Warum Dresden?

Erstveröffentlicht: 
19.01.2015

In keiner anderen deutschen Metropole findet Pegida so viel Zulauf. Liegt es an den Menschen? An der Geschichte der Stadt? Jetzt wird die Hochburg der Islamhasser zum Terrorziel.

Von Klaus Wallbaum und Christoph Stephan

 

Dresden. Eine deutsche Großstadt befindet sich im Ausnahmezustand. Menschenansammlungen? Freie Meinungsäußerung auf offener Straße? Demonstrationen? Gestern Nachmittag hat die sächsische Polizei offiziell verfügt: Am heutigen Montag sind öffentliche Versammlungen in der Landeshauptstadt Dresden zwischen 0 und 24 Uhr untersagt - weil ein islamistischer Anschlag möglich scheint. "Wir gehen nicht mehr nur von einer abstrakten, sondern von einer konkreten Gefahr aus", erklärte Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll. Bedroht wird offenbar der Anführer der islamfeindlichen Gruppierung Pegida, Lutz Bachmann. Pegida prägt seit Wochen das Bild von Dresden in den Medien - international.


Spätestens diese Polizeiverfügung vom Sonntag wirft die Frage auf: Was ist bloß los in dieser Stadt? Wieso sehen islamistische Terroristen offenbar hier ein Anschlagsziel? Seit vergangenem Oktober zetteln rechtsgerichtete Gruppen an vielen Orten in der Republik Demonstrationen gegen den Islam und die Zuwanderung an. Fast überall bleibt die Resonanz bescheiden. In Dresden aber, Sachsens Hauptstadt, bringen die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" immer mehr Menschen auf die Straße. In der vergangenen Woche waren es an die 25000.


Was macht diese Stadt, die wegen ihrer wunderschönen Bauten und malerischen Kulisse auch "Elbflorenz" genannt wird, bundesweit so einzigartig? Ist sie ein Nest der Rechtsradikalen?


"Das ist nicht so", sagt Wolfgang Berghofer, der von 1986 bis 1990 SED-Oberbürgermeister in der Stadt war und heute als Unternehmensberater arbeitet. Typisch sei in Dresden vielmehr eine zunehmende Skepsis gegenüber den politischen und medialen Eliten - und dies drücke sich auch bei Pegida aus: "Es gibt hier ein selbstbewusstes, wertkonservatives und kleinbürgerliches Milieu. Viele Menschen reagieren ängstlich auf die sich schnell verändernde, komplexe und unsichere Welt. Sie leiden unter Orientierungslosigkeit." Das Feindbild der Demonstranten seien nicht die Zuwanderer, sondern zwei andere Gruppen, von denen sie sich missverstanden, vernachlässigt oder verunglimpft fühlen - die Politiker und die Medien.


Der Dresdner Politologe Werner Patzelt hatte festgestellt, dass längst nicht alle, die den Pegida-Aufrufen folgen, politisch rechts oder ausländerfeindlich eingestellt seien: "Wenn man sie aber als rechtsradikal bezeichnet und sie sich deshalb ungerecht behandelt fühlen, begehren sie erst recht auf."


Woher kommt dieser Trotz der Dresdner - und ihre Bereitschaft, gegen die vermeintliche "Islamisierung" aufzubegehren? Anders als die Bewohner der sächsischen Handelsmetropole Leipzig hatten die Dresdner zu DDR-Zeiten wenig Kontakt zu Fremden - also auch wenig Erfahrung im Zusammenleben verschiedener Kulturen. "Tal der Ahnungslosen" wurde die Gegend genannt, in der man Westfernsehen lange Zeit nicht empfangen konnte. Immer stark ausgeprägt war in Dresden die Betonung der Eigenständigkeit - in bewusster Abgrenzung zum 200 Kilometer entfernten Berlin. In der DDR, erinnert sich Berghofer, wurden Baustoffe aus den Bezirken abgezogen und für die "Hauptstadt der DDR" eingesetzt. Besonders schlechte Stimmung habe dies in Dresden erzeugt - in der Residenzstadt habe man auf solche Übergriffe traditionell sehr empfindlich reagiert.


