Iris Gleicke, die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, über Proteste gegen Ausländer, Hotelboykotte und die Rentenangleichung
Berlin. Iris Gleicke, die aus Thüringen stammende Regierungsbeauftragte für den Tourismus und die neuen Bundesländer, freut sich über Deutschlands gute Bilanz als Reiseziel. Die 50-Jährige appelliert an ihre Landsleute, Ausländerfeindlichkeit deutlich abzulehnen.
Der Deutschland-Tourismus hat 2014 mit 424 Millionen Übernachtungen,
darunter so viele Ausländer wie noch nie, einen neuen Rekord gefeiert.
Offenbar haben die Wutbürger von Pegida & Co. ausländische Touristen
nicht abgeschreckt, oder?
Ich freue mich über die guten Zahlen, die zeigen, dass Deutschland ein
gastfreundliches und attraktives Reiseziel ist. Zugleich gibt es jedoch
Sorgen, etwa in den großen Städten, wo der Tourismus besonders boomt.
Die Dresdner etwa fürchten um den Ruf ihrer Stadt, wenn sie jede Woche
zum Schauplatz ausländerfeindlicher Demonstrationen wird.
Ärgert es Sie, wenn das US-Außenministerium vor Reisen nach Dresden warnt?
Ich kann nachvollziehen, wenn eine US-Behörde, die sich um die
Sicherheit ihrer Bürger im Ausland sorgt, vor rechtsextremistischen
Aufmärschen warnt.
Sind die Teilnehmer an den Demonstrationen alles Rechtsextreme?
Natürlich nicht, es gibt auch viele Bürger mit Fragen, mit
Abstiegsangst und Veränderungssorgen, die mit auf die Straße gehen. Aber
es gibt auch viele Rechtsextremisten dabei. Die Sügida in Südthüringen
etwa wird von Neonazis organisiert. Und natürlich hat es Auswirkungen,
wenn gegen Ausländer, gegen Flüchtlinge, gegen Menschen, die anders
aussehen und anders sprechen, demonstriert wird.
Gehört zum Recht auf freie Meinungsäußerung bei diesen Demos auch der Ruf: Wir sind das Volk?
Das ist eine Anmaßung. Wir sind vor 25 Jahren mit diesem Ruf auf die
Straße gegangen, um die SED-Diktatur zu überwinden, um Demokratie,
Reisefreiheit und Meinungsfreiheit zu erkämpfen. Entscheidend für mich
ist, dass jetzt die demokratische und tolerante Zivilgesellschaft auf
die Straße geht und gegen Intoleranz, Fremdenhass, Rassismus Gesicht
zeigt. Diese Demonstrationen der letzten Tage machen mich stolz. Viele
haben offenbar vergessen, wie viele ostdeutsche Flüchtlinge es einst
gab, die die DDR verlassen haben, weil sie ein besseres Leben suchten.
Was halten Sie von Hoteliers, die Rechtsextreme aus den Reihen von Pegida nicht beherbergen?
Ich finde, solche Hoteliers haben Unterstützung verdient. Wenn ich in
meinem Haus Menschen aus dem Schwarzwald, aus Bayern, aus Spanien, den
USA oder China beherberge, dann kann ich gut verstehen, dass sie
Ausländerhasser nicht in ihr Haus lassen wollen.
Wie erklären Sie Ihren ausländischen Kollegen demnächst auf der
Internationalen Tourismusbörse in Berlin, dass es wieder Hass und
Demonstrationen gegen Ausländer gibt?
Zunächst verweise ich darauf, dass wir das Problem nicht verstecken,
sondern uns damit auseinandersetzen. Und dass die Zivilgesellschaft
wachsam ist und dagegenhält. Bei allen Problemen, die es im Einzelnen
gibt, ist für mich die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten ein
Gebot christlicher Nächstenliebe. Und wenn das klar ist, erinnere ich
daran, dass wir in Deutschland internationale Investoren brauchen, dass
wir unsere Produkte ins Ausland exportieren, dass Touristen ins Land
kommen sollen und dass wir ausländische Fachkräfte benötigen. Auch die
Wirtschaft muss sich in die Bürgerbündnisse gegen Ausländerfeindlichkeit
einbringen.
Wie hilfreich sind Sätze wie der von Stanislaw Tillich: Der Islam gehört nicht zu Sachsen?
Solche plakativen Sätze gehen an der Lebenswirklichkeit vorbei. Wenn in
Sachsen Muslime leben, dann gehören sie selbstverständlich zu Sachsen.
Themenwechsel. Warum kommt die Angleichung des Rentensystems Ost an das westdeutsche System nicht voran?
Ihr Eindruck ist falsch. Wir haben in der Koalition beschlossen, dass
im Jahr 2016 überprüft wird, wie sich der Rentenwert im Osten entwickelt
hat. Die allgemeine Lohnentwicklung sowie die Einführung des
Mindestlohnes könnten den Angleichungsprozess beschleunigen. Wenn die
Zahlen dann so sind, dass ein Zwischenschritt notwendig ist, werden wir
diesen Weg wahrscheinlich gehen. Ich trete außerdem dafür ein, die
Kosten für die Angleichung der Rentensysteme nicht aus Beitragsmitteln,
sondern aus dem Steueraufkommen zu finanzieren. Das
Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmern liegt in den neuen Ländern
zurzeit bei rund 80 Prozent des westdeutschen Niveaus, der Rentenwert
Ost liegt bei 92,2 Prozent des westdeutschen Wertes. Um die Nachteile
von ostdeutschen Arbeitnehmern später bei der Rente abzumildern, werden
ihre Einkommen zur Berechnung der Entgeltpunkte jedoch um rund zwölf
Prozent hochgewertet. Diese Hochwertung wiegt den geringeren Rentenwert
Ost auf.
Interview: Reinhard Zweigler