[Beirut Diaries I] „Oud“ und Arak
Angekommen. Zwei Straßenhunde begrüßen uns am Rafik-Hariri-Flughafen, unser Freund bringt uns nach Gemmayeze. Unsere Wohnung ist großartig, Hipster-Lifestyle im Zentrum Beiruts, mit 20 m² Balkonfläche, die wir zum Rauchen nutzen. Wir tun, was zu tun ist, wir genehmigen uns ein Cognäkchen und machen uns ans Werk.
Wir treffen unseren Freund Mohammed* in der Hamra-Straße, in einem Restaurant, das traditionelle libanesische Küche anbietet. Wir sind – ich mehr, Willi Berg als klassische Kartoffel weniger – alle Liebhaber der türkischen Küche und Trinkkultur, wir fühlen uns also sofort zuhause. Die „Mezze“, kleine Vorspeisenteller mit allerlei Köstlichkeiten, heißen hier Mezza und sind dieselben wie in Istanbul: Dolma, Humus, Auberginen-Aufstrich. Köfte gibt’s auch, es heißt Kafta und wird genau wie in der Türkei serviert, mit aufgeschnittenen Zwiebeln und mitgegrilltem Brot. Besonders erfreulich ist, dass es auch Saz-Lifemusik gibt. Die Saz ist hier etwas größer und heißt „oud“. Ein Musiker spielt und singt, die Gäste, wie wir, schon in ausgelassener Stimmung durch den Raki, der hier Arak heißt, und schon gemischt serviert wird, stehen auf, tanzen, singen, klatschen.
Mohammed kommt aus der Türkei, er ist hier, weil er mit einer international tätigen Hilfsorganisation arbeitet und im Libanon viel zu tun ist. Seinen Namen müssen wir ändern, denn mit Journalisten darf er nicht reden, zumindest nichts Politisches, da macht die Regierung Ärger. 1,5 Millionen registrierte Refugees gibt es im Libanon derzeit – auf etwa viereinhalb Millionen Einwohner. Sie sind überall, in den Städten, Dörfern, in Camps aus Zelten in der Bekaa-Ebene, die wir in den kommenden Tagen besuchen werden.
Der Flüchtlingsstrom aus dem benachbarten Syrien ist im Libanon überall spürbar. Dutzende Hilfsorganisationen versuchen, das Nötigste bereitzustellen, aber es mangelt an allem. Raunzen in Deutschland die Stammtische schon, wenn einige dutzend Flüchtlinge in einem Stadtteil oder Dorf untergebracht werden sollen, hat man hier mehr als ein Viertel der Bevölkerung, das auf der Flucht ist. Dazu kommen noch hunderttausende Palästinenser, die seit 1948 hier in abgeschlossenen Camps leben. Es gibt Orte, soviel konnten wir schon erkennen, in die man kaum gehen kann, denn die Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen und Milizen sind zu stark. Ain el-Hilweh, ein Palästinenserlager bei Sidon, aber auch Teile der Bekaa-Ebene rund um den Ort Arsal, wo es immer wieder Gefechte mit islamistischen Gruppierungen gibt, die aus Syrien einsickern, was die libanesische Armee natürlich verhindern will.
Der Arak ist leer, wir zahlen. 85 Dollar kosten die Vorspeisen, zwei kleine Krüge Arak und einmal Köfte, 20 davon sind fürs Hören der Musik. Ich frage Mohammed, was zur Hölle denn hier der Durchschnittslohn sei, denn es war sicher kein Luxusrestaurant, in dem wir dinniert haben. „Der gesetzliche Mindestlohn liegt bei 400 Dollar im Monat. Aber im Libanon gibt es zwar eine Reihe von solchen Gesetzen, nur setzt sie niemand durch. Wieviel die Leute tatsächlich im Schnitt verdienen, ist schwer zu sagen, aber das Essen in Restaurants können sich viele nicht leisten.“ Insbesondere die schiitische Bevölkerung sei oft sehr arm, und migrantische Arbeiter. Die Oberschicht hält sich Diener, oft Leute, die aus Asien kommen, in kleinen Kämmerchen wohnen und in sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen gehalten werde.
Die Leute, die sich solche „Bediensteten“ halten, sahen wir dann heute, als wir durch das aus Nobelboutiquen und Luxusrestaurants bestehende Stadtzentrum liefen. Der Kontrast zu den Außenbezirken könnte größer nicht sein. Nur wenige Leute sieht man in den Straßen, sie alle tragen ihren Reichtum ostentativ zur Schau. Die Hälfte der Menschen die in der Innenstadt zu sehen sind, sind Sicherheitspersonal: Polizei, Soldaten, private Securities. Offenbar will der dekadente Reichtum in einem armen Land gut geschützt sein.
*Name geändert
[Beirut Diaries II] Ein Beirut für die Bourgeoisie, ein anderes Beirut für die Armen
Auch wenn es kaum eine Bewegung dagegen gibt: In der libanesischen Hauptstadt sind arm und reich klar getrennt. Das Stadtzentrum gehört allein der Oberschicht. PalästinenserInnen dagegen leben in überfüllten Camps.
