Mehrere Zehntausend Euro Schaden in der Stadt Gegen rund 200 Autonome wird jetzt ermittelt Polizei richtet Kontrollbereich in Connewitz ein
Von Frank Döring
Leipzig. Leipzigs linksextreme Szene macht ernst: Eine Woche
nach dem Anschlag auf den Polizeiposten im Stadtteil Connewitz wüteten
am Donnerstagabend Hunderte Autonome im Zentrum und der Südvorstadt.
Zunächst unbehelligt griffen die Chaoten Gerichtsgebäude, Banken und
Geschäfte an, demolierten Autos und rissen Verkehrsschilder heraus. Die
Polizei konnte nicht sofort eingreifen, weil zunächst keine
geschlossenen Einheiten verfügbar waren.
"Wir stehen in Leipzig vor einem polizeilichen Notstand", sagte gestern der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Hagen Husgen, der Leipziger Volkszeitung.
Gegen 20 Uhr nahm das Unheil seinen Lauf: In der Beethovenstraße
formierte sich der Aufmarsch, mehr als 600 Autonome zogen dann durch
die Innenstadt, bevor es wieder zurück in Richtung Süden ging. Allein
am Amtsgericht in der Bernhard-Göring-Straße - es steht auf einer Liste
mit 50 Anschlagszielen, die Mitte Dezember von Linksextremen
veröffentlicht worden war - gingen 40 Fensterscheiben zu Bruch. "Als
Zeichen militanter Solidarität", wie es in einem Bekennerschreiben
heißt. Die anrückende Polizei wurde von den Vermummten massiv
attackiert, mit Pflastersteinen wurden die Scheiben von drei
Einsatzwagen zerstört. Die Insassen hatten Glück, blieben unverletzt.
An der Ecke Karl-Liebknecht-Straße/Braustraße kesselte die Polizei den
harten Kern der Chaoten gegen 21.15 Uhr ein. Die angeforderte
Verstärkung war eingetroffen - Einheiten aus Dresden und Zwickau, aus
Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie von der Bundespolizei. Zunächst
hatte der Führungsstab in der Polizeidirektion lediglich alle
verfügbaren Revierkräfte zusammenziehen können, so Behördensprecher
Andreas Loepki. Auch das Spezialeinsatzkommando (SEK) war angefordert
worden.
Bis in die Nacht hinein nahm die Polizei von 204 Verdächtigen die
Personalien auf. Gegen sie wird wegen schweren Landfriedensbruchs
ermittelt. Alle wurden fotografiert. Außerdem kassierten die Beamten
mehrere Dutzend Handys ein - neben Fotos und Videos könnten auch
Standortdaten bei den Ermittlungen helfen. Ein Leipziger (30) und ein
Markkleeberger (26) wurden vorläufig festgenommen, gegen sie liegen
bereits konkrete Verdachtsmomente vor. Die Polizei beziffert den
Gesamtschaden auf mehrere Zehntausend Euro.
Als Anlass für die Gewaltorgie musste der Tod des Asylbewerbers Khaled
herhalten. Der 20-Jährige war in Dresden erstochen worden, die Umstände
sind ungeklärt. Gleichwohl trommeln Linksradikale im Internet: "Rache
für Khaled! Rassisten und Staat angreifen! Überall!" Auf der
linksextremistischen Internetplattform Indymedia heißt es: Die Leipziger
Demo "trug den Zorn über den Mord an Khaled sowie die anhaltende
rassistische Mobilmachung seitens Legida und Pegida, sowie der
Bundesregierung auf die Straße."
Polizeisprecher Loepki rechnet mit weiteren gewalttätigen Aktionen von
Autonomen. Erste Reaktion: Nach dem Anschlag auf den Polizeiposten
wurde in Connewitz ein Kontrollbereich eingerichtet. Damit ist es
möglich, verdächtige Personen schneller als bisher zu überprüfen.
Leitartikel Von Klaus Staeubert
Autonome spielen Legida in die Hände
Leipzig steht unter Schock. Die Ereignisse vom Donnerstagabend, an dem sich 600 Autonome auf den Weg machten, den Tod des in Dresden mutmaßlich ermordeten Asylbewerbers Khaled zu rächen, liegen wie ein Schatten über der sonst so frischen, lebensbejahenden, pulsierenden Stadt. Mit Meinungsäußerung hat ihr Gewaltausbruch nichts zu tun. Es waren vermummte Kriminelle, die da marodierend umherzogen, Schneisen der Verwüstung hinterließen, Angst in der Bürgerschaft schürten. Dass ausgerechnet hier, wo vor 25 Jahren Zehntausende Menschen durch ihren friedlichen Protest ein ganzes System wegfegten, solche Exzesse passieren, ist besonders bitter.
250 bis 300 Personen zählt der sächsische Verfassungsschutz zum Kern
der linksextremen Szene in Leipzig. Gut vernetzt, strukturiert und im
Straßenkampf erprobt, können sie binnen Stunden Hunderte Anhänger
mobilisieren. So wie vorgestern. Oder vor einer Woche, als eine Meute
Vermummter den Polizeiposten in der Wiedebach-Passage angriff. Oder vor
einem halben Jahr, als ein wütender Mob mit Pflastersteinen bewaffnet
Teile von Plagwitz in ein Schlachtfeld verwandelte.
Bleibt die Frage: Warum gelang es dieser Szene, sich gerade in der Stadt
der Friedlichen Revolution so zu etablieren? Nur ein
Großstadt-Phänomen? Natürlich haben auch Berlin und Hamburg ein Problem
mit gewalttätigen Anarchos. In Leipzig aber fanden jene, die abseits
gesellschaftlicher Normen und Werte stehen, nicht nur ihre Nische,
sondern ein politisches Klima, in dem sie wachsen konnten. Als vor
Jahren Neonazis mit ihren Aufmärschen der Stadt einen braunen Stempel
aufzudrücken versuchten, waren es gerade Autonome, die sich den
Ewiggestrigen in den Weg stellten, sie stoppten und physisch angriffen.
Ganz nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Eine klare Abgrenzung
von derlei Methoden blieb besonders im linken politischen Lager oft
aus.
Dieser Kuschelkurs hat die Leipziger Autonomen stark und nun in Teilen
unberechenbar gemacht. Wer Massen-Schneeballschlachten in Connewitz als
lustige Folklore bagatellisiert, selbst dann, wenn Wurfgeschosse mit
Glasscherben gespickt sind, muss sich nicht wundern, wenn eines Tages
Menschen verletzt, Polizei und Gerichte angegriffen und Barrikaden
errichtet werden.
Dem islamkritischen Bündnis Legida spielen die Linksradikalen damit in
die Hände. Längst geht es den selbst ernannten Rettern des Abendlandes
um mehr. Sie stellen das bestehende politische System in Frage. Den
35000 Menschen, die am Montag dagegen auf die Straße gingen, erweisen
die Autonomen einen Bärendienst. Sie konterkarieren deren Ideale einer
freien, weltoffenen und toleranten Gesellschaft. Sie radikalisieren
Hools und Rechtsextreme unter den Legida-Anhängern und sorgen dafür,
dass viele Menschen, die die Ziele der Legida ablehnen, aus Angst vor
Randale künftig zu Hause bleiben werden.