Rechtsextreme Parteien machen im Internet Stimmung gegen Asylbewerber. Wenn dann Flüchtlingsheime brennen, sagen sie: Wir waren das nicht, aber wir verstehen es.
Wenige Stunden nachdem in der pfälzischen Gemeinde Limburgerhof ein unbewohntes Flüchtlingsheim gebrannt hatte, veröffentlichte die rechtsextreme Partei „Der dritte Weg“ eine Meldung auf ihrer Internetseite. Sie liest sich so: Wir waren es nicht. Aber wir können jeden Deutschen verstehen, der wegen des Asylproblems zu härteren Mitteln greift. Es klang alles ganz einfühlsam: als wäre Brandstiftung nur eine Form des zivilen Ungehorsams.
Das war Anfang Mai. Mittlerweile haben Unbekannte noch mehr Flüchtlingsheime angezündet, und Rechtsextreme haben die Taten im Internet ausgiebig gefeiert. Im Juli brannte im bayerischen Reichertshofen ein Gasthof, in dem Asylbewerber unterkommen sollten. Am nächsten Tag rechtfertigte der bayerische Landesverband der Partei „Die Rechte“ den Anschlag: Auf ihrer Internetseite schrieb sie, die Ängste der Bevölkerung seien nicht ernst genommen worden, nun gebe es dafür die „Quittung“. Sollten „Multikulti-Fanatiker“ ihre „Überfremdungspolitik“ fortsetzen, brenne es bald „im ganzen Land“. Zu dem Text veröffentlichten die Rechtsextremen auch ein Foto: darauf Menschen, die sich in Eintracht vor einer Art Osterfeuer versammeln. Mitglieder der Partei „Der dritte Weg“ nannten die Anschläge auf ihrer Internetseite ganz allgemein „Widerstandshandlungen“ – und Orte, in denen Flüchtlingsheime abgebrannt waren, „asylantenfrei“. Bis heute steht das im Netz. Rechtsextreme haben überall in Deutschland zur Jagd gegen Ausländer geblasen. Meistens sind es kleine Parteien, die bis vor kurzem kaum jemand kannte. Schon in ihren Parteinamen spielen sie sich auf: „Die Rechte“ suggeriert, sie stünde für das gesamte rechte Lager, nicht nur für den äußersten Rand. Und „Der dritte Weg“ soll nach Ansicht der Partei in einen „deutschen Sozialismus“ führen. Dabei hat die Partei, die das will, nur 200 Mitglieder. Sie wurde 2013 von einem ehemaligen NPD-Mann in Heidelberg gegründet – als Angebot für alle, denen die NPD zu soft geworden war. Auch „Die Rechte“ gibt es erst seit 2012. Sie ist vor allem in Nordrhein-Westfalen aktiv und zieht Neonazis aus mehreren verbotenen Kameradschaften an. Verglichen mit der NPD, die etwa 5000 Mitglieder hat, sind beide Parteien ein Witz. Im Netz aber können auch wenige Leute viel Stimmung machen.
Immer weniger Neonazis gehen auf die Straße
Das passt zusammen mit einer Beobachtung aus dem kürzlich erschienenen Verfassungsschutzbericht für 2014: Immer weniger Neonazis gehen auf die Straße. Seit Jahren fällt es ihnen zunehmend schwer, Leute zu mobilisieren. Dafür sind sie im Netz so aktiv wie noch nie. Viele Neonazis kann man deshalb heute nicht mehr daran erkennen, dass sie Bomberjacken tragen und schlechte Rockmusik hören. Man kann sie gar nicht mehr erkennen.
Das hat weitreichende Folgen. Eine Minderheit kann, indem sie penetranter und aggressiver als die Mehrheit ihre Meinung ins Netz schreibt, so tun, als sei diese Meinung mehrheitsfähig. Einfach weil sie überall steht. So wird eine Diskussion emotionalisiert, die dringend Versachlichung braucht. Es beeinflusst aber auch grundsätzlich die Art, wie politische Inhalte diskutiert werden. Natürlich lassen sich die Hetze im Netz und die Anschläge nur schwer verknüpfen. Wenn es schon schwer ist, rechtsextremes Treiben im Netz zu enttarnen, dann ist es ungleich schwieriger, Straftaten im echten Leben aufzudecken. Bisher konnten nur ein Viertel aller Übergriffe auf Asylbewerber im ersten Halbjahr 2015 aufgeklärt werden, sagt das Bundesinnenministerium. Es gibt aber konkrete Hinweise, dass Mitglieder des „Dritten Weges“ an mindestens einem Anschlag beteiligt waren. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt teilte vor wenigen Tagen mit, die Bezüge zum Brandanschlag in Reichertshofen seien „ermittlungsrelevant“. Auch wegen des Brands in Limburgerhof war gegen Mitglieder des „Dritten Weges“ ermittelt worden.
