In keiner anderen deutschen Metropole findet Pegida so viel Zulauf. Liegt es an den Menschen? An der Geschichte der Stadt? Jetzt wird die Hochburg der Islamhasser zum Terrorziel.
Von Klaus Wallbaum und Christoph Stephan
Dresden. Eine deutsche Großstadt befindet sich im Ausnahmezustand. Menschenansammlungen? Freie Meinungsäußerung auf offener Straße? Demonstrationen? Gestern Nachmittag hat die sächsische Polizei offiziell verfügt: Am heutigen Montag sind öffentliche Versammlungen in der Landeshauptstadt Dresden zwischen 0 und 24 Uhr untersagt - weil ein islamistischer Anschlag möglich scheint. "Wir gehen nicht mehr nur von einer abstrakten, sondern von einer konkreten Gefahr aus", erklärte Dresdens Polizeipräsident Dieter Kroll. Bedroht wird offenbar der Anführer der islamfeindlichen Gruppierung Pegida, Lutz Bachmann. Pegida prägt seit Wochen das Bild von Dresden in den Medien - international.
Spätestens diese Polizeiverfügung vom Sonntag wirft die Frage auf: Was
ist bloß los in dieser Stadt? Wieso sehen islamistische Terroristen
offenbar hier ein Anschlagsziel? Seit vergangenem Oktober zetteln
rechtsgerichtete Gruppen an vielen Orten in der Republik Demonstrationen
gegen den Islam und die Zuwanderung an. Fast überall bleibt die
Resonanz bescheiden. In Dresden aber, Sachsens Hauptstadt, bringen die
"Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" immer
mehr Menschen auf die Straße. In der vergangenen Woche waren es an die
25000.
Was macht diese Stadt, die wegen ihrer wunderschönen Bauten und
malerischen Kulisse auch "Elbflorenz" genannt wird, bundesweit so
einzigartig? Ist sie ein Nest der Rechtsradikalen?
"Das ist nicht so", sagt Wolfgang Berghofer, der von 1986 bis 1990
SED-Oberbürgermeister in der Stadt war und heute als Unternehmensberater
arbeitet. Typisch sei in Dresden vielmehr eine zunehmende Skepsis
gegenüber den politischen und medialen Eliten - und dies drücke sich
auch bei Pegida aus: "Es gibt hier ein selbstbewusstes,
wertkonservatives und kleinbürgerliches Milieu. Viele Menschen reagieren
ängstlich auf die sich schnell verändernde, komplexe und unsichere
Welt. Sie leiden unter Orientierungslosigkeit." Das Feindbild der
Demonstranten seien nicht die Zuwanderer, sondern zwei andere Gruppen,
von denen sie sich missverstanden, vernachlässigt oder verunglimpft
fühlen - die Politiker und die Medien.
Der Dresdner Politologe Werner Patzelt hatte festgestellt, dass längst
nicht alle, die den Pegida-Aufrufen folgen, politisch rechts oder
ausländerfeindlich eingestellt seien: "Wenn man sie aber als
rechtsradikal bezeichnet und sie sich deshalb ungerecht behandelt
fühlen, begehren sie erst recht auf."
Woher kommt dieser Trotz der Dresdner - und ihre Bereitschaft, gegen die
vermeintliche "Islamisierung" aufzubegehren? Anders als die Bewohner
der sächsischen Handelsmetropole Leipzig hatten die Dresdner zu
DDR-Zeiten wenig Kontakt zu Fremden - also auch wenig Erfahrung im
Zusammenleben verschiedener Kulturen. "Tal der Ahnungslosen" wurde die
Gegend genannt, in der man Westfernsehen lange Zeit nicht empfangen
konnte. Immer stark ausgeprägt war in Dresden die Betonung der
Eigenständigkeit - in bewusster Abgrenzung zum 200 Kilometer entfernten
Berlin. In der DDR, erinnert sich Berghofer, wurden Baustoffe aus den
Bezirken abgezogen und für die "Hauptstadt der DDR" eingesetzt.
