Über 50 Vertreter aus verschiedenen antifaschistischen Gruppen, Verbänden und Gewerkschaften haben am Sonnabend, den 12. Dzember 2009, in Dresden das Bündnis »Nazifrei – Dresden stellt sich quer« gegründet. Der sächsischen Landeshauptstadt droht am 13. Februar nächsten Jahres erneut ein Großaufmarsch von Neonazis, zu dem diese bundesweit und im europäischen Ausland mobilisieren.
Seit Jahren versuchen die Rechtsextremen, die Bombardierung der Stadt durch die Alliierten während des Zweiten Weltkrieges für ihre Zwecke zu mißbrauchen. 2010 fällt die geplante Demonstration der Neofaschisten direkt auf den 65. Jahrestag des Luftangriffes. Das neue antifaschistische Bündnis ruft dazu auf, die rechtsextreme Provokation mittels Blockaden zu verhindern. Mittlerweile wurde in Bündnisaufruf des Bündnisses »No Pasarán!« veröffentlicht. Aus Freiburg und dem Umland wird es Mobilisierung in die sächsische Landeshauptstadt geben.
»Wir orientieren uns bei unserem Vorhaben an den erfolgreichen Blockaden aus Köln, Jena und Heiligendamm und werden uns den Nazis entschlossen in den Weg stellen«, kündigte Lena Roth, Sprecherin von »Dresden stellt sich quer«, gegenüber junge Welt an. Keineswegs wolle man sich – wie in den vergangenen Jahren geschehen – »mit einer Demo fernab der Naziroute abspeisen« lassen, so Roth weiter.
Die Unterstützung der geplanten Blockaden durch die sächsische Landespolitik dürfte eher gering ausfallen. Selbst Vertreter der Partei Die Linke kündigten bereits an, sich an den von der Stadt Dresden und deren Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) geplanten Gedenkaktionen zu beteiligen. Ein durchaus erstaunlicher Beschluß. Die innerhalb der Bundespartei zum rechten Flügel zählende sächsische CDU fiel im vergangenen Jahr mehrfach durch die Gleichsetzung von Antifaschisten und Neonazis auf
Im Folgenden wird der antifaschistische Bündnisaufruf dokumentiert.
Bündnisaufruf zu den antifaschistischen Aktionen am 13. Februar 2010 in Dresden
Am Ort der Geschichte
Entschlossen entgegenstellen – gemeinsam blockieren!
Wir
rufen alle Antifaschistinnen und Antifaschisten dazu auf, am
13. Februar dem Naziaufmarsch in Dresden entschlossen
entgegenzutreten und ihn gemeinsam zu blockieren!
In dem bundesweiten Bündnis No pasarán! haben sich verschiedene
linke und antifaschistische Gruppen zusammengeschlossen, um
dem jährlich stattfindenden Nazigroßaufmarsch endlich ein Ende
zu bereiten.
Seit
der Jahrtausendwende marschieren Alt- und Neonazis zum
Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg durch
die Stadt. In den letzten Jahren hat sich der Aufmarsch zur größten
regelmäßigen Neonaziveranstaltung Europas entwickelt. Bei
dem Aufmarsch der NPD und der Jungen Landsmannschaft
Ostdeutschland (JLO) finden sich alljährlich die verschiedenen
Spektren der extremen Rechten zusammen, internationale
Delegationen geben ihm eine über Deutschland hinaus gehende
Bedeutung. In der gemeinsam zelebrierten Trauer verschwinden
für einen Tag alle szeneinternen Streitigkeiten.
Bei dem Aufmarsch geht es den Neonazis nicht etwa um
Repräsentanten des NS-Regimes oder um die Toten von Wehrmacht
und Waffen-SS, sondern um ein konstruiertes Kollektiv
unschuldiger deutscher Opfer. Der Bezug auf den
Nationalsozialismus verläuft dadurch mehr oder weniger
indirekt: Der Angriff auf Dresden sei ein Angriff auf das
„deutsche Volk“ gewesen und damit gleichzeitig auf das „wahre
Deutschland“, welches wiederum gleichbedeutend ist mit dem
Nationalsozialismus. Im gedachten
nationalsozialistischen Kollektiv von damals bis heute
werden die Toten für die Neonazis zu „ihren“ Toten, sie werden zu
Stellvertreterinnen und Stellvertretern des
nationalsozialistischen Systems. In ihnen sehen Neonazis das
Subjekt ihrer Trauer um das zerschlagene „Dritte Reich“.
Gleichzeitig gelingt mit dem Bezug auf die Bombardierung eine
Feindkonstruktion nach Außen. Die Alliierten werden
dargestellt als verbrecherische Siegermächte, die zum einen
den Nationalsozialismus heimtückisch zu Fall gebracht hätten
und zum anderen daran anschließend Deutschland das
„BRD-Lügensystem“ oktroyiert hätten. Dadurch erhält der
Mythos Dresden aus neonazistischer Sicht eine ungebrochene
Aktualität.