Ein gewisser Widerspruchsgeist der Dresdner hat sich oft geäußert: Anfang 1989, als überall in der DDR die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage wuchs, war der Protest aus Dresden ungewöhnlich laut. Die SED-Führung fühlte sich bemüßigt, eine Kontrollkommission zur Einschüchterung in die Stadt zu schicken. Das brachte nichts. Als wenige Monate später die Menschen gegen die DDR protestierten, war es zwar in Leipzig am 9. Oktober die hohe Zahl von 70000 Demonstranten, die die Mächtigen ins Wanken brachte. Aber schon einen Tag vorher hatte es in Dresden eine Demonstration gegeben - und die Menschen dort hatten bereits den Dialog mit dem damaligen Oberbürgermeister Berghofer erzwungen. Als es später um die Ablösung alter SED-Eliten aus der Verwaltung ging, waren es wieder die Dresdner, die besonders rigoros vorgingen. Dresden als rückständig zu bezeichnen, wie es einige überregionale Medien schon getan haben, wäre also unzutreffend.


Auf der Suche nach Erklärungen dafür, dass gerade in Dresden viele Demonstranten Woche für Woche wütend "Lü-gen-pres-se" skandieren und Hasstiraden auf Politiker beklatschen, landet man in der jüngeren Geschichte. Am 13. Februar 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, legten amerikanische und britische Bomber die Stadt in Schutt und Asche. Dieses Ereignis hat sich tief eingeprägt in fast jede Dresdner Familie. Manchmal spüre man "Selbstmitleid", wenn über diese Zeit gesprochen wird, meint Berghofer. Viele Dresdner reagieren reserviert auf Amerikaner und Engländer. Als die britische Königin 1992 Sachsen besuchte, wurde sie in Leipzig bejubelt und in Dresden kühl empfangen. Seit Jahren gibt es in der Stadt Streit über die Frage, wie viele Menschen am 13. Februar 1945 ums Leben kamen. Waren es 25000 - oder gar zehnmal so viele, da sich zu dieser Zeit viele Flüchtlinge in Dresden aufhielten?


Als 2009 eine offizielle Kommission der Stadt kundtat, es seien maximal 25000 Tote gewesen, setzte sich die Stadtspitze prompt dem Vorwurf der Vertuschung aus. Es war wie so oft, wenn über etwas in Dresden gestritten wird - die Parteien stehen sich unversöhnlich gegenüber. Regelmäßig, wenn zu den Jahrestagen der Zerstörung Rechtsextremisten in Dresden demonstrieren, wird dieser Vorwurf der Verfälschung von Opferzahlen wiederholt. Vielleicht fallen die Verschwörungstheorien, die auf den Pegida-Demonstrationen von den Organisatoren verbreitet werden, auch wegen dieser Dauerdebatte über die Opferzahlen auf so fruchtbaren Boden.


Bei der Pegida gedeiht die Vorstellung, Politiker und Medien hätten sich gegen die Menschen verbündet, wollten sie belügen. Das mischt sich mit dem Lokalbezug, den die Pegida-Organisatoren ­geschickt einstreuen. In jeder Demonstration hört man unterschwellig die Botschaft mitschwingen: Wir hier unten in Dresden wenden uns gegen die da oben in Berlin, Brüssel oder Washington.


