In Berlin werden bald wieder fleißig Unterschriften gesammelt. Ziel ist ein Volksbegehren für ein Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin. Beteiligt sind daran bislang Aktivisten aus diversen Mieter- und Stadtteilgruppen, aber auch einzelne Mitglieder von Jugendverbänden und der Oppositionsparteien Die LINKE und Piraten. Seit August 2014 wurde in mehreren Arbeitsgruppen an dem Gesetzentwurf gearbeitet, auch mit Unterstützung von Verwaltungsexperten und Juristen. Mittlerweile hat sich die Initiative auch eine verbindliche Struktur gegeben. Als offizieller Träger des Volksbegehrens wurde ein Verein gegründet, ein Koordinierungskreis soll die Kampagne inhaltlich und praktisch voranbringen. Dazu kommen regelmäßige Aktiventreffen, die auch die Verbindung zu den viele Kiezgruppen in der Stadt gewährleisten sollen.
Das umfangreiche Gesetzeswerk umfasst 53 Paragrafen. In
der Präambel wird das zentrale Anliegen formuliert: „In Erfüllung des
Verfassungsauftrages nach Artikel 28 Absatz 1 der Verfassung von Berlin
ist es Aufgabe der Wohnraumförderung des Landes Berlin, stadtweit
Wohnraum zu angemessenen Bedingungen zur Verfügung zu stellen.(..) Die
Wohnraumförderung hat vorrangig für eine ausreichende Wohnraumversorgung
derjenigen privaten Haushalte zu sorgen, die auf dem Wohnungsmarkt
besonders benachteiligt sind und sich nicht selbst mit angemessenem
Wohnraum versorgen können (..) Die Wohnraumförderung des Landes Berlin
soll sich daran orientieren, dass Verdrängung von Beziehern von
Transferleistungen und Geringverdienenden aus ihren Wohnungen,
insbesondere aus den innerstädtischen Stadtteilen sowie Gebieten mit
angespannten Wohnungsmärkten, vermieden wird.“
Erreicht werden
soll das in erster Linie mit einer Neuausrichtung der sechs städtischen
Wohnungsbaugesellschaften, die derzeit rund 300.000 Wohnungen besitzen.
Sie sollen in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) umgewandelt werden,
die ohne eigenwirtschaftliche Gewinninteressen operieren. Der
ursprüngliche Vorschlag, die Gesellschaften in einer einzigen Anstalt
zusammenzufassen, konnte sich nicht durchsetzen.
AöR sind im
Landesbesitz befindliche Unternehmen, die per Gesetz mit einer Aufgabe
im Rahmen der Daseinsvorsorge betraut werden. In Berlin haben die
kommunalen Wasserbetriebe, die Stadtreinigungsbetriebe, die
Verkehrsbetriebe und die Investitionsbank des Status einer AöR.
Die
Wohnungsunternehmen sollen über fünf Jahre verteilt pro Wohnung eine
zusätzliche Eigenkapitalausstattung von 1800 Euro erhalten, insgesamt
also rund 540 Millionen Euro. Dieses Geld darf laut dem Entwurf „nur für
die Erweiterung des Wohnungsbestandes der Anstalten durch Neubau oder
Ankauf verwendet werden“. Vorrangig sollen noch gebundene oder vormals
öffentlich geförderte Wohneinheiten (Sozialwohnungen) sowie Immobilien
in innerstädtischen Gebiete mit besonders angespanntem Wohnungsmarkt
erworben werden. Auch der Neubau soll sich auf diese Gebiete
konzentrieren.
Um die Festlegung auf Neubau in innerstädtischen
Gebieten als einer der zentralen Aufgaben der AöR hatte es im Vorfeld
heftige Auseinandersetzungen in der Initiative gegeben. Einige
Aktivisten verlangten, dass der Gesetzentwurf jegliche Verdichtung
innerstädtischer Gebiete ablehnt und besonders die Bebauung von Grün-
und Brachflächen generell ausschließt. Diese Position konnte sich
allerdings nicht durchsetzen, woraufhin sich einige Gruppen zurückzogen.
Eine weitere Passage des Entwurfs widmet sich der Struktur der
AöR und regelt unter anderem detailliert die Mitbestimmungsrechte auf
Objekt – Stadtteil- und Landesebene. Diese betreffen sowohl die
Mietpreisgestaltung als auch bauliche Maßnahmen zum unmittelbaren
Wohnumfeld und Modernisierungen.
Im vierten Abschnitt geht es
schließlich um die „Sicherung der Miete und Bindungen von öffentlich
geförderten Wohnungen und Wohnungen ohne Anschlussförderung“, was
weitere 136.000 Wohnungen betrifft. In den noch geförderten Objekten
sollen einkommensbezogene Mietobergrenzen greifen, die Differenz soll
durch öffentliche Subvention erfolgen. Für Mieter, deren Wohnkosten im
Rahmen von Transferleistungen wie Hartz IV oder Altersgrundsicherung
übernommen werden, erfolgt die Deckelung anhand der jeweils gültigen
Kostenübernahmesätze des Landes Berlin. Die Höchstgrenze liegt derzeit
beispielsweise für einem Ein-Personen-Haushalt bei 411 Euro Warmmiete.