Besonders schlechte Stimmung habe dies in Dresden erzeugt - in der
Residenzstadt habe man auf solche Übergriffe traditionell sehr
empfindlich reagiert.
Ein gewisser Widerspruchsgeist der Dresdner hat sich oft geäußert:
Anfang 1989, als überall in der DDR die Unzufriedenheit mit der
wirtschaftlichen Lage wuchs, war der Protest aus Dresden ungewöhnlich
laut. Die SED-Führung fühlte sich bemüßigt, eine Kontrollkommission zur
Einschüchterung in die Stadt zu schicken. Das brachte nichts. Als wenige
Monate später die Menschen gegen die DDR protestierten, war es zwar in
Leipzig am 9. Oktober die hohe Zahl von 70000 Demonstranten, die die
Mächtigen ins Wanken brachte. Aber schon einen Tag vorher hatte es in
Dresden eine Demonstration gegeben - und die Menschen dort hatten
bereits den Dialog mit dem damaligen Oberbürgermeister Berghofer
erzwungen. Als es später um die Ablösung alter SED-Eliten aus der
Verwaltung ging, waren es wieder die Dresdner, die besonders rigoros
vorgingen. Dresden als rückständig zu bezeichnen, wie es einige
überregionale Medien schon getan haben, wäre also unzutreffend.
Auf der Suche nach Erklärungen dafür, dass gerade in Dresden viele
Demonstranten Woche für Woche wütend "Lü-gen-pres-se" skandieren und
Hasstiraden auf Politiker beklatschen, landet man in der jüngeren
Geschichte. Am 13. Februar 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, legten
amerikanische und britische Bomber die Stadt in Schutt und Asche. Dieses
Ereignis hat sich tief eingeprägt in fast jede Dresdner Familie.
Manchmal spüre man "Selbstmitleid", wenn über diese Zeit gesprochen
wird, meint Berghofer. Viele Dresdner reagieren reserviert auf
Amerikaner und Engländer. Als die britische Königin 1992 Sachsen
besuchte, wurde sie in Leipzig bejubelt und in Dresden kühl empfangen.
Seit Jahren gibt es in der Stadt Streit über die Frage, wie viele
Menschen am 13. Februar 1945 ums Leben kamen. Waren es 25000 - oder gar
zehnmal so viele, da sich zu dieser Zeit viele Flüchtlinge in Dresden
aufhielten?
Als 2009 eine offizielle Kommission der Stadt kundtat, es seien maximal
25000 Tote gewesen, setzte sich die Stadtspitze prompt dem Vorwurf der
Vertuschung aus. Es war wie so oft, wenn über etwas in Dresden
gestritten wird - die Parteien stehen sich unversöhnlich gegenüber.
Regelmäßig, wenn zu den Jahrestagen der Zerstörung Rechtsextremisten in
Dresden demonstrieren, wird dieser Vorwurf der Verfälschung von
Opferzahlen wiederholt. Vielleicht fallen die Verschwörungstheorien, die
auf den Pegida-Demonstrationen von den Organisatoren verbreitet werden,
auch wegen dieser Dauerdebatte über die Opferzahlen auf so fruchtbaren
Boden.
Bei der Pegida gedeiht die Vorstellung, Politiker und Medien hätten sich
gegen die Menschen verbündet, wollten sie belügen. Das mischt sich mit
dem Lokalbezug, den die Pegida-Organisatoren geschickt einstreuen. In
jeder Demonstration hört man unterschwellig die Botschaft mitschwingen:
Wir hier unten in Dresden wenden uns gegen die da oben in Berlin,
Brüssel oder Washington.
