Die unbehagliche Realität des Antifaschismus in der Ukraine - Anton Shekhovtsov

Ukrainische Antifaschisten gedenken Stanislaw Markelow und Anastasia Baburowa, die von russischen Neonazis am 19. Januar 2009 in Moskau getötet wurden.
Erstveröffentlicht: 
10.03.2015

In den fast 20 Jahren seit der Erlangung der Unabhängigkeit stand der Begriff „Antifaschismus“ in der politischen Debatte in der Ukraine nicht besonders hoch im Kurs. Bis 2010 verwendete ein Segment der ukrainischen Linken den Begriff „Antifaschismus“ in erster Linie als eine Möglichkeit der Selbstidentifikation. Zugleich machten auch rechtsextreme Aktivisten von diesem Ausdruck Gebrauch, um ihre linken Gegner zu bezeichnen. Bis 2010 war der Ausdruck „Antifaschismus“ hauptsächlich in der subkulturellen Sphäre des physischen und symbolischen Kampfes zwischen linken und rechten Aktivisten zu finden.

 

Als der Begriff „Antifaschismus“ im politischen Mainstreamdiskurs in der Ukraine angekommen war, wurde er sogleich massiv problematisiert. Das problematische Wesen dieses Begriffs hatte weniger damit zu tun, was Antifaschismus essenziell implizierte - nämlich die Opposition zum Faschismus -, sondern resultierte aus dem manipulativen Gebrauch des „Antifaschismus“ im postsowjetischen Raum im Allgemeinen und in der Ukraine im Speziellen.

Der manipulative Gebrauch des „Antifaschismus“ erfreute sich seit Wladimir Putins zweiter Amtszeit (2004-2008) besonderer Prominenz. Im Zuge der „Orange Revolution“ in der Ukraine, als hunderttausende Ukrainer gegen den gefälschten „Wahlsieg“ des prorussischen Politikers Wiktor Janukowitsch bei den Präsidentschaftswahlen 2004 protestierten, diffamierten die mit Janukowitsch sympathisierenden Medien in der Ukraine und die Pro-Kreml-Medien in Russland die Anführer der proeuropäischen „orange“ Bewegung als „orange Faschisten“. Um die virtuelle Bedrohung einer „orange Revolution“ in Russland selbst abzuwehren, rief die Präsidentschaftsadministration eine „Demokratische Antifaschistische Jugendbewegung“ ins Leben, „Die Unseren“ C,Naschi“). Das Image der Bewegung nahm Anleihen am Vermächtnis der Sowjetunion: Die dominierende Farbe ist Rot, und die Webseite wurde sogar in der .su-Domain registriert, die ursprünglich für die Sowjetunion vorgesehen war.

Diese Faktoren geben den Blick frei auf den manipulativen Gebrauch des Begriffspaars Faschismus und Antifaschismus in Russland. Da der Kreml dem geopolitischen Glauben anhängt, die souveränen postsowjetischen Staaten würden zur Einflusssphäre Russlands gehören, interpretiert Moskau die Bestrebungen dieser Staaten, die russische Einflusssphäre zu verlassen, als antirussische Aktionen. Da der Kreml außerdem den politischen Kult des „Sieges im Großen Vaterländischen Krieg“ pflegt, wobei dieser Krieg gesehen wird als ein Kampf zwischen den Sowjets und den Faschisten und zudem in Fortsetzung der sowjetischen Tradition der Antikommunismus mit dem Antisowjetismus gleichgesetzt wird, neigt Moskau dazu, das, was als anti-russische Ressentiments wahrgenommen wird, ebenfalls als faschistisch zu deklarieren. Daher impliziert der Begriff „Antifaschismus“ in seiner manipulativen Interpretation eine Opposition zu den geopoliti-schen Bedrohungen, die das Putin-Regime als solche wahrnimmt und mit denen es sich konfrontiert sieht.

In einer ähnlich verzerrten Interpretation fand der Begriff „Antifaschismus“ Eingang in den politischen Mainstreamdiskurs der Ukraine nach 2010. Diese Entwicklung wurde mit drei wichtigen Ereignissen in Verbindung gebracht. Erstens wrurde Janukowitsch 2010 zum Präsidenten der Ukraine gewählt, implementierte eine prorussische Außenpolitik und begann damit, politische Gegner zu verfolgen. Zweitens gründete der russische Politiker und Geschäftsmann Boris Spiegel, der enge Verbindungen zum Kreml unterhielt, im selben Jahr in Kiew eine Organisation namens World With-out Nazism (WWN). Drittens rief im Jahr 2011 Wadim Kolesnitschenko, ein wichtiger Verbündeter Janukowitschs, die Internationale Antifaschistische Front (IAF) ins Leben.

Beide Organisationen verfolgten offiziell das Ziel, gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und die Glorifizierung von Nazi-Verbrechen zu kämpfen, jedoch waren ihre eigentlichen Ziele andere. Die WWN brachte sich aktiv in die russische Außenpolitik ein und versuchte, die öffentliche Meinung in den früheren Sowjetrepubliken zu beeinflussen. Die IAF organisierte Proteste gegen die politische Opposition Janukowitschs. Ursprünglich attackierte die IAF die rechtsextreme Partei „Swoboda“, die Janukowitsch gegenüber kritisch eingestellt war, aber da sich „Swoboda“ mit der demokratischen Opposition verbündete, geriet letztere ebenfalls ins Fadenkreuz der IAF. Die Proteste der „antifaschistischen“ Organisation gegen die gesamte politische Opposition zielten also darauf ab, diese als „faschistisch“ zu diskreditieren. Die IAF hatte diese Taktik von der russischen „Naschi“-Bewegung übernommen, die ebenfalls sämtliche Gegner Putins aus einer „antifaschistischen“ Position heraus angreift.

Die Aktivitäten der WWN und der IAF führten zu einem konzeptuellen Konflikt zwischen der ursprünglichen Definition des Antifaschismus als einem Kampf gegen den rechten Extremismus, wie er von der ukrainischen Linken geführt worden war, und der implizit manipulierten Interpretation, die darauf hinausläuft, dass Russland in der Ukraine seine eigenen Interessen verfolgt. Die ukrainische antiautoritäre linke Bewegung hatte nicht genug politische Kraft, um ihre eigene Interpretation des Begriffs „Antifaschismus“ zu verteidigen. Nachdem die prorussischen Medien die „Volksrepubliken“ in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten der Ostukraine als „antifaschistische Staaten“ bezeichneten, die gegen die „faschistische Junta in Kiew“ kämpften, geriet der Begriff „Antifaschismus“ vollends in Verruf. Inzwischen verwenden die ukrainischen linken Aktivisten den Begriff so gut wie gar nicht mehr im öffentlichen Diskurs und sprechen stattdessen lieber vom Kampf gegen Rassismus, Intoleranz und politischen Terror.

Aus dem Englischen von Mascha Dabić
Erstveröffentlichung in "Beton International: Zeitung für Literatur und Gesellschaft" (10. März 2015)