Vor der zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge warten Hunderte bei kaum erträglicher Hitze - darunter viele Familien. Ständig kommen hilfsbereite Berliner vorbei. Die Behörde mag sich darüber nicht so recht freuen. Am Abend gab es dann kurzzeitig Ärger zwischen Polizei und Demonstranten.
Während er eine Pappkiste mit Bananen und Äpfeln hoch hält, versucht sich ein ehrenamtlicher Helfer vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) an der Turmstraße in Moabit seinen Weg durch die Menschentraube zu bahnen. Vergeblich. Der Andrang ist zu groß, von allen Seiten greifen Hände zu. Hunderte Flüchtlinge warten hier, dass sich ein Sachbearbeiter um sie kümmert. Doch trotz Sonderschichten kommen die Mitarbeiter nicht mehr hinterher. 500 Menschen am Tag kommen hierher, heißt es bei dem Amt, teilweise sollen es noch mehr sein. In der Hitze harren sie auf dem Erdboden aus. Ganze Familien warten hier, viele mit Babys, teilweise sogar über Nacht. Müll liegt über das Gelände verteilt, an manchen Ecken riecht es nach Urin.
Viele Schwangere müssen versorgt werden
Seit Freitag helfen nun Mitarbeiter der Malteser und der Caritas – nach einem Hilferuf der Sozialverwaltung des Senats. Mit mehreren Krankenschwestern und einem Arzt behandeln sie kranke Flüchtlinge notdürftig. Viele Schwangere müssten versorgt werden, oft hätten die Menschen wegen der Hitze Kreislaufprobleme, sagt eine Krankenschwester. Zweimal musste schon der Rettungswagen anrücken. In einem der Backsteingebäude sammeln und verteilen die Mitarbeiter der Malteser Lebensmittel und Hygieneartikel. Mehr als 100 ehrenamtliche Helfer unterstützen sie dabei. Ständig fahren Privatautos voller Wasserflaschen vor die Sammelstelle. Die Helfer laufen mit immer neuen Kisten voll Obst über das Gelände, die nach Sekunden leer sind. Ständig holen sie Nachschub, den die Flüchtlinge dankbar entgegennehmen. Über soziale Netzwerke haben Bürgerinitiativen wie „Moabit hilft“ zu Spenden aufgerufen. Auch mehrere große Supermärkte spendeten inzwischen mehrmals täglich Lebensmittel, berichtet Diana Henniges von der Initiative. Wie groß der Bedarf sei, habe sich am Donnerstag gezeigt, als sich mehrere Erwachsene um Lebensmittel geprügelt hätten.
Das Lageso findet das Engagement als unnötig
Viele Bürger kommen in ihrer Mittagspause mit Wasserflaschen und Essen vorbei. Mehr als 2000 Liter Wasser und 300 Kilo Obst würden hier verteilt, sagt Henniges. Aber es fehle an Windeln und anderen Hygieneartikeln. „Die Spenden sind wichtig, um den wartenden Menschen hier ihre Würde zu bewahren.“ Das Lageso allerdings empfindet das Engagement der Bürger als nett, aber unnötig. Die Wasserversorgung sei gewährleistet, sagt ein Behördensprecher. An einem Hahn können sich die Flüchtlinge mit Leitungswasser versorgen, die Berliner Wasserbetriebe verteilen zusätzlich mehrere tausend Liter Wasser in Plastikbeuteln. Nächste Woche soll hier ein Trinkbrunnen installiert werden. Die jeweils ein Liter fassenden Tüten mit Trinkwasser stammen aus einer eisernen Reserve im Wasserwerk Friedrichshagen. Es werde jetzt gern als Notfallversorgung gespendet, heißt es bei den Wasserbetrieben. Doch das Hauptproblem ist am Freitag noch nicht gelöst – nämlich die Bearbeitung aller Fälle in vertretbarer Zeit. Erst warten die Flüchtlinge auf die Ausgabe einer Wartenummer. Und selbst mit der in der Hand wissen sie nicht, wann ihre Nummer an die weiße Tafel vor dem Eingang geklebt wird – schlimmstenfalls erst nach mehreren Tagen. Die 24-jährige Lehrerin Ranim und ihr Mann warten hier seit vier Tagen mit ihrem einjährigen Sohn. Die ersten beiden Nächte verbrachte die syrische Familie auf dem Boden schlafend vor dem Amt – um sich gleich morgens um fünf ihren Platz in der Schlange zu sichern.
