[LE] Militanz statt Happenig - Legida und (k)ein Ende in Sicht

Symbolbild Feuer, Quelle: Wikipedia

Volksdeutsche und Anständige im Ausnahmezustand

Seit nunmehr acht Wochen kommt der Rhythmus des alltäglichen Lebens in Leipzig ins Stocken. Wöchentlich zieht es zu Beginn der gewöhnlichen Arbeitswoche mehrere hunderte, anfänglich mehrere tausende, Personen unter dem lächerlichen Banner „Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Legida) auf die Straße um die Tristesse des Alltags zu verschlimmern indem qua Rekurs auf eine vermeintliche Natürlichkeit von Menschengruppen hingewiesen wird und dessen Heiland im autoritären, starken Volksstaat herbeigesehnt wird. Flankiert wird dieses Gebären von einem obskuranten Wir-Gefühl und Opfer-Mentalität. Auf der Gegenseite findet sich mehrheitlich eine Ansammlung von staatstreuen Demokraten, die weniger an der Verhinderung als vielmehr am Gefühl der gemeinsam erlebten Verteidigung des so genannten „Geist von Leipzig“ (Thomas Feist) interessiert sind und mit viel Lokalpatriotismus ein falsches Bild des „weltoffenen und vielfältigen“ Leipzigs zeichnen. Kritik am staatlich legitimierten Normalvollzug mit all seinen Staatsbütteln und Gesetzen hört man vergebens – vielmehr fleht man darum, eben diese nun zur Verhinderung des Gegenspielers einzusetzen statt auf selbstbestimmte Aktivität ohne Nachfrage zu setzen. Als dritte Kraft in dieser Gemengelage agiert nun noch der Teil eines autonomen Antifaschismus, welcher zurecht auf Regeln und Gesetze der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ verzichtet und mit Vaterlands- bzw. Stadtliebe nur Hass verbindet. Doch auch hier machen sich Risse seit Anbeginn der Proteste bemerkbar und vieles lebt mehr vom Schein vergangener Tage als vielmehr von deren praktischer Umsetzung. Zeit genug also für eine Bestandsaufnahme.

 

Volk – Kultur – Wahn

 

Seit Oktober 2014 bricht sich eine konformistische Revolte neuen Typs, gerade im wertkonservativen Sachsen, Bahn und befriedigt wiederholt das Gefühl des deutschen Untertans. So sehr anfänglich die Sorge um einen bundesweiten Trend bestand, so sehr ist diese derzeitig nicht zu erwarten, wenngleich in den neuen Bundesländern sich die TeilnehmerInnenanzahl mittlerweile konstant und vereinzelt auch wieder erhöht hat. Inhaltlich hat sich dabei wenig bewegt, auch wenn aus den einstmals 19 Forderungen von „Pegida“ zehn so genannte „Dresdner Thesen“ hervorgegangen sind und nun für alle Ableger in Deutschland gelten, will man sich dem Original verpflichten. Historisch wandelt man augenscheinlich auf den Pfaden der protestantischen Reformation und nagelte im Stile eines Martin Luther diese an Kirchen in Dresden und Leipzig.

 

Weiterhin steht der „Schutz, Erhalt und respektvoller Umgang mit unserer Kultur und Sprache“ an vorderster Stelle, wobei natürlich auch traditionelle Familienbilder gewahrt werden, wenn vor „der Genderisierung und der Frühsexualisierung“ gewarnt wird. Über allem thront hier ein Verständnis, dass gesellschaftliche Prozesse (Kultur, Sprache, Gender) mittels Geburt und festgeschriebener Nation eine Natürlichkeit in sich bürgen und zeitlebens unabänderlich sind. Diese Ansicht verkennt Menschheitsgeschichte als Prozess gesellschaftlicher Umwälzungen, wodurch bestimmte Kategorien geschaffen, aber ebenso veränderbar sind. Es trachtet nicht nach deren universale Geltung ohne Verlust individueller Selbstbestimmung, sondern fordert das nationale Kollektiv in welchem abweichendes Verhalten mit Strafen im Sinne des „Gemeinwohls“ begegnet wird.

