Wenn Hartz IV besonders rigide umgesetzt wird...
Eigentlich hat Stefen Klaussner (Name geändert) alles richtig gemacht. Nach der Rückkehr aus dem Ausland war der knapp Fünfzigjährige erwerbslos und war auf die Leistungen von Hartz IV angewiesen. So wollte er schnell aus der Arbeitslosigkeit raus und sich als Webdesigner selbständig machen.
Um zu erkunden, ob es überhaupt Nachfrage nach seinen Angeboten gibt, erstellte er eine Webseite. Kaum war sie online, erfuhr das für Klaussner zuständige Jobcenter im sächsischen Meißen davon. Doch der Mann wurde wegen seiner großen Bemühungen, wieder Arbeit zu finden nicht etwa belobigt. Das Jobcenter unterstellte ihn vielmehr, er hätte über die Webseite Einkünfte, die er nicht angegeben hat.
Seitdem befinde er sich im Dauerclinch mit dem Jobcenter. Die Auseinandersetzung hat Klaussner als Fortsetzungsgeschichte in mittlerweile 6 Akten im Netz dokumentiert.
"Nun begann das Jobcenter Meißen mich mit unzähligen Aufforderungen zur Mitwirkung zu malträtieren, die im März diesen Jahres darin gipfelte, dass man unter Androhung der Leistungseinstellung bei Weigerung meine Telefondaten bei meinem Provider einsehen wollte“, schreibt Klaussner. Auch die Rügen des Dresdner Sozialgerichts beeindruckten das Jobcenter in Meißen nicht. In einer Entscheidung des Gerichts heißt es:
Nach den Prozessen schickte das Jobcenter bereits den nächsten Fragebogen an Klaussner. Ein Mitarbeiter erklärte auf die Beschwerde hin, er könne alle Fragen stellen, wenn es um die geforderten Mitwirkungspflichten geht.
Das Dresdner Sozialgericht kam zu der Auffassung:
Doch das Jobcenter Meißen ließ sich davon nicht beeindrucken. Es schickte einen neuen Fragebogen, der 42 Seiten umfasste. Zudem wurde Klaussner ein Katalog eine Belehrung zugestellt, die so umfangreich ist, dass es schwer sein dürfte, sich den Sanktionen zu entziehen. Das zeigte sich am letzten Freitag deutlich, als sich Erwerbslose aus der Region Meißen zum Austausch trafen. Schnell wurde deutlich, dass Klaussner keineswegs allein ist.
Da ist eine alleinerziehende Mutter mit ihrer schwerkranken Tochter mit einer Zwangsräumung konfrontiert. Das Jobcenter Meißen wirft ihnen die Vernachlässigung der Mitwirkungspflichten vor. Ein Mann, der in der Finanzbranche beschäftigt war, bevor er erwerbslos wurde, erklärte nach dem Austausch, dass ihm klargeworden sei, dass nicht er schuld für die Probleme ist, die er mit dem Meißner Jobcenter hat. Ein älterer Mann begleitet mittlerweile Interessierte zum Jobcenter.
Die Kampagne Keiner muss allein zum Amt ruft dazu auf, weil damit die Machtlosigkeit der Erwerbslosen zumindest ein Stück weit aufgebrochen werden kann. Einen solidarischen Umgang unter Erwerbslosen propagiert auch die Berliner Erwerbsloseninitiative Basta, die auf den Treffen in Meißen ihre Arbeit vorstellte und Unterstützung anbot.
Bei dem Austausch wurde auch darüber diskutiert, ob das Jobcenter Meißen nun eines dieser "schwarzen Schafe" ist, die immer wieder gerne angeführt werden. Dabei wurde betont, dass das Jobcenter Meißen als Optionskommune besonders strenge Kriterien beim Umgang mit Erwerbslosen praktiziert. Doch generell sei es falsch, ein Jobcenter zu skandalisieren statt das Hartz IV-System insgesamt in den Fokus der Kritik zu nehmen.
Im Rahmen dieses Systems agieren die Jobcenter und haben auch die Möglichkeit, besonders restriktiv aufzutreten. In Berlin hat sich dabei das Jobcenter Neukölln einen Namen gemacht. Es wurde vor einigen Wochen von Erwerbsloseninitiativen mit einen Negativpreis ausgezeichnet. In der von Sozialwissenschaftlern der Humboldtuniversität erstellten Studie Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems wird den Jobcentern eine zentrale Funktion bei dem Verlust der Wohnungen von Erwerbslosen zugeschrieben. Dabei wird dem Jobcenter Neukölln eine besonders repressive Rolle nachgewiesen.
Vor einigen Wochen hat Margit Englert die Zwangsräumung der Rentnerin Rosemarie F. auf Grund der hinterlassenen Dokumente in dem Buch "Rosemarie F. kein Skandal" akribisch aufgearbeitet. Dabei wird deutlich, wie das Grundsicherungsamt im Zusammenwirken mit der Wohnungseigentümerin die Räumung der schwerkranken Frau erreichte, die zwei Tage später gestorben ist. Den Titel des Buches hat die Herausgeberin Margit Englert bewusst gewählt.
"Wenn so ein Fall wie Rosemaries Tod öffentlich als Skandal wahrgenommen wird, geht man in der Regel schnell wieder zur Tagesordnung über. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der frei werdenden Wohnungen zu nehmen oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern - durch Investition in Immobilien“, erklärte sie im Interview.
Analog könnte man auch sagen, dass das Jobcenter Meißen kein Skandal ist, sondern dass dort das Hartz IV-Regime im Sinne der Erfinder nur besonders rigide umgesetzt wird.
Bei dem kleinen Treffen in Sachsen kamen Menschen zu Wort, die im und unter dem Austeritätsregime made in Deutschland leiden, dass nun nach ganz Europa exportiert werden soll. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der griechischen Regierung in den letzten Wochen betonten immer wieder Politiker und Ökonomen, dass Deutschland mit der Einführung von Hartz IV seine Hausaufgaben gemacht habe und Griechenland jetzt gefälligst nachziehen solle.
Tatsächlich wurden in Deutschland mit der Einführung von Hartz IV die Lohnkosten so weit gesenkt, dass es damit ganz Europa niederkonkurrieren kann. Zu den ersten Opfern gehörten und gehören einkommensschwache Menschen in Deutschland. In Meißen kamen sie einmal zu Wort. In den meisten Medien sind sie genau so wenig ein Thema wie die Betroffenen der Austeritätspolitik in Griechenland.