GG/BO-Rechtssekretär Mehmet Aykol im Visier der JVA-Leitung in Tegel – Appell zur aktiven Gewerkschaftssolidarität inhaftierter und nicht inhaftierter Kolleg_innen. Es gehört zur Leitlinie der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), dass sie sich gegen Angriffe seitens der JVA-Leitungen und Justizbehörden politisch und juristisch zur Wehr setzt.
Seit unserer Gründung als so genannter nicht rechtsfähiger Verein nach §§ 21 i.V.m. mit 54 BGB im Mai 2014 haben verschiedene JVA-Leitungen den Versuch unternommen, unsere legitime Tätigkeit als gewerkschaftliche Selbstorganisierung von Inhaftierten u. a. durch Zellenrazzien, das Anhalten und Nicht-Aushändigen von GG/BO-Post sowie Einschüchterungen von potentiellen GG/BO-Mitgliedern zu blockieren. Gegen jede dieser Schikanen haben wir einen politisch-öffentlichen Gegendruck erzeugt und Verfahren vor Strafvollstreckungskammern der Landgerichte angestrengt, um die Unzulässigkeit solcher Einschränkungen unseres gewerkschaftspolitischen Engagements hinter Gittern feststellen zu lassen.
Unsere Verankerung und weitere Ausdehnung als GG/BO ließ sich durch dieses behördliche Vorgehen nicht verhindern. Im Gegenteil: Mit mehr als 420 Mitgliedern in etwa 40 Knästen dieser Republik zeigt der Trend unverkennbar weiter nach oben.
Die JVA Tegel ist jetzt dazu übergegangen, unseren Rechtssekretär, Mehmet Aykol, direkt ins Visier zu nehmen. Aykol stand kurz davor, nach über 18 Jahren Haft selbstständige Lockerungen zu erhalten, da sein bisheriger Lockerungsverlauf seit 2011 ohne jede Beanstandung war. Nun wird er vor die Wahl gestellt, entweder seine durch das Grundgesetz in Art. 9 Abs. 3 (Koalitionsfreiheit) gedeckte Aktivität als Bundesvorstandsmitglied der GG/BO niederzulegen oder aber seine bis dato gewährten Vollzugslockerungen einzubüßen. Darüber hinaus wird dem Kollegen Aykol in der aktuellen - von Aykols Sozialarbeiter Herrn Rodowski - verfassten Vollzugsplanfortschreibung faktisch mitgeteilt, dass eine weitere GG/BO-Aktivität eine zeitlich undefinierte Verwahrung hinter den Knastmauern bedeuten würde.
In der Fortschreibung seines Vollzugsplans, der vom Teilanstaltsleiter des Hauses V in der JVA Tegel, Herrn Stark, abgesegnet wurde, heißt es u. a.: "Bis Sommer 2014 schien Hr. A. in guter Anbindung mit dem Sozialdienst und der Hausleitung zu stehen. So schien er auch zielstrebig zu sein, was seine eigene Person betrifft. Letztlich verlor sich Hr. A. aber immer wieder selbst aus den Augen und widmete sich allgemeinen Projekten, welche nichts mit seinem individuellen Weiterkommen zu tun hatten (z.B. Mitbegründung einer Gefangenengewerkschaft).“
Bei seinen Ausführungsgenehmigungen hatte der Kollege Aykol wahrheitsgemäß angegeben, dass er seine Kinder besuchen und bei dieser Gelegenheit auch das Haus der Demokratie und Menschenrechte, welches der GG/BO als Anlaufstelle dient, aufsuchen wolle. Dies wurde nun durch den willkürlichen Eingriff der Anstaltsleitung durchkreuzt.
Offenbar zahlt es sich für einzelne Akteur_innen aus dem JVA-Apparat real aus, wenn sie eine Gewerkschaftszugehörigkeit eines Inhaftierten mit Sanktionen belegen. So avancierte Herr Rodowski vom einfachen zum leitenden Sozialarbeiter.
Der Sprecher der GG/BO, Oliver Rast, führt vor dem Hintergrund des neuerlichen Angriffs auf Aktive der GG/BO an: „Die JVA-Leitung in Tegel will an unserem Rechtssekretär, dem Kollegen Aykol, ein Exempel statuieren. An ihm soll regelrecht vorgeführt werden, dass die Vollzugsbehörde am längeren Hebel sitzt. Wir interpretieren den Angriff auf Mehmet als einen Angriff auf die GG/BO insgesamt.“ Weiter führt er aus: „Das Kalkül der Anstaltsleitung, den aktiven Rechtskampf der GG/BO durch die Schikanen gegen Mehmet lahm zu legen, wird indes nicht aufgehen. Wir werden uns keinesfalls durch eine solche Maßnahme ins Abseits drängen lassen.“
Eine grundgesetzlich verankerte Gewerkschaftstätigkeit von Inhaftierten förmlich sabotieren zu wollen, führt den Rechtsanspruch auf (Re-)Sozialisierung, wie er vom Bundesverfassungsgericht als herausragendes Ziel formuliert wurde, ad absurdum. (vgl. BVerfG E35, 202, 235) Gewerkschaften sind ein Ort der sozialen Begegnung und des zwischenmenschlichen Austauschs. Es finden Auseinandersetzungen um die Bedingungen und Erfordernisse von Veränderungen in der Arbeitswelt unter den engagierten Gewerkschaftsmitgliedern statt. Diese Form der Ausbildung von sozialer Kompetenz befindet sich in völligem Einklang mit dem sog. Resozialisierungsgrundsatz aus § 2 StVollzG. Und da „[d]as Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden soll“ (§ 3 Abs. 1 StVollzG), entspricht eine gewerkschaftliche Tätigkeit von Gefangenen im Rahmen einer Gewerkschaftsvereinigung exakt diesen Maßgaben aus dem StVollzG.
Was kann förderlicher im zwischenmenschlichen Ungang sein, als sich für ein solidarisches und progressives Innenverhältnis im Knast einzusetzen? Was kann förderlicher sein, als im Zusammenwirken mit sozialen Bewegungen vor den Anstaltstoren Bündnisse einzugehen, um für eine Angleichung von Sozialstandards drinnen und draußen zu streiten?
„Die GG/BO“, betont Rast, „appelliert eindringlich an (basis-)gewerkschaftliche Aktivist_innen im DGB, in der FAU und bei den Wobblies der IWW, um gegen diese im Kern gewerkschaftsfeindliche Attacke der Leitung der JVA Tegel die Stimme des Protests zu erheben.“ „Es wird eine positive Signalwirkung haben, wenn es durch eine praktisch gewordene Solidarität unter inhaftierten und nicht inhaftierten Kolleg_innen gelingt, behördlichen Willkürakten selbst einen Riegel vorzuschieben!“, so Rast abschließend.
Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)
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