Genau deshalb reicht es nicht, einfach den Kopf zu schütteln über
die „ewig Gestrigen“. Der Bezug auf die Vergangenheit ist
aktuell politisch relevant und wichtig für die
Identitätsbildung der Nazis. Umso wichtiger, ihnen am 13.
Februar einen Strich durch die Rechnung zu machen!
Alte Mythen, neuer Aufguss
Als
Mythos hält sich die Geschichte von der Bombardierung Dresdens
hartnäckig. Obgleich er im Laufe der Jahre verschiedene
Wandlungen durchgemacht hat, war seine jeweilige Deutung stets
eine politische. So diente die Bombardierung teilweise auch im
bürgerlichen Lager der Relativierung der deutschen
Kriegsschuld und dem Aufbau eines deutschen Opferbildes.
Kern des Mythos ist die Legende von der „unschuldigen“,
„einzigartigen“ Stadt, die „aus heiterem Himmel“ Opfer einer
„einzigartigen“ Katastrophe durch alliierte Bomber wurde. In
den letzten Jahren wurde der Mythos des „alten Dresdens“ als
einzigartige Kulturstadt jedoch zur Marke Dresden umgebaut.
Um das neue „Elbflorenz“ für TouristInnen und
StadtvermarkterInnen attraktiver zu gestalten, wurde dem
Image ein neues Element hinzugefügt. Neben dem Bild des Mythos vom
alten Dresden trat nun der Wiederaufbau der Frauenkirche und
damit die Inszenierung der Versöhnung.
Auch wenn sich der Umgang mit der Bombardierung in den letzten
Jahren verändert hat: Es ist kein Zufall, dass Neonazis jedes
Jahr ausgerechnet in Dresden aufmarschieren. Dresden war nicht
die einzige Stadt, die von Luftangriffen betroffen war. Doch
hier können Neonazis in besonderer Art und Weise politischen
Profit aus dem seit Jahrzehnten gewachsenen internationalen
Symbol und den darin gepflegten Mythen ziehen.
Über die Normalisierung nach Innen …
Nach
der sogenannten Wiedervereinigung verstärkte sich die Suche
nach vermeintlicher Normalität, zu der auch die
Wiederentdeckung als Opfer der Geschichte gehörte. Bücher wie
„Der Brand“ oder „Im Krebsgang“ prägten einen gesellschaftlichen
Diskurs, der in Guido Knopps Fernsehdokumentationen über das
„Leid der Deutschen“ seine breitenwirksame Inszenierung fand.
Heute geht es in geschichtspolitischen Debatten vornehmlich um
eine zeitgemäßere Interpretation der deutschen
Vergangenheit. Dabei wird die deutsche Schuld sehr wohl
eingeräumt, gleichzeitig jedoch auf eine gesamteuropäische
Verantwortung verwiesen. In einem europäischen Jahrhundert
von Krieg, Gewaltherrschaft und Vertreibung gehe es darum, die
Vergangenheit gemeinsam zu bewältigen. Initiativen wie das
„Zentrum gegen Vertreibungen“ versuchen uns weiszumachen, dass
in Leid und Schmerz schließlich alle gleich seien. Die Erkenntnis,
dass alles irgendwie ganz schlimm war, vernachlässigt die
politisch-historischen Zusammenhänge und dient einem
geschichtspolitischen Normalisierungsprozess, in dem die
besondere historische Rolle Deutschlands verwischt wird. Das
Besondere des Nationalsozialismus und der Shoa verschwindet
in einem sogenannten Europa der Diktaturen.
… über den Extremismus …
Was
geschichtspolitisch in der Gleichsetzung von
Nationalsozialismus und Sozialismus verhandelt wird, findet
seine Parallele in der aktuellen Extremismuskonzeption. So
sollen die seit 2001 vom Bund geförderten Programme gegen
Rechtsextremismus laut schwarz-gelbem Koalitionsvertrag in
„Extremismusbekämpfungsprogramme“ umgewandelt werden.
Bekämpft werden soll demnach sowohl rechter als auch linker
„Extremismus“. Aussteigerprogramme bezüglich
Rechtsextremismus sollen zu „Aussteigerprogrammen
Extremismus“ werden, der Fonds für Opfer rechtsextremer Gewalt
zu einem Fond für Opfer des Extremismus. Es ist eine absolute
Frechheit und entbehrt jeglicher Grundlage, Linke, die
tagtäglich gegen Rassismus und Neonazismus kämpfen, mit
Neonazis auf eine Stufe zu stellen!
Auch in Bezug auf den Naziaufmarsch im Februar fällt der
offiziellen Seite nichts Besseres ein, als die
Totalitarismuskeule zu schwingen: In einem Entwurf für das
neue sächsische Versammlungsgesetz geht es CDU und FDP darum,
„Extremisten in Sachsen deutliche Grenzen zu setzen“. Geht es
nach ihnen, sollen solche Versammlungen verboten werden
können, die sich auf die „nationalsozialistische oder
kommunistische Gewaltherrschaft“ beziehen.