Fährt man vom Rafik-Hariri-Flughafen durch einige der Vorstädte bis ins Stadtzentrum von Beirut, dann offenbaren sich einem sehr verschiedene Facetten der Hauptstadt. In den südlichen Randbezirken, da wo die schiitische Miliz Hisbollah das Sagen hat, lebt die Arbeiterklasse der Stadt, in einfachen, oft ärmlichen Behausungen. In der Innenstadt dagegen gibt es keine Armut. Keine Bettler, keine ArbeiterInnen, keine „normalen“ Restaurants, Falafel- oder Kebabbuden. Hier regiert einförmiger Luxus, sauber, steril und extrem teuer. Rolex, Louis Vuitton, Hugo Boss.
Das Preisniveau ist in der ganzen Stadt extrem hoch, wer sich, auch außerhalb des engeren Stadtzentrums, etwa in Gemmayze, ein Bierchen genehmigen will, kann mit umgerechnet 5 Euro für die 0,33er Molle rechnen, ausschweifende abendliche Fressorgien sollte man sogar dann vermeiden, wenn man auf ein europäisches Gehalt zurückgreifen kann. Der Kaffee steht bei drei Euro, will man sich den Wanst vollschlagen, kommen eigentlich nur Falafel in Frage. In der Innenstadt dann schlägt diese allgemein sehr kostspielige Situation ins Absurde um. Es ist schlichtweg ein Bezirk, der allein und exklusiv der Bourgeoisie und reichen Touristen, Geschäftsmännern und -frauen vorbehalten ist.
Die Gentrifizierung dieses Gebietes hat seine Ursprünge im libanesischen Bürgerkrieg, in dem dutzende Milizen sich zwischen 1975 bis 1990 in unterschiedlichen Konstellationen hartnäckig bekämpften, und die gesamte Innenstadt zerstört wurde. Der Umstand, dass dieses wertvolle Gebiet in Trümmern lag, wurde zur Chance für einen riesigen Immobilien- und Bautrust, die Solidere s.a.l. Gegründet im Jahr 1994 vom späteren Ministerpräsidenten Rafik Hariri, kümmerte sich der Konzern um den Wiederaufbau, Rücksicht auf soziale Kriterien und die historische Bausubstanz wurde dabei freilich nicht genommen. Es entstanden Prunkbauten und eine Enklave der Dekadenz inmitten eines Landes, in dem etwa 2 Millionen Refugees leben und sich 30 Prozent der Bevölkerung unter oder an der Armutsgrenze befinden. Das Beirut der Bourgeoisie ist ein ganz anderes, als das Beirut der Armen.
Überhaupt gibt es im Libanon scharfe Grenzen zwischen verschiedenen Welten. Das Die der PalästinenserInnen, die im Zuge der Staatsgründung Israels oder danach aus ihrer Heimat vertrieben wurden, ist eine der Lager, der Armut und der Ausgrenzung. Sie dürfen legal nicht arbeiten, sie selben in abgegrenzten und manchmal militärisch umringten Camp-Bezirken, in kleinen, oft selbstgebauten Hütten. Durch Sabra sind wir heute kurz gelaufen, wir haben uns vorgenommen, die kommenden Tage wiederzukommen. Sabra (und Schatila) sind international bekannt durch jenen Massenmord im September 1982, bei dem das von israelischen Soldaten umstellte Flüchtlingscamp von phalangistischen Milizionären gestürmt wurde, die mordend und vergewaltigend durch das Lager zogen. Bis zu 3000 Menschen, mehrheitlich Zivilisten, fanden den Tod. Die Phalangisten handelten dabei in Absprache und mit Unterstützung der damaligen israelischen Militärführung und Regierung.
Heute besteht das Lager immer noch. Euphemistisch gesprochen, könnte man sagen, es ist extrem belebt: Hunderte, wenn nicht tausende Menschen tummeln sich auf den Straßen, hupend fahrend Roller und kleine Motorräder durch die Gassen, auf dem Bazar werden Gemüse, Kippen und Kleidung feilgeboten. Da Camp ist überfüllt, so überfüllt, dass man sich schwer vorstellen kann, wie irgendjemand hier eine Privatsphäre haben soll. Regiert wird es von verschiedensten Gruppen und Milizen aus dem palästinenserinnen und libanesischen politischen Spektrum, die Wände zieren Bilder von Gefallenen, Organisationsfahnen und Porträts des legendären PLO-Chefs Yassir Arafat. Fotos können wir heute keine machen, das wäre zu gefährlich, erklärt uns unser Guide. Dazu müssten wir vorher mit einer der Gruppierungen vor Ort sprechen, was wir in den kommenden Tagen tun werden. Aber auch ohne viel Möglichkeiten zu Gesprächen, sehen wir, dass die hier lebenden PalästinenserInnen in einer eigenen Welt leben. Der Libanon diskriminiert sie als Bürger zweiter Wahl, frei arbeiten dürfen sie nicht, einige der Lager sind militärisch abgeschirmt. Irgendwie scheint man doch noch davon auszugehen, dass sie irgendwann nach Palästina zurückkehren. Das allerdings verhindert Israel. Etwa 500 000 PalästinenserInnen sind es, die im Libanon als Flüchtlinge leben. Viele von ihnen wurden in Camps geboren, sind in Camps aufgewachsen und werden in Camps ihre Kinder zur Welt bringen. Wie viele Generationen lang das noch so weitergehen soll, weiß niemand.
- Von Peter Schaber, Bilder: Willi Berg | Bilder in höherer Auflösung und weitere Artikel aus Beirut auf lowerclassmag.com