Aufgeheizte Stimmung

Erstveröffentlicht: 
22.01.2015

Von Klaus Staeubert, Winfried Mahr, Roland Herold, Melanie Steitz und Adeline Bruzat

 

Die Musik ist laut, die Rufe sind unüberhörbar. Tausende vorwiegend junge Leute sind zur Kundgebung vor die Leipziger Moritzbastei gekommen. Sie trotzen am Studentenclub "der winterlichen und sozialen Kälte, die vom Augustusplatz herüberweht", wie es der 21-jährige Justus Lautenbacher aus Göttingen formuliert. "Nazis raus!" wird in Sprechchören skandiert, wenn sich zunächst ältere Semester zur Legida-Menge durchkämpfen wollen. Oder: "Lasst doch das Spazieren sein - schaltet eure Köpfe ein!". Auf anderen Transparenten beweisen die Studenten ihren Humor,. "Wenn ihr das Volk seid, bin ich Volker!", steht auf einem Plakat. Spaßbetont wie am vorletzten Montag tritt auch "Die Partei" wieder auf. "Unsere Plakate sind frisch aus der Druckerei gekommen. Wenn noch jemand kommt, sind wir zehn Prozent mehr, Wenn wir betrunken sind, sind wir doppelt so viel", sagt deren Sprecher Thomas Kumbernuß (44) vor der Buchhandlung Hugendubel.


Zehntausende Menschen sind an diesem Abend in der Leipziger Innenstadt unterwegs. Im Grimmaischen Steinweg läuft eine bunte Party beim Bündnis "Courage zeigen" - nur einen Katzensprung von Legida entfernt. Horst Junginger, Religionswissenschaftler an der Uni Tübingen, sagt unter dem Jubel der Menge, "nicht die Islamisierung sondern die Idiotisierung" des Abendlandes sei zu befürchten. Bei den Gegendemonstranten steht wie schon beim ersten Legida-Aufmarsch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Ja, das sehe alles schon martialisch und nach einem Ausnahmezustand aus, sagt er. "Auf der anderen Seite sehe ich, dass hier ganz friedlich Menschen sich versammeln, um deutlich zu zeigen: Wir stehen für Vielfalt, für Offenheit."


Mario Schröder, der Ballettchef der Leipziger Oper, steht an Jungs Seite. Er betont, dass das Ballett mit seinen 23 Nationen für Weltoffenheit stehe. Schröder: "Die Atmosphäre und die Möglichkeit, sich von anderen Kulturen inspirieren zu lassen, ist für mich so notwendig wie die Luft zum Atmen." Für Minuten wird es mucksmäuschenstill, als die Tänzer ganz in Schwarz auftreten. Hinter der Bühne nimmt ein sichtlich bewegter Oberbürgermeister den Ballettchef in die Arme und dankt ihm für sein Engagement.


Vor der Bühne verurteilt inzwischen Ex-Thomaskirchenpfarrer Christian Wolff den Anschlag auf die Bahnlinie Dresden-Leipzig. "Das ist kriminell", ruft er. Und in Richtung der Legida-Anhänger vor der Oper ruft er: "Reden? Ja! Aber nicht mit denen, die Brandstifter sind. Und Brandstifter sind die, die als rechtes Netzwerk hinter Legida stehen." Auch für René Reinhardt, Vorstand der Schaubühne Lindenfels, ist klar: "Ich lasse mir mein Abendland nicht wegnehmen, nicht von denen."


Auf dem Augustusplatz sind der Lärm und die Rufe der No-Legida-Aktivisten je nach Windrichtung in Fetzen zu hören. Mitorganisator und Versammlungsleiter Silvio Rösler wettert gegen die Linksautonomen und deren Sympathisanten. "Der Terror in Leipzig kommt von links", ruft Rösler in die Menge, die von der avisierten Teilnehmerzahl (bis zu 40000) deutlich nach unten abweicht. Und persönlich an den OBM und die Leipziger Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel gerichtet: "Herr Jung, Frau Nagel: Ist das die gelebte Toleranz? Wir werden solange hier demonstrieren, bis sich Veränderungen in der Politik ergeben."


