Am Montag, dem 20.07.2015, ereignete sich in der türkischen Stadt Suruç nahe der Grenze zu Kobanê ein Sprengstoffanschlag. Inmitten einer Pressekonferenz der ca. 300 Personen großen Solidaritätsdelegation der SGDF (Föderation der Sozialistischen Jugendvereine) verübte ein IS-Anhänger ein Selbstmordattentat. 32 Menschen wurden getötet, weitaus mehr wurden verletzt. Die Delegation befand sich auf dem Weg nach Kobanê, um dort beim Wiederaufbau zu unterstützen.
Nach den Einschätzungen weiter Teile der kurdischen Bewegung konnte dieser Anschlag nicht ohne das Mitwissen oder gar die Unterstützung türkischer Staatsorgane durchgeführt werden. Diese Einschätzung beruht unter anderem darauf, dass das größtenteils von Kurd*innen bewohnte Suruç unter massiver Beobachtung des türkischen Geheimdienstes steht, sodass sich dort eigentlich Niemand bewegen und agieren kann, ohne dass der Geheimdienst darüber Kenntnis hat. Nachgewiesen kann dies momentan nicht, dennoch trägt der türkische Staat zumindest eine politische Mitverantwortung für das Geschehen. So hat die Regierung der AKP in der Vergangenheit immer wieder Unterstützer*innen Rojavas genauso wie Materialtransporte dorthin am Grenzübertritt gehindert. Gleichzeitig konnten Teile der IS-Kämpfer*innen und ihr benötigter Nachschub problemlos passieren und über die Türkei einreisen.
Seit diesem Angriff überschlagen sich die Ereignisse in den kurdischen Gebieten und in darüber hinausgehenden Teilen der Türkei. Nach dem Anschlag, am Abend des 20.07.2015, kam es in vielen Städten, unter anderem in Ankara und Istanbul zu starken Protesten, von denen viele durch die Polizei attackiert wurden. Auch griff die Polizei mehrere Begräbniszüge der 32 Ermordeten an. In den Tagen danach wurden zwei Polizisten und zwei IS-Anhänger erschossen. Die Polizisten sollen mit dem IS zusammengearbeitet haben. Dieser Angriff wurde der HDG (dem militärischen Arm der PKK) bzw. der YDG-H (der PKK Jugendorganisation, die sich als Stadtguerilla versteht) zugeschrieben. Die PKK (die Arbeiterpertei Kurdistans) distanzierte sich am 29.07.2015 jedoch von diesem Angriff und gab bekannt, dass dieser nicht aus ihren Reihen vollzogen wurde.
Als Reaktion führte die Polizei ab dem 23.07.2015 in verschiedenen Städten Razzien, teils mit Anti-Terroreinheiten durch, bei denen schätzungsweise über 1000 kurdische und türkische Linke festgenommen und inhaftiert wurden. Hierbei wurde in dem Istanbuler Stadtteil Gazi die Aktivistin Günay Özarslan erschossen. 15 Polizeikugeln haben sie getroffen. In einigen Städten kam es zu massiven Krawallen zwischen teils bewaffneten, revolutionären Gruppen und Jugendlichen auf der einen und der Polizei auf der anderen Seite. Weiter begann das türkische Militär am 24.07 Bombenangriffe auf kurdische Stellungen in den Qandil-Gebirgen im Nordirak zu fliegen. Bei diesen Angriffen wurden mehrere Zivilist*innen verletzt. In der Nacht vom 26. auf den 27.07.2015 wurden Stellungen der YPG/YPJ (die Volksverteidigungseinheiten von Rojava) in Rojava mit türkischen Panzern unter Beschuss genommen und am morgen des 27. zog das Militär Einheiten mit gepanzerten Fahrzeugen an der Grenze zu Kobanê zusammen. Einen Tag darauf wurden auch kurdische Stellungen innerhalb der türkischen Staatsgrenzen bombardiert. Inzwischen gab es über 400 Bombenangriffe und Erdoğan erklärte der kurdischen Bewegung den offenen Krieg.
Die Nato desweilen, die am Dienstag, den 28.07.2015, eine Sonderkonferenz auf Wunsch der türkischen Regierung abhielt, verliert kein Wort über die starken Angriffe, sondern sichert ihre Unterstützung im „Kampf gegen den Terror“ zu. Die deutsche Regierung begnügte sich damit zur „Wahrung der Verhältnismäßigkeit“ aufzurufen und ließ verlauten, dass der Friedensprozess zwischen der AKP-Regierung und der PKK nicht in Gefahr gebracht werden dürfe. Der Friedensprozess, der 2012 begann und in dem ein Waffenstillstand ausgerufen wurde, wurde seitens der türkischen Regierung spätestens durch die Angriffe beendet. Des weiteren wurden in Spanien Aktivist*innen festgenommen, die in Rojava bei YPG/YPJ-Einheiten gegen den IS gekämpft haben. Zwar wurden sie am Tag nach ihrer Festnahme wieder entlassen, sie sehen sich jetzt aber mit dem Vorwurf konfrontiert Teil einer „terroristischen Vereinigung“ zu sein. Am 18 Juli wurde in Deutschland Ahmet C. Festgenommen. Ihm wird nach § 129b vorgeworfen „Mitglied einer terroristischen Vereinigung im Ausland“ zu sein und in Deutschland als PKK-Kader fungiert zu haben. Dieses Verhalten ist beispielhaft für die politische Linie der EU-Länder in diesem Konflikt.
In Rojava, in weiteren kurdischen Gebieten und in vielen Städten der Türkei kämpfen Menschen für ihr Recht auf ein freies und selbstbestimmtes Leben fernab der herrschenden und unterdrückenden Verhältnisse. Diese Menschen stehen einer massiven Gewalt und Repression gegenüber, die nicht nur ihre Vorstellungen von einem anderen Leben, sondern auch ihr Leben selbst angreift.
Wir erklären uns mit den Kämpfen der revolutionären kurdischen Bewegung solidarisch.
Biji Berxwedan, Biji Jiyan – Es lebe der Wiederstand, es lebe das Leben
Berxwedan Jiyan e – Leben bedeutet Wiederstand
06.08.2015 Emanzipatorische Antifa Münster
Dies ist keine vollständige Chronik sondern
lediglich einer kleiner Abriss der anfänglichen Geschehnisse. Aktuelle
Informationen zur Situation findet ihr z.B. beim Nachrichtenticker der YXK (Kurdischer Studierenden Verband)
Unter dem Titel „Krieg für Machterhalt“ veröffentlichte das Lower Class Magazin einen Artikel der auch die politische Lage beleuchtet.
Am Samstag dem 08.08.2015 wird in Köln um 12.00 Uhr am Ebertplatz eine bundesweite Demonstration unter dem Titel „No Pasaran – Nein zum Krieg“ stattfinden. Treffpunkt für eine Gemeinsame Zuganreise ist um 09.15 Uhr an den Fahrkartenautomaten Bremerplatz, HBF Münster.
Hier findet ihr den Aufruf von kurdischen Gruppen und Verbänden
Hier findet ihr den Aufruf der IL