Gauck gedenkt der Opfer von Dresden - und spart die deutsche Schuld nicht aus

Erstveröffentlicht: 
14.02.2015

70. Jahrestag der Zerstörung: Bundespräsident als Hauptredner in der Frauenkirche / Kein Wort zu Pegida Von Jürgen kochinke

Dresden. An Ausnahmesituationen sind die Dresdner gewöhnt. Nicht erst seit Pegida neigt Sachsens Landeshauptstadt dazu, kaum eine Gelegenheit auszulassen, um die Eskalationsspirale engagiert zu befeuern - vor allem, wenn es um die eigene Identität geht. Einer der Kristallisationspunkte dabei ist stets das Gedenken an die Opfer der Bombennacht am und rund um den 13. Februar, Aufmärsche von Neonazis inklusive. Gestern ist es wieder so weit, auf dem Programm steht der 70. Jahrestag der alliierten Bombenangriffe. Entsprechend sind schon am frühen Nachmittag überall Polizeiwagen postiert, doch insgesamt ist die Stimmung ungewohnt entspannt - kaum Aufgeregtheiten, dafür viel Opfergedenken und mahnende Worte.


Das liegt zum einen an der Tatsache, dass von den Neonazis kaum etwas zu sehen ist. Zum anderen aber liegt es an Joachim Gauck. Der Bundespräsident ist höchstselbst an die Elbe gereist, um die Hauptrede in der Frauenkirche zu halten. Ja, mehr noch: Dass das Staatsoberhaupt es sich nicht hat nehmen lassen, am 13. Februar in aufgeheizten Pegida-Zeiten nach Dresden zu kommen, ist mehr als eine lapidare Geste. Es ist ein Statement - für Weltoffenheit und Toleranz, gegen kleinkarierte Ressentiments und rechtspopulistische Aufwallungen.


Was Gauck dann am Nachmittag in der Frauenkirche zu sagen hat, fällt aber relativ moderat aus. Da hat man vom Präsidenten schon härtere Töne gehört. Dennoch macht er klar: "Wir wissen, wer den mörderischen Krieg begonnen hat." Und eben deshalb würden gerade auch wir niemals die Opfer der deutschen Kriegsführung vergessen. "Wir vergessen es nicht", wiederholt Gauck seine Worte, auch "wenn wir heute hier der deutschen Opfer gedenken".


Was das Staatsoberhaupt allerdings strikt vermeidet, ist auch nur der kleinste Hinweis auf Pegida und deren Ableger. Nur so viel sagt er, als er auf die Besonderheit von Dresden abhebt: Viele andere Städte seien ebenfalls mit Bomben überzogen worden, ob in Großbritannien, Polen oder im Westen Deutschlands. Aber nirgendwo sonst sei das Leid der Opfer so sehr instrumentalisiert worden wie in Dresden. Erst hätten die Nationalsozialisten ihre ganz spezielle Form der Geschichtsfälschung praktiziert, dann habe das DDR-Regime ähnlich gehandelt - und die Unart setze sich fort. Selbst heute noch, sagt Gauck, werde sie "von einigen Unverbesserlichen weitergeführt".


Das ist eine klare Ansage an die Adresse jener rechtsextremen Demonstranten, für die die Landeshauptstadt jahrelang zu einer Art Wallfahrtsort geworden ist. Und dennoch: OB Helma Orosz (CDU), vor allem aber Landesbischof Jochen Bohl, sind in ihren Reden ein wenig konkreter geworden. "Gedenken und Versöhnung hat nur dann einen Wert, wenn wir auch für das Hier und Heute eine klare Position beziehen", sagt Orosz, ohne Pegida beim Namen zu nennen. "Wir müssen uns gegen jeden Versuch wehren, der darauf abzielt Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Hautfarbe erneut zu kategorisieren und zu bewerten." Und Bohl spricht die Montagsdemos von Pegida gar direkt an. Dort, meint er, seien Töne zu hören gewesen, "deren feindseliger Klang nur zu bekannt ist".


Noch vor dem Gedenken in der Frauenkirche hatten etwa 2000 Menschen an die NS-Verbrechen in Dresden erinnert. Beim "Mahngang Täterspuren" suchten sie in der Innenstadt Orte auf, die als Schauplätze der Nazi-Herrschaft für deren menschenverachtende Ideologie stehen. Auch die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) reihte sich ein. Zum gleichen Zeitpunkt kreiste ein Kleinflugzeug mit einem weißen Banner und der schwarzen Aufschrift "wir gedenken!" über der Stadt - eine Aktion eines rechtes Bündnisses, unterstützt auch von der NPD.


Gauck wiederum geht nach der Gedenkveranstaltung auf eine Bühne vor der Frauenkirche, wo sich tausende Dresdner versammelt haben. Anschließend reiht er sich ein in die Menschenkette, neben Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) dessen Stellvertreter Martin Dulig (SPD) und Orosz natürlich.


Auch das ist, ganz klar, ein Symbolakt von bundesdeutscher Relevanz. Schließlich soll die Kette den Altstadtkern sinnbildlich vor jener Instrumentalisierung des Gedenktags durch Neonazis bewahren, vor der Gauck zuvor eindringlich gewarnt hat. Gleichzeitig setzt der Bundespräsident ein Zeichen in einer Stadt, die sich seit Jahren erkennbar schwertut mit der eigenen wechselvollen Geschichte. Am Ende aber schließt sich die Menschenkette - alles in allem ein gelungener Gedenktag.