Bei einem Streit mit neun Rechtsextremen in Bernburg wurde 2013 ein türkischer Kioskbesitzer fast zu Tode geprügelt. Fünf der Angeklagten werden wegen Notwehr freigesprochen. Zu Recht, sagt der Bundesgerichtshof. Der Anwalt des Opfers ist empört.
Fünf Angeklagte aus der rechtsextremen Szene sind vom Vorwurf des versuchten Totschlags eines türkischstämmigen Imbissbetreibers endgültig freigesprochen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Donnerstag die Freisprüche des Landgerichts Magdeburg bestätigt. Das Landgericht war davon ausgegangen, dass zu Beginn der tätlichen Auseinandersetzungen eine Notwehrsituation der Rechtsextremen vorlag. Sie hätten eine Bierflasche auf den damals 34-jährigen Imbissbetreiber schleudern dürfen, weil der mit einem Stock in die Luft geschlagen habe und sie sich bedroht fühlen konnten.
Der Fall erregte damals großes Aufsehen. Die rechtsextreme Clique feierte am 21. September 2013 den „Junggesellenabschied“ eines Kumpanen. Stark alkoholisiert kamen die neun Männer am Abend auf dem Bahnhof Bernburg (Sachsen-Anhalt) an und trafen auf den Imbissbetreiber, der im Bahnhof einen Laden eröffnet hatte. Zuerst kam es zu schweren Beleidigungen, wie „verschwinde, dreckiger Ausländer“. Die Freundin des Mannes wurde „Schlampe“ und „Tussi“ tituliert. Dann soll der Mann aus seinem Schnellimbiss einen Stock geholt (die Aussagen waren unterschiedlich) und damit in der Luft herumgefuchtelt haben. Es flog eine Bierflasche gegen den Kopf des Opfers, der setzte dem Angreifer nach, wurde von den anderen acht aber „entwaffnet“ und ging zu Boden. Jetzt traten vier Angeklagte so schwer auf Kopf und Körper des Imbissbetreibers ein, dass er nur durch eine Notoperation gerettet werden konnte. Die fünf anderen waren daran nicht beteiligt.
Das Landgericht Magdeburg sah nur bei den vier Eintretenden versuchten Totschlag. Bis zum Wurf der Bierflasche und den anschließenden Auseinandersetzungen sei jedoch Notwehr nicht auszuschließen. Denn das spätere Opfer habe mit dem Stock gedroht – deshalb Freispruch für die Fünf.
Die Revision der Staatsanwaltschaft – die auch von der Bundesanwaltschaft vertreten wurde – hatte am Donnerstag keinen Erfolg. Die Angeklagten seien "berechtigt gewesen, im Wege der Notwehrhilfe den Angriff des mit einen Stock mit sich führenden Nebenklägers ... zu unterbinden", so der 4. Strafsenat des BGH zur Begründung.
Das Opfer kann das Urteil nicht fassen
Der beinahe tot geprügelte Kioskbesitzer und sein Berliner Anwalt Sebastian Scharmer reagierten empört auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. "Wir fassen das nicht", sagte Scharmer dem Tagesspiegel. Der Anwalt war gemeinsam mit seinem Mandanten und dessen Freundin nach Karlsruhe gefahren, um den Richterspruch zu hören. In dem Verfahren habe niemand zuvor eine Notwehrsituation festgestellt, betonte Scharmer. Die habe das Landgericht Magdeburg lediglich als möglich unterstellt. Selbst das sei unverständlich, da neun alkoholisierte Rechtsextreme dem türkischstämmigen Opfer und seiner Freundin gegenüberstanden, sagte Scharmer. Außerdem habe sein Mandant angegeben, keinen Stock in der Hand gehabt zu haben. Die Richter am Bundesgerichtshof hätten nun ein fatales Signal gesetzt. Sein Mandant leide zudem noch heute unter den Folgen des Angriffs, "er hat immer noch starke Kopfschmerzen".
(Aktenzeichen: Bundesgerichtshof 4 StR 509/14)