Bürgermeister Ingo Lippert spricht von "unspektakulärem" Zusammenleben / 500 Menschen wohnen im Erstaufnahmeheim
Von Andreas Hummel
Eisenberg. Gerhard Übensee ist auf dem Weg in seinen Garten - vorbei an
schmucken Häusern mit gepflegten Vorgärten. Seit rund 30 Jahren wohnt
er in direkter Nachbarschaft von Thüringens ältestem Erstaufnahmeheim
für Flüchtlinge in Eisenberg (Saale-Holzland-Kreis). "Mit den Ausländern
gibt es keine Probleme", so der 73-Jährige. Angst habe er nicht, und
von Einbrüchen sei ihm nichts bekannt. Ähnlich entspannt ist Heidrun
Walther, die mit ihrem Hund spazieren geht. "Mich stören sie nicht. Ich
bin noch nie dumm angemacht worden." Während andernorts bei Bürgern die
Emotionen hochkochen, wenn neue Heime eingerichtet werden sollen,
scheinen in Eisenberg wenige Menschen ein Problem mit der dortigen
Einrichtung zu haben. Zwar werden Alltagssorgen geäußert - doch viele
Vorurteile entpuppen sich als das, was sie sind: Klischees.
In der DDR war das Heim das einzige Aufnahmelager für
West-Ost-Migranten. Nach der Wiedervereinigung kamen dort jüdische
Migranten und Spätaussiedler unter. Seit mehr als zehn Jahren ist es das
erste Zuhause für Asylbewerber in Thüringen. Bis zu drei Monate bleiben
sie dort, ehe sie an Landkreise und kreisfreie Städte weitergereicht
werden. "Die Menschen hier haben sich daran gewöhnt, das Zusammenleben
ist unspektakulär", sagt Bürgermeister Ingo Lippert (SPD). Seine Stadt
hat knapp 11000 Einwohner, im Erstaufnahmeheim lebten zuletzt rund 500
Asylbewerber - ein Anteil von fast fünf Prozent. Da sie als Einwohner
gemeldet sind, bekommt die Stadt für sie auch Schlüsselzuweisungen vom
Land. "Dem steht wegen häufigen Wechsels etwa ein erhöhter Aufwand im
Einwohnermeldeamt entgegen."
Lippert weiß, dass immer wieder Gerüchte über die Menschen in der
Erstaufnahme wabern. Eines sei gewesen, dass das Freibad im Sommer einen
Tag nur für Flüchtlinge offen sein soll; ein anderes, dass ein
Supermarkt wegen der Flüchtlinge schließen wolle. "Alles Quatsch", sagt
der Bürgermeister. "Diese Menschen werden nicht bevorzugt behandelt,
sondern wie jeder andere auch." Manche politische Gruppe habe aber wohl
ein Interesse daran, Missgunst zu schüren und so Stimmung bei Wählern zu
machen. So hat die NPD bei der jüngsten Landtagswahl in Eisenberg sechs
Prozent geholt - mehr als im Landesdurchschnitt (3,6 Prozent).
Etliche Flüchtlinge laufen an diesem Vormittag mit Einkaufstüten die
Bundesstraße 7 entlang zum Erstaufnahmeheim. Sie bekommen bis zu 140
Euro zur freien Verfügung und sorgen bei den Händlern in der Nähe für
Umsatz. Öffentlich äußern will sich aber kaum ein Ladeninhaber. Unter
der Hand heißt es, Flüchtlinge seien Kunden wie alle anderen - größere
Probleme gebe es nicht. Doch ist von Verständigungsproblemen die Rede.
Sie spreche kein Englisch, mancher Asylbewerber sei schon ungehalten
geworden, wenn sie ihn nicht verstanden habe, erzählt etwa Corinna
Rühling, die bei einem Bäcker hinterm Tresen steht.
Konkrete Zahlen zur Kriminalität in Eisenberg konnte die Jenaer
Landespolizeiinspektion bisher nicht vorlegen. Probleme gebe es eher mit
Auseinandersetzungen der Bewohner untereinander, heißt es. Wird ein
Diebstahl angezeigt, informiere ihn die Polizei, erklärt Burkhard
Zamboni, der die Erstaufnahmestelle leitet. "Das waren seit 2004
vielleicht eine Handvoll." Zamboni hofft derweil, dass sich mit einer
weiteren Außenstelle etwa in Gera die Situation im Eisenberger Heim
entspannt und die zusätzliche Unterbringung in Wohncontainern ende. Sie
wurden 2013 als Interim aufgestellt.
Mitunter lassen Asylbewerber schonmal Müll im Freien liegen, berichten
Eisenberger. Bürgermeister Lippert: "Manche suchen auch in
Kleidercontainern nach Brauchbarem." Er warnt aber, alle über einen Kamm
zu scheren. "Viele Deutsche sind auch nicht besser und denken gar nicht
daran, den Kot ihres Hundes wegzuräumen", konstatiert Anwohnerin
Christa Polowy. Generell sei die Nachbarschaft kein Problem, sagt
Martina Thieme. "Einige Ausländer grüßen sogar ganz freundlich, wenn man
sich auf der Straße begegnet."