 

Folglich resultiert hieraus die Forderung nach „strikter Umsetzung eines Zuwanderungsgesetzes nach demographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten“ und verweist überdies auf den zutiefst bürgerlichen Charakter. Eben jener bürgerliche Rechtsstaat ist es gerade doch, der kein Interesse an der Beendigung der weltumfassenden „Plusmacherei“ bzw. des sich selbstverwertenden Werts hat. Vielmehr sorgt dieser „ideele Gesamtkapitalist“ für die Rahmenbedingungen der gegenwärtigen Produktionsweise. „Pegida“ fordert nun neben ökonomischer Verelendung menschlichen Daseins weitere Komponenten, wenn es weiter „demographische und kulturelle Gesichtspunkte“ hinzufügen möchte um zu entscheiden wer an gesellschaftlicher Teilhabe im nationalen Rahmen partizipieren darf. Ersteres erinnert dabei an die Vorstellung eines „organischen Volkskörpers“ der Nationalsozialisten und bedeutet im Resultat einen staatlichen Eingriff in die Autonomie über den eigenen Leib. Letzteres bleibt unklar und wird es auch bleiben, da sich nationale Grenzen über die Zeiten hinweg geändert haben und somit von einer einheitlichen „Nationalkultur“ nicht die Rede sein kann.

 

Weiter wird eine „Aufstockung der Mittel der Polizei und Beendigung des Stellenabbaus“ gefordert und veredelt die Vorstellung des Volksstaats durch ihre gewalttätige Durchsetzung. Kümmerlichen Existenzen, wie es Polizisten und andere Schweine darstellen, wird so das Wort geredet, weshalb es nicht verwundert, wenn seit Anbeginn von „Legida“ Polizeigewalt gegenüber Gegenprotest und Anzeigen wegen bloßer Ankündigung einer Behinderung des Ablaufs, öffentlich kritisiert werden. Ein Korps-Geist durchdringt seit Jahrzehnten das gemeine Schwein in Uniform und lässt somit auch vermeintlich allgemein geltendes Recht zu einer Besonderheit verkommen, wenn bspw. vergangenes Jahr über 180 Anzeigen in Sachsen ohne Erfolg blieben. Dies zeigt einmal mehr mit welchen Interesse dem Treiben zugeschaut wird und wie verlogen sich allgemeine Rechtsprechung gestaltet. Doch lassen wir uns nicht auf solch niedriges Niveau herab und begegnen dem mit einem Lächeln im Gesicht und der einzig wirksamen Methode – der nonverbalen Auseinandersetzung oder auch „Kritik im Handgemenge“.

 

Ein letzter Punkt des Forderungskatalogs fordert eine „sofortige Normalisierung des Verhältnisses zur russischen Föderation“ im Bilde eines Europas „starker souveräner Nationalstaaten“ indem Freihandelsabkommen wie „TTIP, CETA und TISA“ abgelehnt werden um eine „europäische Selbstbestimmung“ zu gewährleisten. Hier zeigt sich die antiamerikanische Komponente, die vielerorts von Plakaten mit den Aufschriften „Ami – Go Home“ oder „Wir sind keine Ami-Knechte“ untermalt wird und von einem „besetzten“ Land ausgeht. Dabei ist diese „Besetzung“ nicht nur ökonomischer, sondern auch kultureller Natur. So verwundert es nicht, wenn Personen wie Jürgen Elsässer (Herausgeber des Magazin „Compact“) regelmäßig Redner bei „Legida“ sind und an menschenunwürdigen Produktions- und Besitzverhältnissen nichts zu kritisieren haben, sofern diese nur die Wirtschaft im nationalen Rahmen berührt. Der Feind wird schließlich in europäischen Institutionen wie der EU oder der Nato ausgemacht und Russland als Bollwerk gegen „dekadenten Liberalismus“ verehrt. Ähnlich sieht es der weitere Dauerredner Götz Kubitschek, der über den „Verlag Antaios“, der Herausgabe der Zeitschrift „Sezession“ oder dem reaktionären Think-Tank „Institut für Staatspolitik“ seit Jahrzehnten an der Wiederauflage von Vertretern der so genannten „Konservativen Revolution“ arbeitet. Ein autoritärer Staat, welcher durch einen vermeintlichen Ursprung eines Volkes und dessen Mythos Gestalt erhält, ist auch hier Wunschbild einer zukünftigen Gesellschaft. Und wie selbstverständlich brüllen schließlich „Legida“-AnhängerInnen „Nazis raus“ zu GegendemonstrantInnen ohne auch nur im entferntesten eine Ahnung der Charakteristika des Nationalsozialismus zu haben. Schließlich wollten auch Vertreter der „Konservativen Revolution“ zeitlebens nicht verstehen wie sehr diese mit deren Schriften zum Aufstieg dieses Schreckens gesorgt haben.