Wir lassen uns von solchen Drohungen nicht einschüchtern. Wir
werden uns weiterhin Neonazis in den Weg stellen, sei es in
Dresden oder anderswo. Wir werden auch weiterhin linke
Gesellschaftskritik üben. Und wir werden weiterhin sagen, dass
hier gewaltig etwas schief läuft!
… hin zur Normalisierung nach Außen?
Nie
wieder Krieg, nie wieder Faschismus – diese Konsequenz von
AntifaschistInnen aus der deutschen Vergangenheit erhält mit
Blick auf die bundesdeutsche Realität einen besonders bitteren
Beigeschmack. Seit über zehn Jahren kämpfen deutsche Soldaten
nun schon wieder im Ausland für deutsche Interessen. Nach
anfänglichen Verschleierungsversuchen mit dem Reden von
„humanitären Einsätzen“, hat man sich in Jargon und Habitus
angepasst: Es gibt sie wieder, die „gefallenen Soldaten“,
Tapferkeitsmedaillen werden verliehen und Ehrenmäler
errichtet. Deutschland führt wieder Krieg. PolitikerInnen von
den Grünen bis zur CDU sagen ja zum Krieg in Afghanistan. Von der
„Verteidigung deutscher Werte“ bis hin zum „…gerade wegen
Auschwitz“ zeigen sich die Begründungen hierfür besonders
facettenreich.
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus – daran hat sich für uns
bis heute nichts geändert. Es ist blanker Hohn, dass der „Kampf für
das Menschenrecht“ ausgerechnet mit der deutschen
Vergangenheit gerechtfertigt wird. Die Lehre aus dem
Nationalsozialismus kann und darf nur sein: Wir müssen alles
dafür tun, dass Deutschland nie wieder Krieg führt!
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“
Auch
65 Jahre nach Kriegsende hat der Schwur der Überlebenden von
Buchenwald für uns nichts an Richtigkeit verloren. Genau deshalb
müssen wir den Nazis auch am 13. Februar in Dresden in aller
Entschlossenheit entgegentreten. Unser Gedenken richtet sich
jedoch nicht auf den 13. Februar. Die Bombardierung deutscher
Städte durch die Alliierten war Folge von
nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und deutschem
Vernichtungskrieg. Deswegen gedenken wir zum Beispiel am 27.
Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, der Opfer des
Nationalsozialismus. Darüber hinaus jährt sich am 8. Mai 2010
die Befreiung vom Nationalsozialismus zum 65. Mal. Diese Daten
sind mehr als bloße historische Ereignisse. Hier besteht eine
der letzten Möglichkeiten, mit Überlebenden des
Nationalsozialismus, mit aktiven GegnerInnen und
WiderstandskämpferInnen zusammenzukommen. Der Kampf gegen
den Faschismus ist nicht abgewickelt, der
Nationalsozialismus nicht zu Ende aufgearbeitet, als dass die
Lehre aus der Vergangenheit nun einem neuen deutschen
Selbstbewusstsein dienen könne. Die Verantwortung gegenüber
den Opfern des Nationalsozialismus mahnt uns zum Widerstand
gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und
Militarismus.
Wir wissen, dass wir rechte Propaganda nur stoppen können, wenn
wir eine die gesamte Gesellschaft durchdringende, offene
Auseinandersetzung über die zu Grunde liegenden Werte und
Ideologien führen. Wir wissen aber auch, dass wir uns
erfolgreich den Nazis entgegenstellen können, wenn wir dies
gemeinsam tun.
Gemeinsam blockieren!
In
den vergangenen Jahren hat es immer Proteste gegen den
Naziaufmarsch in Dresden gegeben. Trotzdem konnte es bislang
nicht gelingen, dem Naziaufmarsch wirksam etwas entgegen zu
setzen. Im letzten Jahr beteiligten sich 4000
AntifaschistInnen an einer Demonstration unter dem Motto „No
pasarán!“. Doch auch hier zeigte sich, dass Polizei und
Ordnungsbehörde alles daran setzen, linken
antifaschistischen Protest zu verhindern und abzudrängen.
Dem setzen wir 2010 unseren vielfältigen Widerstand entgegen.
Es ist gerade eine solche Vielfalt an Aktionsformen – nicht
gegen-, sondern miteinander –, die gegen den Aufmarsch etwas
ausrichten kann. Dafür brauchen wir ein starkes breites Bündnis
all derer, die mit uns zusammen den Naziaufmarsch in Dresden
blockieren!
Dem Naziaufmarsch am 13. Februar
entschlossen entgegentreten – gemeinsam blockieren!
No pasarán – sie kommen nicht durch!