Unter die Legida-Teilnehmer hat sich an diesem Abend Inge Sperling aus Liebertwolkwitz gemischt. Zuletzt war sie im Herbst 1989 auf die Straße gegangen, Nur mühsam gelingt es der zierlichen 72-Jährigen, sich einen Weg auf den Augustusplatz zu bahnen. Sie huscht zwischen den jungen Männern und Frauen hindurch, die wie ein Propfen im Flaschenhals den Weg für die Anhängerschaft des Pegida-Bündnisses abriegelten. Ein Student stellte sich ihr demonstrativ in den Weg: "Oma, was willst du bei den Nazis?" Es ist genau dieses Wort, das Inge Sperling in die Hände der Legida treibt. "Ich bin kein Nazi. Ich wäre doch nie zu Legida gegangen, wenn es nicht diese Anfeindungen gegeben hätte", sagt sie.


Für die Seniorin kommt die Protestbewegung nicht überraschend. Ihr Großvater war Kommunist. Sie hat an der Karl-Marx-Universität Kunsterziehung und Germanistik studiert. Als Lehrerin arbeitete sie nur kurze Zeit, ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Therapeutin, Bibliothekarin und Bautechnologin. "Ich hatte schon vor zwei Jahren das Gefühl, dass sich hier etwas zusammenbraut." Die Politik habe sich zu weit von den Menschen entfernt. Ob Energie-, Europa- oder Geldpolitik: "Die Reichen werden immer reicher und dem kleinen Mann nehmen sie auch noch die Zinsen vom Sparkonto weg."


So langsam füllt sich der Augustusplatz. Schwarz-rot-goldene Fahnen wehen, es sind nicht nur Leipziger dabei, auch Dresdener werden begrüßt. Teilnehmer aus Nordrhein-Westfalen sind mit ihren Landesfahnen auszumachen, selbst Norwegen-Flaggen recken sich in den klaren Abendhimmel. Auf Plakaten stehen Sätze wie "Syrisches Blut klebt an den Händen von Merkel und Co". Oper und Gewandhaus bleiben dunkel. Als Hauptredner tritt Jürgen Elsässer auf. "Leipzig hat schon '89 gezeigt, wo der Hammer hängt", heizt der Rechtspopulist die Masse auf (siehe Text unten).


Dann setzt sich der Zug über den Ring in Bewegung. Während auf der Gegenseite Legida wie eine unhörbare Marschkolonne hinter den vielen Polizeifahrzeugen entlangzieht und Fahnen schwenkt, rockt die Leipziger Electropop-Band Brockdorff Klang Labor. Für Minuten herrscht wieder dieser ohrenbetäubende Lärm. Unter den Demonstranten sind neben Studenten auch Gewerkschafter, Bundestagsabgeordnete und Lokalpolitiker. Leipzigs Linken-Chef Volker Külow zieht nachdenklich Bilanz: "Ich denke, dass man es beim nächsten Mal vielleicht doch schaffen sollte, alle Gegendemonstranten an einen Punkt zu bringen."


Polizeibeamte postieren sich vor jede Haustür, die der Legida-Zug passiert. Die Häuser sind dunkel, nur hinter wenigen Fenstern brennt Licht. Von dort hallen den Demonstranten immer wieder "Nazis raus"-Rufe entgegen. Als der Tross den Roßplatz passiert, setzt Beethovens "Freude schöner Götterfunken" aus einem Wohnhaus ein. Beethoven soll zwar beruhigen, die Stimmung bleibt aber aufgeheizt. Am Peterssteinweg zischt ein Ordner einem Fotografen zu: "Wenn wir hier fertig sind, kriegst du was auf die Fresse."