 

Bröckelnde Mauer

 

Vor dem ersten „Legida“-Aufmarsch gab es in der Leipziger Presse- und Kulturlandschaft weitestgehend negative Publicity und Hoffnung auf einen kurzen Versuch mit baldigen Ende. Am 12.01. war tatsächlich das bloße Zahlenverhältnis eindeutig: 35 000 Menschen äußerten auf unterschiedlichen Weg und Motivation ihren Unmut gegen knapp 3 000 Volksdeutsche. Doch trotz dieser Situation wollte eine vernünftige Be- geschweige denn Verhinderung nicht funktionieren. Das Gros versammelte sich vor einer Bühne mit Politprominenz und zwei antifaschistische Demonstrationen erfuhren starken Zulauf, aber handelten wenig effizient. In der darauf folgenden Woche erfolgte ein Ortswechsel und „Legida“ wähnte sich in der Tradition der Proteste von 1989. Dies konnte und wollte die Heldenstadt Leipzig nicht unkommentiert stehen lassen und organisierte abermals eine Bühne um „lautstark und kreativ“ auf der Stelle zu verharren. Ein martialisches Bullenaufgebot tat sein übriges, so dass es wiederholt zu keiner nennenswerten Störung kam. Wer noch nicht ganz im städtisch organisieren Taumel ankam und weiterhin zarte Akzente zivilen Ungehorsams praktizieren wollte, begnügte sich beim Wettbewerb um das originellste Pappschild mit der dümmsten Aufschrift oder versuchte alle Gliedmaßen und Dinge zu einer möglichst hohen Lautstärke zu bewegen. Ein albernes Bild, was sich bis heute fortsetzt und nur Lachen auf beiden Seiten („Legida“ und Bullen) hervorruft.

 

Natürlich gibt es auch seit Anbeginn FreundInnen der militanten Aktion. Vereinzelt brannte es ein wenig oder handfeste Argumente wurden ausgeteilt. Im Resultat geschah dies jedoch auf Sparflamme. Dabei ist klar: Areal und Bullenaufgebot machen agieren in unmittelbarer Nähe geradezu unmöglich. Aber lebt doch das Konzept dezentraler Aktionen gerade eben vom wohlweislich organisierten Chaos, ob in unmittelbarer oder ferner Nähe. Barrikaden, Menschen in Laufschritt und ähnliches lassen Pläne der Bullen nicht unkommentiert umsetzen und widersetzen sich bewusst deren Spielregeln. Bestenfalls kann eine Absicherung des Aufmarschs nicht gewährleistet werden, muss warten und nötigenfalls sogar abgebrochen werden. Dies klappte vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Demonstrationen des Hamburger Nazis Christian Worch sehr gut, bis dieser frustriert aufgab. Daher der Appell, dieses Konzept zu verinnerlichen und deren Erfolgsaussichten als Motivation zu betrachten. Ängste sollten natürlich trotz alledem ihre Berücksichtigung erfahren und Sitzblockaden nicht als softer Widerstand belächelt werden. Das Zusammenspiel beider Konzepte könnte neue Möglichkeiten ergeben. Gegenwärtig ist es indes ein Armutszeugnis, wenn eine Satire-Veranstaltung mit immergleichen Sauf- und Zotenwitzen den größten Zulauf der Gegenproteste erfährt und eine ernsthafte Auseinandersetzung, geschweige denn Verhinderung, ad absurdum führt. Bei allem Respekt vor der Standhaftigkeit vieler Protestierender: Die Konzentration sollte auf einer aktiven Be- bzw. Verhinderung des Legida-Aufmarschs liegen und nicht bei der Selbststilisierung kreativen Protests.

 

Die letzten weisen Worte überlassen wir frohen Mutes einem russischen Aufständischen aus dem Jahr 1905, welche an Aktualität nichts eingebüßt haben:

Die Zahl der kleinen Gruppen muss so groß wie möglich sein und jede von ihnen muss lernen, schnell anzugreifen und zu verschwinden. Die Polizei kann eine Masse von tausend Personen mit einer einzigen Gruppe von hundert Bullen niederschlagen. Es ist einfacher hundert Menschen zu besiegen als einen einzelnen, vor allem wenn er überraschend zuschlägt und mysteriös verschwindet. Die Polizei ist machtlos, wenn die Stadt von diesen kleinen, unangreifbaren Splittergruppen übersäht ist. […] Unsere Stärken sollen Innenplätze sein, und alle Orte, von wo man leicht zuschlagen und einfach abhauen kann. Würden sie diese Orte einnehmen wollen, dann werden sie dort niemanden finden und hätten zahlreiche Bullen verloren.

 

Einige Feuerkäfer