von Julia Jacob
Ziviler Ungehorsam: Rund 80 Menschen haben die Müllheimer Flüchtlingsunterkunft blockiert, um die Abschiebung von drei Afrikanern zu verhindern. Die Polizei brach die Aktion daraufhin ab.
Mitglieder des Flüchtlingskreises, des Vereins Zuflucht Müllheim sowie des Friedensrates haben in der Nacht auf Montag die Abschiebung von drei Flüchtlingen verhindert. Rund 80 Männer und Frauen hatten sich zu der Aktion des zivilen Ungehorsams eingefunden und die Zugänge zur Gemeinschaftsunterkunft am Müllheimer Bahnhof besetzt. Die Polizei zog unverrichteter Dinge wieder ab.
In der Nacht zum Montag sollten drei junge Afrikaner aus der Müllheimer Flüchtlingsunterkunft, dem ehemaligen Gästehaus Bauer, abgeholt, nach Frankfurt gefahren und dort in den Flieger nach Mailand gesetzt werden. Um dies zu verhindern, hat der Friedensrat Markgräflerland seine jüngst initiierte "Telefonkette gegen Abschiebung" aktiviert: 80 Frauen und Männer versammelten sich ab 3 Uhr in der Nacht vor den Eingängen der Flüchtlingsunterkunft am Müllheimer Bahnhof.
Gegen 4.30 Uhr traf am Gästehaus ein Polizeifahrzeug ein. Die
Versammelten gruppierten sich vor den Eingängen, ein Transparent mit der
Forderung: "Bleiberecht statt Abschiebung! Unseren Flüchtlingen ein
sicheres Zuhause" wurde aufgestellt. Unverrichteter Dinge fuhren die
Beamten wenige Minuten später wieder davon. Die Streifenbeamten hatten
sich offenbar ausgerechnet, dass sie keine Chance gehabt hätten, gegen
80 Frauen und Männer, schildern "Zuflucht Müllheim" und Friedensrat die
Geschehnisse der Nacht.
Man habe sich mit friedlichen Mitteln gewehrt, durch bloße Anwesenheit,
betont "Zuflucht". Eingefunden hatten sich die Menschen vor der
Unterkunft, um gegen die Abschiebungen der drei jungen Afrikaner nach
Italien zu protestieren, da die Flüchtlinge dort nach Einschätzung und
Erfahrung von Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl keine
Integrationschance haben und fast zwangsläufig auf der Straße enden,
argumentieren die Helfer.
Samuel Gebert, Vorsitzender des Vereins Zuflucht Müllheim und in
maßgebender Verantwortung beim Flüchtlingskreis Müllheim tätig, kann
dies nur bestätigen. Er ist vor kurzem einem jungen Mann aus Gambia, dem
ersten Flüchtling, der aus Müllheim abgeschobenen wurde,
hinterhergereist und hat seine Situation dokumentiert.
Bei der nächtlichen Zusammenkunft vor der Flüchtlingsunterkunft wird
deutlich, dass die vielen Helfer, die sich in Müllheim um die
Integration der Flüchtlinge bemühen, Mühe haben, die Beweggründe für die
Abschiebung nachzuvollziehen. Als Ehrenamtliche sind sie aufgefordert,
den Flüchtlingen beim Spracherwerb, bei der Suche nach Ausbildung und
Arbeit, aber auch von Wohnungen behilflich zu sein – Anstrengungen, die
in Müllheim zum Teil sehr erfolgreich umgesetzt werden. Gleichzeitig
sollen sie tatenlos zusehen, wie die in vielen Fällen bereits gelungene
Integration der Flüchtlinge zunichte gemacht wird, wenn Abschiebung
droht – und umgesetzt wird.
Auch die drei jungen Männer aus Afrika, deren Abschiebung nun zunächst
nicht erfolgte, gehen in Müllheim zur Schule, lernen fleißig Deutsch in
der Integrationsklasse. Einer von ihnen habe sogar bereits Arbeit
gefunden, der Arbeitsvertrag sollte dieser Tage unterschrieben werden,
berichtet Samuel Gebert. Solche Bemühungen würden mit einem Streich per
Abschiebungsverfügung zunichte gemacht. "Ich verstehe nicht, warum man
Menschen abschiebt, die bereits voll integriert sind", sagt Samuel
Gebert. Den Helfern sei sehr wohl bewusst, dass die Anordnung vom
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Außenstelle Dortmund, kommt
und nicht aus dem Landkreis, betont "Zuflucht".
Für die Flüchtlinge selbst sei es ein Schock zu erleben, wie wenig
Sicherheit ihnen die freundliche Aufnahme der Ehrenamtlichen in
Wirklichkeit biete. Auch junge Leute aus Müllheim, die sich an der
nächtlichen Blockadeaktion beteiligten, hätten größte Mühe, diese
Lektion in Staatsbürgerkunde zu verstehen. Wie geht es nun weiter? Den
drei Flüchtlingen droht weiterhin die Abschiebung. Der Auftrag aus dem
Regierungspräsidium Karlsruhe müsse umgesetzt werden, sagt Laura Riske,
Sprecherin des Polizeipräsidiums Freiburg. "Wir sind die Exekutive." Wie
genau die Polizei künftig vorgehen will, wenn ihnen der Zugang zu einer
Unterkunft versperrt wird, lässt die Polizeioberkommissarin aber offen.
Auch für Dieter Seywald, Leiter des Müllheimer Polizeireviers, ist die
Situation bislang ungelöst. In Rücksprache mit dem Führungs- und
Lagezentrum in Freiburg habe die Polizeistreife, die den Auftrag hatte,
die drei jungen Männer aus der Unterkunft abzuholen, den Rückzug
angetreten. Klar ist für Seywald aber auch, dass es nicht immer so
weiter laufen kann. Auch er betont: Der Abschiebeauftrag besteht. Mit
dem Präsidium in Freiburg ist Seywald nun im Gespräch, um die künftige
Verfahrensweise abzusprechen. Eine Überlegung, die dabei offenbar im
Raum steht, ist die, künftig mit mehr Beamten anzurücken.
Über die Möglichkeit, dass die Abschiebung von Protesten begleitet sein
könnte, hatte Revierleiter Dieter Seywald bereits im Vorfeld mit
Kollegen gesprochen. Bei massivem Widerstand, so lautete die Anweisung,
sollte die Aktion nicht durchgezogen werden. Auch Polizeisprecherin
Riske betont: "Für eine einzelne Streife war der Auftrag nicht
umsetzbar." Die Aktivisten – die Polizei spricht von 40 bis 50 Personen –
hätten sich untergehakt, an ein Vorbeikommen war für die Beamten nicht
zu denken.
Noch nicht geklärt ist die Frage, ob und inwieweit Personen, die sich an
der Aktion des zivilen Ungehorsams beteiligt haben, rechtlich belangt
werden können. Revierleiter Dieter Seywald sieht mindestens den
Straftatbestand der "Störung einer Amtshandlung" erfüllt. Möglicherweise
handele es sich auch um Widerstand gegen die Staatsgewalt,
möglicherweise gar um Nötigung. Dies zu überprüfen sei Aufgabe der
Staatsanwaltschaft.