfalls nicht allein, die die Rechtsextremisten hier stark werden ließen. Lange Zeit, meinen Experten, wurde das Problem unterschätzt. "Die Politik hat das Problem anfangs nicht ernst genommen", sagte der Bochumer Sozialwissenschaftler Jan Schedler im Interview mit der "Zeit". Die Stadt, die Polizei, sie alle seien den Neonazis lange Zeit allenfalls halbherzig entgegengetreten. Wird sich schon erledigen, dachte man lange Zeit. Was sich als Irrtum erwies.


Ein ganzes Stadtviertel beanspruchen die Rechtsextremisten inzwischen für sich. Dorstfeld, eine unauffällige Mischung aus Bergbauarchitektur und Wohnblöcken, betrachten Neonazis als "national befreite Zone". Aktivisten sind gezielt dorthin gezogen, und wer sich dort mit seiner Kamera offen als Journalist zu erkennen gibt, macht schnell mit jungen kräftigen Männern Bekanntschaft, die nicht gerade Freunde von Recherchen über ihr Viertel sind.


Im Februar dieses Jahres dann eine weitere Provokation: Rechtsextremisten veröffentlichten Todesanzeigen mit den Namen von Journalisten und anderen bekannten Kritikern. Einer von ihnen war Robert Rutkowski, Mitarbeiter im Büro von Landtagsabgeordneten der Piraten und einer von denen, die sich in Dortmund offen gegen rechts stellen. Sein Haus wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, er wird auf der Straße offen bedroht ("Robert, was willst du hier? Keine Angst vor Angriffen?"), und im Frühjahr fielen sogar Schüsse auf das Büro, in dem er arbeitet. "Das hat schon eine neue Qualität", beklagt Rutkowski. Das sieht Dorothea Moesch ähnlich. Die SPD-Kommunalpolitikerin, Rollstuhlfahrerin, erhielt im Juli ebenfalls anonyme Anrufe, nachdem sie eine Pro-Flüchtlings-Demonstration angemeldet hatte. "Du Hexe, du wirst brennen", drohte jemand.


In Dortmund geht man inzwischen längst engagiert gegen die Rechtsextremisten vor. Die Stadt hat eine Koordinierungsstelle für Vielfalt und Toleranz gegründet, die Polizei hat eine eigene Ermittlungsgruppe gegen Rechtsextremismus eingerichtet. Doch die Neonazis versuchen zurzeit offenbar, Sorgen wegen der anschwellenden Flüchtlingsströme nach Deutschland für sich zu nutzen - und Anschluss an verbreitete ausländerfeindliche Stimmungen zu finden, wie sie etwa Pegida formulierte.


Die rechtsextremistischen Gruppierungen wie die NPD, "Die Rechte" oder auch der "Dritte Weg" machen sich die Flüchtlingsdebatte zunutze, um ihr braunes Gedankengut zu verbreiten, und spielen mit den Ängsten der Bevölkerung. "Der Anlass ist die Herausforderung durch die Flüchtlingswelle. Die Rechtsextreme nutzte rassistische Bekundungen wie bei Pegida, um zu mobilisieren und zuzuspitzen", erklärt der Extremismusforscher Funke. Das erreiche eine völlig neue Qualität, sagt er und belegt es mit den dramatisch angestiegenen Zahlen von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Der Berliner Forscher fürchtet sogar, dass es künftig noch weit mehr gewalttätige Übergriffe geben könnte: "Eine neue Terrorwelle ist nicht mehr ausgeschlossen."


Der selbst ernannte Dortmunder "Stadtschutz" geht solange anscheinend weiter auf "Streife". Auf einem Foto, das die "Rechten" im Netz verbreiteten, posieren zwei Mitglieder auf einem Autobahn-Parkplatz, von dem sie offenbar Schwule vertrieben haben. Es scheint sie niemand daran zu hindern, durchzusetzen, was sie unter Ordnung verstehen.