Noch eine Erklärung gibt es für die verhärteten Positionen vieler Menschen, die in Dresden auf die Straße gehen: Die Verbindung der Pegida-Anführer zu radikalen Fans des Fußballclubs Dynamo Dresden. Als sich im vergangenen Dezember die Uni und viele andere Institutionen der Stadt ausdrücklich von der Pegida distanzierten, bezog der Fußballverein nach längerem Überlegen "keine Position" dazu. Kein Wunder: Unter den vielen Pegida-Demonstranten sind viele Dynamo-Anhänger, die man nicht verprellen will. Einer der Organisatoren, Lutz Bachmann, pflegt schon seit Längerem enge Beziehungen zu Dynamo: Vor anderthalb Jahren, während des Hochwassers, richtete er im Stadion ein Fluthilfezentrum ein. Regelmäßig werden Dynamo-Spiele auch von gewaltbereiten Fans begleitet, und diese haben drei Feindbilder - den DFB (weil er Dynamo mehrmals Strafen auferlegte), die Polizei und die Medien. Der Ruf "Lügenpresse, halt die Fresse!" erschallte das erste Mal bei einem Dresdner Fußballspiel. Heute gehört er zum Standardprogramm von Pegida.


In Dresden, sagt Wolfgang Berghofer, herrscht eine "Wagenburgmentalität". Man sei sehr stark auf sich selbst bezogen, fühle sich schnell angegriffen von außen und nehme daher rasch eine Verteidigungsstellung ein. Die Ereignisse vom Sonntag geben nun wohl manchen Leuten Auftrieb, die sich mit ihren Warnungen vor den Islamisten nie ernst genommen fühlen. Wenn sie die "Allgemeinverfügung" der Polizei lesen, dürften sie sich bestätigt fühlen. Demnach hat eine nicht näher definierte Gruppe auf Arabisch potenzielle Attentäter aufgerufen, sich unter die nächste Pegida-Versammlung zu mischen und den Anführer zu ermorden. Von einer "unmittelbaren Gefährdung von Leib und Leben aller Teilnehmer an Versammlungen" sei auszugehen, folgert die Polizei. Das Bundeskriminalamt hatte diesen Hinweis erhalten und ihn ans LKA Sachsen weitergereicht.


Was auch immer am heutigen Montag in Dresden geschieht: Zur Entspannung der ohnehin aufgewühlten Stimmung dürften die jüngsten ­Ereignisse wohl kaum bei­tragen.

 

 


Proteste verärgern Geschäftsleute

 

 

Von Hauke Heuer

 

Zunehmend genervt reagieren die Dresdner Einzelhändler auf die Pegida-Kundgebungen. Fast 2500 Betriebe mit rund 40000 Beschäftigen sitzen in dem rund einen Quadratkilometer großen Gebiet. Der Einzelhandel und die Gastronomie sind besonders stark vertreten. Brechen die Umsätze ein? "Pegida ist ein politisches Thema. Wir äußern uns nicht dazu", heißt es aus der Altmarkt-Galerie, dem größten Einkaufszentrum. Deutlicher wird man da im Geschäft einer bekannten Optikerkette "Ab 16 Uhr geht am Montag gar nichts. Auch schon während des Weihnachtsgeschäftes mussten wir deshalb Umsatzeinbußen hinnehmen", sagt die Filialleiterin.


Ronald Höpfner vom Outdoor-Markt Globetrotter beobachtet: "Die Demonstrationen verunsichern unsere Kunden. Normalerweise ist Montag der drittstärkste Tag der Woche. Die Ausrüstungsdefizite, die am Wochenende aufgefallen sind, werden dann ausgeglichen. Derzeit meiden die Kunden am späten Montagnachmittag aber das Geschäft."


Doch es gibt auch Gegenbeispiele: "Die Demonstrationen haben einen positiven Effekt. Viele Pegida-Teilnehmer kehren vor und nach der Demo bei mir ein - das sind normale Leute. Sonst habe ich am Montagabend kaum Gäste", sagt die Betreiberin eines Cafés an der Altmarkt-Galerie.


Christian Flössner, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer Dresden, betreibt eine Apotheke an der Prager Straße. Sein Fazit: "Demonstrationen sind generell nicht gut für das Geschäft. Diese Erfahrung haben wir bereits im Zuge der Nazi-Demonstrationen am 13.Februar machen müssen."