Eine syrische Familie mit Kind wartet seit vier Tagen
Viele schlafen aber auch hier, weil sie von Hostels abgewiesen wurden – trotz Gutschein des Lageso. Auf dem Gelände ist zu hören, dass die Hostelbetreiber an Touristen besser verdienen und außerdem schneller an ihr Geld kommen als bei dem Amt, das erst die Rechnungen prüfen muss. Ohne persönliche Kontakte oder andere Anlaufstellen in der Stadt bleibt vielen oft nichts anderes übrig, als draußen zu campieren. Der Verein „Asyl in der Kirche“ bezeichnete diese Zustände als erschütternd. Laut Lageso sollten die Flüchtlinge noch am Abend auf Unterkünfte verteilt werden. Man wolle keinen zweiten Oranienplatz hier, sagt ein Sprecher der Behörde. Eine neue Großeinrichtung in der Köpenicker Allee in Karlshorst soll spätestens am Montag eröffnet werden. Auch die Grünen waren am Freitag in der Turmstraße und beklagten, dass Asylbewerber auf der Straße leben müssten.
Am frühen Abend gab es Tumulte
Nach 19 Uhr war das Gebäude der Erstaufnahme leer, aber auf dem Gelände hielten sich noch schätzungsweise 150 Menschen auf. Lageso-Chef Franz Allert sagte dem Tagesspiegel, er sei "sehr zuversichtlich", dass alle bereits Registrierten in der neuen Unterkunft in Karlshorst untergebracht werden könnten. Die ausgegebenen Wartenummern seien am Freitag komplett abgearbeitet worden. Allerdings gebe es noch nicht registrierte Neuankömmlinge, die nun ebenfalls noch untergebracht werden sollen.
Lebensmittelspenden werden nach Auskunft von Allert seit dem Nachmittag nicht mehr angenommen: Die jetzt reichlich vorhandenen Nahrungsmittel würden sonst verderben. Sie sollen nun an die Notunterkünfte geliefert werden.
Am frühen Abend hatte es kurzzeitig Tumulte gegeben. Nach Darstellung von Allert wurde die Polizei geholt, nachdem Demonstranten am Eingang des Geländes das Wachpersonal mit Obst und Flaschen beworfen hatten.
Laut einer Helferin hatten sich einige Flüchtlinge kurzzeitig mit den Randalierern solidarisiert, weil sie offenbar Angst vor dem plötzlichen massiven Polizeiaufgebot bekommen hatten. Bald darauf hatte sich die Lage aber beruhigt; die Polizei versuchte, die Menschen zum Ausgang zu geleiten. Nach Auskunft der Polizei hatte der Zwischenfall gegen 16.45 Uhr begonnen, als etwa 15 Personen ins Gebäude drängten. Als Sicherheitsleute sie wieder herausgebracht hätten, sei ein 34-Jähriger verletzt worden. Daraufhin seien der Ausgang blockiert und Sicherheitsleute sowie eintreffende Polizisten mit Gegenständen beworfen worden. Die Polizei habe Reizgas eingesetzt. Ein 22-Jähriger - kein Flüchtling - sei wegen Landfriedensbruchs und Widerstandes festgenommen worden.
Als Problem erwies sich allerdings die Minimalausstattung, mit der das Amt die Flüchtlinge in ihre Quartiere schickt: Ein Fahrschein und eine ausschließlich deutsche Wegbeschreibung, mit der die Wenigsten etwas anfangen konnten. Helfer übersetzten die Beschreibung für die Ankömmlinge ins Englische.