Asylsuchende in Angst: Schüsse auf Flüchtlingsheim in Böhlen

Erstveröffentlicht: 
15.07.2015

Auf ein Flüchtlingsheim bei Leipzig ist in zwei Nächten hintereinander geschossen worden. Die Bewohner sagen, sie fühlten sich bislang sicher. Aber jetzt herrscht Verunsicherung. Landtagsabgeordnete von Linken bis AfD verurteilen die Attacke, das Operative Abwehrzentrum (OAZ) ermittelt.

 

Leipzig. Das Flüchtlingsheim gleich hinter dem Ortseingang der Kleinstadt Böhlen südlich von Leipzig steht am Mittwoch friedlich in der Sonne. Kleine Gruppen von Asylsuchenden sitzen neben dem Eingang des ehemaligen Hotels, reden, rauchen. Mehrere zerborstene Scheiben in der orange-braunen Glasfassade zeigen allerdings, dass es hier am vergangenen Wochenende nicht so friedlich zuging. Zweimal hintereinander, in der Nacht zum Samstag gegen 0.10 Uhr und in der Nacht zum Sonntag um 0.40 Uhr, hat ein Unbekannter nach Polizeiangaben auf das Flüchtlingsheim geschossen.

 

Verletzt wurde niemand, aber etliche Scheiben gingen zu Bruch. Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) in Leipzig hat die Ermittlungen übernommen. Die Spezialisten ermitteln auch wegen anderer Übergriffe auf Asylheime in Sachsen in der jüngsten Vergangenheit. Zu der Attacke in Böhlen will die Polizei nicht viel sagen. Womit der Täter schoss? Keine Angaben aus ermittlungstaktischen Gründen. Ermittelt werde wegen Sachbeschädigung, sagt ein Polizeisprecher.

 

Am Flüchtlingsheim steht der 24-jährige Ahmed aus Syrien. Er habe von den Schüssen jeweils kurz nach Mitternacht selbst nichts mitbekommen. „Mein Freund kam und hat es mir erzählt. Ich habe ihm nicht geglaubt und ihm gesagt, er müsse träumen“, sagt Ahmed auf Englisch. Die Schüsse seien nun natürlich Thema unter den rund 150 Flüchtlingen im Heim: „Wir wollen nur wissen, warum.“ Eigentlich, sagt Ahmed, fühle er sich sicher in Deutschland. Er kommt aus Damaskus, sei wegen des „verdammten Kriegs“ aus Syrien geflohen. Im Heim selbst fühle er sich gut aufgehoben. Nach den Schüssen habe die Betreuerin die aufgeregten Bewohner beruhigt. Sie sollten sich keine Sorgen machen, sie werde die Polizei rufen. Auch in Böhlen sei es eigentlich in Ordnung, sagt Ahmed. Sein Mitbewohner Mohammed erzählt allerdings, er sei im Ort auch schon schief angesehen worden. Ahmed, der ein Ökonomie-Studium abgeschlossen hat, hofft auf eine Zukunft in Deutschland.

 

Der Besitzer des früheren Hotels, Wolfgang Seifert, ist am Mittwoch auch da und spricht vor dem Gebäude mit Polizisten. An Seifert scheiden sich die Geister. Der Mann ist ein Ex-Funktionär der rechten Partei Die Republikaner. Dass Sachsen ausgerechnet in seiner Immobilie Asylsuchende unterbrachte, stieß auf heftige Kritik unter anderem des Flüchtlingsrats. Seifert will sich erst nicht äußern, verurteilt dann aber doch die Schüsse auf das Heim, bei denen er einen politischen Hintergrund vermutet. „Ich kritisiere das scharf, in dieser Weise eine Meinung zu artikulieren. Das muss man bei den nächsten Wahlen machen.“

 

Auch bei den Abgeordneten des sächsischen Landtags ist die Attacke am Mittwoch ein großes Thema. „Wieder wird in Sachsen eine neue, erschreckende Stufe der Gewalt gegen Geflüchtete erreicht“, sagt Juliane Nagel, die migrationspolitische Sprecherin der Linkenfraktion ist. Mit dem Angriff auf das Hotel sei bewusst in Kauf genommen worden, dass Menschen verletzt oder gar getötet werden. „Das ist nicht tolerierbar“, so Nagel.

 

„Ich bin entsetzt“, sagt Petra Zais von Bündnis 90/Die Grünen. Die Regierung - und in erster Linie Innenminister Markus Ulbig (CDU) - müsse sich vorwerfen lassen, die rassistische Gefahr lange verharmlost zu haben. Die Grünen forderten die Regierung zudem auf zu prüfen, ob sogenannte Bürgerwehren - wie die in Freital - verboten werden könnten.  

 

Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtags-Fraktion, Uwe Wurlitzer, sagt: „Wir verurteilen ausdrücklich jede Art von Gewalt gegen Asylbewerber und Asylbewerberheime. ... Wir hoffen, dass die Täter bald gefasst und zur Verantwortung gezogen werden.“

 

„Es ist erschreckend und zutiefst beschämend für uns alle, dass Menschen hier aufgrund ihrer Herkunft Angst haben, weil sie an Leib und Leben bedroht werden“, sagt die designierte Generalsekretärin der SPD Sachsen, Daniela Kolbe. Sie gehe davon aus, dass zügig ermittelt werde und der oder die Täter „mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden“.  

 

In den vergangenen Monaten waren in Sachsen wiederholt Flüchtlingsheime attackiert worden. Bis Ende Mai gab es nach Angaben des Innenministeriums in diesem Jahr 31 solcher Übergriffe.  In der Nacht zum 3. Juni war zudem ein Brandsatz auf eine Flüchtlingsunterkunft in Hoyerswerda geworfen worden. Drei junge Männer haben diese Tat gestanden. Sie gaben an, dass sie ein Zeichen gegen starke Zuwanderung setzen wollten, wie das OAZ Anfang Juli mitteilte. Ende Juni hatte es einen Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Meißen gegeben. Verletzt wurde niemand, das Gebäude war noch unbewohnt.