Stimmungsmache im Netz als Nährboden für Gewalt
Jüngst warnte Verfassungsschutzpräsident Maaßen vor der Partei: Durch ihre Stimmungsmache im Netz schaffe sie den Nährboden für Gewalttaten. Die Polizei kann das kaum verhindern. Sie muss sich an die Gesetze des Landes halten, in dem die Server stehen. Weil Rechtsextreme das wissen, melden sie ihre Internetseiten zum Beispiel in den Vereinigten Staaten an. Meinungen, auch noch so abseitige, genießen dort einen hohen Schutz. Nicht einmal Hakenkreuze sind verboten. Wenn die Internetseite im Ausland betrieben wird, muss die Polizei ein Rechtshilfeersuchen an die betreffende Behörde stellen. Das kann dauern. Aber selbst wenn es gelingen sollte, die Kommentare zu löschen, ist das Problem nicht beseitigt. Denn irgendwo taucht die Hetze garantiert wieder auf. Das Internet vergisst nie. Als Mitglieder des „Dritten Weges“ im Juli eine Karte bei Google verbreiteten, auf der alle Flüchtlingsheime in Deutschland verzeichnet waren, protestierten Internetnutzer so lange, bis das Unternehmen die Karte löschte. Einen Tag später war sie unter neuem Namen wieder da.
Meistens verschwindet die Hetze erst gar nicht, denn Rechtsextreme wissen genau, wie sie das Internet für ihre Zwecke nutzen können. Damit ein Kommentar zum Beispiel als Volksverhetzung gilt, muss er strenge Kriterien erfüllen. Er muss unmittelbar zu Gewalt aufrufen und sich gegen eine bestimmte Gruppe richten. Oder er muss diese Gruppe eindeutig verunglimpfen. Ein Facebook-nutzer, der schreibt: „Ausländer raus!“, hat sich damit noch nicht der Volksverhetzung schuldig gemacht. Einer der schreibt: „Die Deutschen sollten endlich zurückschlagen“, auch nicht. Nur einer, der schreibt: „Ausländer raus! Die Deutschen sollten endlich zurückschlagen!“, wohl schon. Wer sich im Netz auf die Jagd begibt, weiß meistens, wo die Grenze liegt. „Der dritte Weg“ hat dazu auf seiner Internetseite sogar einen Leitfaden veröffentlicht. Er gibt Rat in der Frage „Wie be- bzw. verhindere ich die Errichtung eines Asylantenheims in meiner Nachbarschaft“ und widmet sich dabei auch dem Internet. Eine Facebookseite etwa ermögliche die Selbstdarstellung ganz nach Wunsch, heißt es dort. Man solle aber unbedingt aufpassen, die „BRD-Gesetze“ zu achten, sonst könne es teuer werden.
Auch Nutzer ohne Parteibuch wissen genau, wie man ungefährdet rechtsradikale Meinungen im Netz verbreitet. Vor wenigen Tagen stellte der Neonazi Andreas Kraul ein Foto online. Früher war Kraul in leitender Funktion bei den „Hooligans gegen Salafisten“, mittlerweile nennt er sich Blogger. Das bedeutet für ihn offenbar vor allem, die Beiträge anderer zu verbreiten. Seine Facebookseite gibt es erst seit wenigen Wochen. Das Foto, das er dort hochgeladen hat, zeigt ein Schild an einer Eingangspforte. „Liebe Kriegsflüchtige und geschundene Seelen“, steht darauf, „solltet ihr es erwägen, auch dieses Geschäft zu öffnen und einzubrechen, so möchten wir gern eure Tradition aufgreifen und es halten wie in euren Herkunftsländern. Wenn wir euch zu fassen bekommen – und wir sind gut darin –, hacken wir eure Hände ab.“ Der letzte Satz ist unterstrichen und hat mehrere Ausrufungszeichen, damit ihn jeder versteht. 1500 Personen bei Facebook gefällt das.