Noch eine Erklärung gibt es für die verhärteten Positionen vieler
Menschen, die in Dresden auf die Straße gehen: Die Verbindung der
Pegida-Anführer zu radikalen Fans des Fußballclubs Dynamo Dresden. Als
sich im vergangenen Dezember die Uni und viele andere Institutionen der
Stadt ausdrücklich von der Pegida distanzierten, bezog der Fußballverein
nach längerem Überlegen "keine Position" dazu. Kein Wunder: Unter den
vielen Pegida-Demonstranten sind viele Dynamo-Anhänger, die man nicht
verprellen will. Einer der Organisatoren, Lutz Bachmann, pflegt schon
seit Längerem enge Beziehungen zu Dynamo: Vor anderthalb Jahren, während
des Hochwassers, richtete er im Stadion ein Fluthilfezentrum ein.
Regelmäßig werden Dynamo-Spiele auch von gewaltbereiten Fans begleitet,
und diese haben drei Feindbilder - den DFB (weil er Dynamo mehrmals
Strafen auferlegte), die Polizei und die Medien. Der Ruf "Lügenpresse,
halt die Fresse!" erschallte das erste Mal bei einem Dresdner
Fußballspiel. Heute gehört er zum Standardprogramm von Pegida.
In Dresden, sagt Wolfgang Berghofer, herrscht eine
"Wagenburgmentalität". Man sei sehr stark auf sich selbst bezogen, fühle
sich schnell angegriffen von außen und nehme daher rasch eine
Verteidigungsstellung ein. Die Ereignisse vom Sonntag geben nun wohl
manchen Leuten Auftrieb, die sich mit ihren Warnungen vor den Islamisten
nie ernst genommen fühlen. Wenn sie die "Allgemeinverfügung" der
Polizei lesen, dürften sie sich bestätigt fühlen. Demnach hat eine nicht
näher definierte Gruppe auf Arabisch potenzielle Attentäter aufgerufen,
sich unter die nächste Pegida-Versammlung zu mischen und den Anführer
zu ermorden. Von einer "unmittelbaren Gefährdung von Leib und Leben
aller Teilnehmer an Versammlungen" sei auszugehen, folgert die Polizei.
Das Bundeskriminalamt hatte diesen Hinweis erhalten und ihn ans LKA
Sachsen weitergereicht.
Was auch immer am heutigen Montag in Dresden geschieht: Zur Entspannung
der ohnehin aufgewühlten Stimmung dürften die jüngsten Ereignisse wohl
kaum beitragen.
Proteste verärgern Geschäftsleute
Von Hauke Heuer
Zunehmend genervt reagieren die Dresdner Einzelhändler auf die Pegida-Kundgebungen. Fast 2500 Betriebe mit rund 40000 Beschäftigen sitzen in dem rund einen Quadratkilometer großen Gebiet. Der Einzelhandel und die Gastronomie sind besonders stark vertreten. Brechen die Umsätze ein? "Pegida ist ein politisches Thema. Wir äußern uns nicht dazu", heißt es aus der Altmarkt-Galerie, dem größten Einkaufszentrum. Deutlicher wird man da im Geschäft einer bekannten Optikerkette "Ab 16 Uhr geht am Montag gar nichts. Auch schon während des Weihnachtsgeschäftes mussten wir deshalb Umsatzeinbußen hinnehmen", sagt die Filialleiterin.
Ronald Höpfner vom Outdoor-Markt Globetrotter beobachtet: "Die
Demonstrationen verunsichern unsere Kunden. Normalerweise ist Montag der
drittstärkste Tag der Woche. Die Ausrüstungsdefizite, die am Wochenende
aufgefallen sind, werden dann ausgeglichen. Derzeit meiden die Kunden
am späten Montagnachmittag aber das Geschäft."
Doch es gibt auch Gegenbeispiele: "Die Demonstrationen haben einen
positiven Effekt. Viele Pegida-Teilnehmer kehren vor und nach der Demo
bei mir ein - das sind normale Leute. Sonst habe ich am Montagabend kaum
Gäste", sagt die Betreiberin eines Cafés an der Altmarkt-Galerie.
Christian Flössner, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer
Dresden, betreibt eine Apotheke an der Prager Straße. Sein Fazit:
"Demonstrationen sind generell nicht gut für das Geschäft. Diese
Erfahrung haben wir bereits im Zuge der Nazi-Demonstrationen am
13.Februar machen müssen."