Das
soll auch für Häuser gelten, die aus der Förderung herausgefallen sind,
und deren Mieter teilweise unglaublichen Mietsprüngen von bis zu 100
Prozent ausgesetzt. Auch hier will das Gesetz einen Schutzmechanismus
schaffen. Betroffene Mieter sollen laut §33 für einen Zeitraum von bis
zu zehn Jahren einen individuellen einkommensbezogenen Mietausgleich
anolog zu den Regelungen im geförderten Wohnungsbau erhalten. An dieser
Festlegung gab es im Vorfeld heftige Kritik. Denn das bedeutet, dass
private Hausbesitzer die aus dem abstrusen Fördersystem des alten
sozialen Wohnungsbaus abgeleiteten „Kostenmieten“ und somit ihre Profite
für einen längeren Zeitraum direkt aus Steuermitteln garantiert
bekommen, während einkommensschwache Mieter in „normalen“ privaten
Mietshäusern der Vertreibung durch zu hohe Mieten nahezu schutzlos
ausgeliefert bleiben. Ein Sprecher des Mieten-Volksbegehrens begründete
dies gegenüber ME damit, „dass ohne irgendeinen Eingriff tausende
Haushalte, die zu den ärmsten in Berlin gehören, sonst in den nächsten
Jahren ausziehen müssten“ und somit „zu Opfern der kriminellen
Förderpolitik der letzten Jahrzehnte“ würden. Das Ganze sei als
„Übergangslösung“ gedacht, damit der Senat endlich die Instrumente für
eine dauerhafte Lösung für die Häuser ohne Anschlussförderung schaffe.
Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, denn die Initiative sah sich
mit der Drohung der sehr präsenten Sozialmieter-Lobby konfrontiert, ohne
diesen der Grundausrichtung des Gesetzentwurfs (Objekt- statt
Subjektförderung) eigentlich widersprechenden Passus komplett aus dem
Volksbegehren auszusteigen, was man keinesfalls riskieren wollte.
Generell
bleibt festzuhalten, dass der Weg zu dem jetzt fertigen Gesetzentwurf
für ein Volksbegehren auch ein beträchtlicher Desillusionierungsprozess
für viele Akteure war. Denn es gibt sehr enge rechtliche Grenzen für
bindende Plebiszite. Diese müssen sich auf ein eindeutig abgegrenztes
Rechtsgebiet beziehen, das der Landesgesetzgebung unterliegt. Weder
bundesrechtliche Fragen, wie die Kriterien des Mietspiegels oder
Mietobergrenzen bei Neuvermietungen , noch Landes- und
Bezirksangelegenheiten, die nicht per Gesetz, sondern per Verordnung
geregelt werden, können Gegenstand eines landesweiten Volksbegehrens
sein. Daher wurden auch Forderungen nach einem generellen Verbot von
Zwangsräumungen und Ausweitung von Milieuschutzgebieten nicht in den
Entwurf aufgenommen. Die Initiative betont daher, dass die Kampagne für
das Volksbegehren weit über über den eigentlichen Gesetzentwurf hinaus
gehen soll und alle relevanten wohnungspolitischen Fragen in den Fokus
rücken werde.
Die Unterschriftensammlung soll Ende März
beginnen. In der ersten Stufe, dem sogenannten Zulassungsverfahren,
müssen binnen sechs Monaten mindestens 20.000 wahlberechtigte Berliner
ihre Unterstützung erklären. Gelingt dies, hat das Abgeordnetenhaus
vier Monate Zeit, um über den Gesetzentwurf zu befinden. Wird dieser
abgelehnt, startet das eigentliche Volksbegehren, für das 173.000
gültige Unterschriften gesammelt werden müssen. Falls diese Hürde
ebenfalls genommen wird, kommt es zum Volksentscheid, für den ein
doppeltes Quorum gilt. Zum einen muss es mehr Ja- als Neinstimmen geben,
aber die Zustimmungsquote muss auch mindestens 25 Prozent der
Wahlberechtigten (rund 630.000) betragen. Um die dafür notwendige hohe
Wahlbeteiligung zu sichern, strebt die Initiative an, den Volksentscheid
parallel zu den nächsten Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2016
durchzuführen.
Es ist also noch ein langer Weg bis zur
Realisierung des angestrebten „Gesetzes über die Neuausrichtung der
sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“. Und es muss sich erst noch
erweisen, ob es tatsächlich gelingt, mit dessen Stoßrichtung tatsächlich
eine breite Mobilisierung in Berlin zu realisieren. Der
wohnungspolitischen Debatte dürfte das Vorhaben allemal nutzen.
Rainer Balcerowiak