Immer wieder gilt es aus dem Gefängnisalltag zu berichten, auch im Zusammenhang mit gerichtlichen Streitigkeiten, denn Inhaftierte verfügen über wenige Handlungsmöglichkeiten, wenn sie auf Missstände hinweisen wollen. Es bleibt ihnen, in existentiellen Fragen, der Hungerstreik, sie können resignieren, wie es all zu viele tun, sie können hoffen, dass durch Unterstützung von FreundInnen oder Familie die jeweilige Haftanstalt (vielleicht) einlenkt – und über all hinaus bleibt ihnen lediglich der Gerichtsweg.
A.) zu hohe Stromtarife
Manchmal handeln Rechtsstreitigkeiten nur von ein paar Cent, die jedoch, angesichts der angespannten ökonomischen Situation von Inhaftierten (qua Gesetz verdienen diese 9 % des Durchschnittslohns) für diese erhebliche Bedeutung haben. Nachdem das baden-württembergische Justizministerium 2014 die Stromkostenbeteiligung erheblich erhöhte, für einen Wasserkocher (500W) fielen nun 2,50 Euro/Monat und für einen Kühlschrank 4,86 Euro/Monat an, stellte ich Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Strafvollzugsgesetz), denn das Gesetz in Baden-Württemberg (vgl. § 52 BW-JVollzGB-5) gestattet lediglich eine Stromkostenbeteiligung, mit Betonung auf Beteiligung. Nachdem ich im ersten Durchgang verlor, denn das Landgericht Freiburg war der Ansicht, an der Höhe der Beteiligung sei nichts zu beanstanden, hob das Oberlandesgericht Karlsruhe (20.08.2014, Az.: 2 Ws 277/14) den Beschluss auf. Die JVA müsse nachweisen, dass die ihr tatsächlich entstandenen Stromkosten für meine Gerätschaften über den von mir gezahlten Beiträgen liege. Es sei nicht zulässig, von Inhaftierten mehr Gelder zu vereinnahmen, als tatsächlich an Kosten entstanden seien. Vielmehr müsse der von den Gefangenen erhobene Betrag unter den realen Kosten liegen, da das Gesetz eben lediglich eine Kosten-Beteiligung und keine (vollständige) Kostenübernahme vorsehen würde.
Und nunmehr hat das Landgericht Freiburg diese Entscheidung nachvollzogen (30.03.2015, Az.: 13 StVK 47/14) und beanstandete die eingangs erwähnten Beiträge. Im Rahmen des Verfahrens stellte sich heraus, dass die Anstalt keineswegs 0,299 Euro/kwh an den Energieversorger zahlt, sondern lediglich 0,189 Euro/kwh, so dass für den Wasserkocher maximal 1,70 Euro, bzw. für den Kühlschrank 3,06 Euro anzusetzen seien.
Soweit ersichtlich, haben nur sehr wenige Insassen gegen die Neuregelung 2014 Klage erhoben, die Bereitschaft des Landes, zu viel vereinnahmte Beträge an die Gefangenen zurück zu zahlen, dürfte nicht sonderlich ausgeprägt sein. Für das Land handelt es sich lediglich um einige tausend Euro (pro Monat), die es zu viel vereinnahmt. Für Gefangene, insbesondere jene, die lediglich die rund 35 Euro Taschengeld erhalten, machen die zu Unrecht erhobenen Beiträge jedoch einen wesentlichen Teil ihrer Ausgaben aus.
B.) Fesselung wie bei „Hannibal Lector“?
Herr Müller, wie er an dieser Stelle heißen soll, verbüßt seit mehreren Jahren in der JVA Freiburg Sicherungsverwahrung; er darf mehrmals im Jahr die Anstalt ungefesselt verlassen, um, bewacht von zwei Beamten in Zivil, die Umgebung zu erkunden und einkaufen zu gehen. Als vergangenes Jahr ein Facharzttermin erforderlich wurde, in Folge einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse, war Herr Müller ebenso erstaunt wie empört, als er in Hand- und Fußketten gelegt, zusätzlich mit einer Kette an einen der Wärter gefesselt, dem Arzt in Freiburgs Innenstadt vorgeführt wurde.
Gegen diese Art und Weise der Fesselung zog Herr Müller vor Gericht.