Wer im Netz zündelt, achtet nicht auf Quellen
Zur Sicherheit hat Kraul im Kommentar zum Bild noch drei Ausrufungszeichen dazugestellt. Ansonsten hat er nichts geschrieben. Er lässt offen, wie er das Bild bewertet. Selbst wenn Facebook das Foto löschen sollte, weil Nutzer sich beschwert haben, wäre es also schwierig, Kraul dafür zu belangen. Dem Betrachter erschließt sich nicht einmal, wo es aufgenommen wurde, auch die Kommentare geben darauf keinen Hinweis. Das Bild könnte genauso gut eine Fälschung sein. Kraul und all den anderen, die im Netz zündeln, kann das egal sein. Was zählt, ist die Wirkung.
Wozu führt es, wenn 1500 Leuten (oder weniger Leuten, die sich entsprechend viele Profile angelegt haben) ein solches Foto „gefällt“? Wenn Hunderte es teilen, mehr, als auf jeder durchschnittlichen Demo von Rechtsradikalen mitlaufen?
Ein Nutzer, der in seiner Timeline auf so ein Bild stößt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso schon stramm rechts. Er muss die Seite von Andreas Kraul mit „Gefällt mir“ markiert haben oder zumindest mit jemandem befreundet sein, der dort „Gefällt mir“ geklickt hat. Wenn er das Bild dann in seiner Timeline toleriert, interessiert er sich vermutlich auch für andere rechtsextreme Personen und Parteien. Auf ihren Facebookseiten kann er zum Beispiel lesen, dass den Deutschen bald der „Volkstod“ drohe. Er kann sich „informieren“, dass in allen Flüchtlingsheimen ansteckende Krankheiten grassierten, Masern, Mumps und so weiter, und dass Asylbewerber regelmäßig deutsche Frauen vergewaltigten. Menschen setzen sich vor allem den Meinungen aus, die in ihr Weltbild passen. Das war zwar schon immer so, geht im Internet aber besonders gut. Dort findet jeder seinen Stammtisch.
Während an einem echten Stammtisch aber nicht mehr als zehn Personen sitzen, sind es hier ein paar tausend. Sie erzeugen beim Betrachter ein völlig verzerrtes Bild. Er könnte annehmen, hinter der Meinung einer radikalen Minderheit stehe eine komfortable Mehrheit. Sogar Hetze erscheint dann plötzlich konsensfähig. Das ist kein Effekt, der auf Rechtsradikale beschränkt wäre, aber er zeigt sich bei ihnen besonders ausgeprägt.
Hemmschwelle, gegen Asylbewerber zu hetzen, sinkt
Die öffentliche Hetzjagd bestärkt jene Betrachter in ihrer Haltung, die sich vorher unsicher waren oder dafür geschämt haben, und sie radikalisiert jene, deren Weltbild gefestigter ist. Die Hemmschwelle, selbst gegen Asylbewerber zu hetzen, sinkt. Man kann das in den Kommentaren unter dem Bild von Kraul sehen, wo „Klare Ansage“ und „Genau so muss man mit ihnen umgehen!“ noch die harmlosesten Anmerkungen sind. Es ist ein Panoptikum des Hasses, so wie auf jeder anderen Facebookseite von Neonazis.
Zwar schreitet kaum jemand sofort von der Gewaltphantasie zur Tat. Aber wenn immer mehr Menschen virtuell in ihrem Hass schwelgen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch in der Realität die Gewalttaten zunehmen. Dafür lassen sich im Bericht des Verfassungsschutzes Anhaltspunkte finden: 2014 wurden so viele Anschläge auf Asylbewerberheime verübt wie seit Jahren nicht mehr.
Viele der Nutzer, die sich äußern, haben anonyme Profile. Sie müssen nicht mit ihrem Namen für ihre Haltungen einstehen. Das erleichtert ihnen den Hass. Rechtsradikale, die auf der Straße stehen, können nicht nur andere beschimpfen, sie müssen sich auch beschimpfen lassen. Nun legen sie Lunten im Netz. Aber die Brandsätze zünden noch immer in der Realität.