Herr Oberregierungsrat R. (der schon an anderer Stelle kreativ ein Pepperoni-Verbot in der Anstalt verteidigte) nahm für die JVA ausführlich Stellung zu der Klage des Herrn Müller und spekulierte, dass man nie wissen könne, wer in einer Arztpraxis anzutreffen sei, es also auch und gerade um die Sicherheit des Herrn Müller gehe, wenn man ihn gefesselt ausführe.
Das Landgericht ließ sich nicht überzeugen, es entschied, die Fesselung sei rechtswidrig gewesen (LG Freiburg, 30.03.2015, Az.: 13 StVK 548/14) und zwar schon aus formalen Grünen, denn Oberregierungsrat R. habe es unterlassen, die Verfügung über die Anordnung der Fesselung substantiell zu begründen.
Im übrigen sei es unzulässig, erst im gerichtlichen Verfahren irgendwelche Gründe nach zu schieben.
C.) Verzögerte Postaushändigung
Das Justizvollzugsgesetzbuch (§ 28 Abs. 2 JVollzGB-5) in Baden-Württemberg, bzw. die bundesgesetzliche Regelung (§ 30 StrVollzG-Bund) sehen vor, dass die Haftanstalten eingehende wie ausgehende Briefe „unverzüglich“ weiter zu leiten haben.
Als ein an einem Freitag, morgens um 9:01 Uhr der Anstalt zugestellter Brief, erst am darauf folgenden Dienstag, morgens um 7:14 Uhr ausgehändigt wurde – es handelte sich um ein zuzustellendes Schriftstück des Verwaltungsgerichts, wandte ich mich an das Landgericht. Denn regelmäßig werden solche Briefe erst nach Tagen ausgehändigt, und das obwohl sie nicht inhaltlich überwacht werden.
Versuche in den letzten Jahren, im Rahmen von Gesprächen dieses Problem zu lösen blieben erfolglos, denn Anstaltsleiter und nachgeordnete Bedienstete vertraten die Ansicht, sie hätten schon immer so diese Art und Weise der (verzögerten) Aushändigung praktiziert und würden keinen Grund sehen, hiervon abzurücken.
Das Landgericht Freiburg (16. März 2015, Az.: 13 StVK 18/15) stellte nunmehr fest, die Aushändigung sei rechtswidrig verzögert erfolgt. Die Anstalt hätte Sorge tragen müssen, dass das morgens eingegangene Schreiben noch am selben Tag ausgehändigt wird.
Es bestehe Wiederholungsgefahr, da konkret absehbar sei, dass die JVA auch künftig eingehende Post derart verzögert weiterleiten werde.
Zusammenfassung
Das Spektrum an Streitigkeiten von Inhaftierten mit der jeweiligen Haftanstalt wurde hier nur ausschnittsweise dargestellt; in der Literatur vgl. Feest/Lesting, „Contempt of court – zur Wiederkehr des Themas der renitenten Strafvollzugsbehörden“ in: Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag, Seiten 675 – 690) wird schon seit den 60er Jahren von einer Renitenz der Gefängnisverwaltungen gesprochen. Zum einen hinsichtlich der Beachtung der Rechtspositionen der Inhaftierten, zum anderen auch was die Befolgung gerichtlicher Entscheidungen anbetrifft hier heben Feest/Lesting, a.a.O., S. 687 die neue Rolle der Zivilgerichte hervor, da immer öfters diese den Gefangenen Geldentschädigungen zusprechen, wenn – mal wieder – eine Justizvollzugsanstalt Vorgaben der Strafvollstreckungskammer missachtet), denn immer wieder ignorieren Vollzugsanstalten gerichtliche Beschlüsse, oder versuchen sie (mehr oder minder kreativ) zu umgehen.
Die allerwenigsten Inhaftierten verfügen über die Kenntnisse, um vor Gericht zu ziehen, noch über erforderliche finanzielle Mittel, um eine/n Rechtsanwältin/Rechtsanwalt zu beauftragen, so dass im Ergebnis die Vollzugsanstalten weiter machen können wie bisher.
Es bleibt hinsichtlich des eingangs genannten Falles der überhöhten Stromtarife nun abzuwarten, ob oder wann die JVA Freiburg die rechtswidrige Praxis beendet, insbesondere, ob sie auch den hunderten Inhaftierten, die nicht vor Gericht gezogen sind, Gelder erstatten wird.
Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg