Wer war Khaled Bahray?

Erstveröffentlicht: 
15.01.2015

Der gewaltsame Tod eines Asylbewerbers in Dresden hat für großes Aufsehen gesorgt. Die Freunde von Khaled Bahray befürchten ein rassistisches Motiv. Gegenüber tagesschau.de erzählen sie über ihr Leben in Dresden - und über ihren toten Freund.

 

Von Lena Kampf, NDR, für tagesschau.de

 

In dem Bett seines toten Neffen hat Said Hamid geschlafen, oder es zumindest versucht. Vor Trauer, und aus Angst, es könne auch in dieser Nacht wieder etwas passieren, haben Said Hamid und die sieben eritreeischen Mitbewohner des toten Khaled Idriss Bahray keinen Schlaf gefunden.

 

Die Dresdener Kriminalpolizei hatte am Tag zuvor seine Sachen aus der Wohnung mitgenommen, nur ein kleiner Teddy und ein Fuchs aus Stoff von Khaled Idriss Bahray liegen noch auf der Fensterbank. Said Hamed, der Onkel, hat Bahrays Mutter im Sudan angerufen und ihr erzählt, dass ihr ältester Sohn in Deutschland ermordet wurde. Sie stehe jetzt unter Schock, sagt er. Sie könne nicht mehr sprechen.

 

Khaled Idriss Bahray, 20-jähriger Asylbewerber aus Eritrea, wurde in der Nacht von Montag auf Dienstag in Dresden erstochen. Er starb durch Verletzungen am Hals und in der Brust. Doch auch drei Tage nach der Mordnacht gibt es noch keine Hinweise auf Tatgeschehen oder Täter, auch weil die Kriminalpolizei erst einen Tag nach dem Auffinden des Toten mit den Ermittlungen begann: Am Dienstag hatte die Polizei noch ein Gewaltverbrechen ausgeschlossen. Der Grünen-Politiker Volker Beck stellte deswegen mittlerweile Strafanzeige wegen Strafvereitelung im Amt. Vertreter des muslimischen Zentrums aus Dresden sprechen von Bahray als "erstem Pegida-Opfer". Doch dafür gibt es keine Belege.

 

Im "Netto" kurz Zigaretten holen


Am Montagabend habe sich Bahray noch einmal die Schuhe angezogen und im "Netto" Zigaretten holen wollen, erzählen die Freunde. Sein Telefon habe er in der Wohnung gelassen, nur ganz kurz wollte er weg sein. Der Supermarkt liegt nicht einmal 100 Meter entfernt. Man sieht ihn aus dem Fenster der Wohnung. Doch Bahray kam nicht zurück. Die Mitbewohner riefen seine Freunde an, die in Asylunterkünften am anderen Ende der Stadt untergebracht sind, doch auch dort war er nicht angekommen. Am nächsten Morgen fand eine Nachbarin seine Leiche im Hof. Blutüberströmt, sagt einer der Freunde: "Er lag auf dem Rücken, und Blut lief ihm aus der Nase und aus dem Mund."

 

Die Polizei vermutet, dass der Fundort nicht der Tatort war. Hat Bahray sich also dort hingeschleppt und versucht, durch den Hintereingang in die Wohnung zu kommen? Ist er sterbend oder tot dort abgelegt worden? Niemand, so scheint es, hat etwas beobachtet oder wahrgenommen. Die Nachbarn können keine Angaben machen. Nur an einen Böller können sich einige erinnern, gegen 23.30 Uhr habe es einmal laut geknallt.

 

Anfeindungen von einigen Anwohnern

 

Die Mitbewohner von Bahray berichten, gegen 22 Uhr habe es noch zwei Mal lange an der Tür geklingelt. Sie hätten nicht aufgemacht, weil in den Wochen zuvor immer wieder bei ihnen geklingelt worden sei, mitten in der Nacht, um drei oder vier Uhr morgens. Sie hätten Angst gehabt, sagen sie, erzählen von rassistischen Übergriffen: Ein Nachbar habe auf der Straße vor ihnen ausgespuckt, einmal ins Gesicht. Drei Tage vor Bahrays Tod hätten sie zwei Hakenkreuze an ihrer Wohnungstür entdeckt. Die Schmiererei haben sie bereits abgeschrubbt, nur der Abdruck eines halbes Kreuzes ist noch zu sehen. 

 

Einige Äußerungen der Nachbarn zeigen zumindest, dass die Asylbewerber mit Argwohn beobachtet werden. Die seien frech, laut, man fühle sich gestört, sagen Anwohner gegenüber tagesschau.de. Es sei doch nur eine Frage der Zeit gewesen, "bis die sich gegenseitig aus dem Fenster stoßen". Andere sagen hingegen, die Männer hätten freundlich gegrüßt. Ein junger Nachbar meint, er habe das Opfer persönlich gekannt, er sei sehr betroffen.

 

Der Plattenbau im Dresdner Südosten besteht aus drei zusammenhängenden Häuserfronten, in der Mitte ein großer Hof - Spielplatz, Wiese, Wäscheleinen. Bahray hat hier mit den anderen sieben Männern aus Eritrea im zweiten Stock des Eckhauses gewohnt, vier karge Zimmer, Laminat, an den Wänden lehnen die Fahrräder der Bewohner.

 

Whatsapp-Nachrichten an seine Mutter


Beim Fundort der Leiche im Hof liegen jetzt Blumen und Kerzen. Der Tod von Bahray hat nur sehr wenige Spuren hinterlassen. Genauso wie sein kurzes Leben. Die Biographie und seine Flucht nach Europa lassen sich nur mühsam aus den Erzählungen seines Onkels und seiner Freunde rekonstruieren: Er war der jüngste von ihnen, ein ruhiger, friedlicher Typ. Seiner Mutter habe er jeden Tag Whatsapp-Nachrichten geschrieben, erzählen sie.

 

Bahray wird vor 20  Jahren in Keren im Landesinneren von Eritrea geboren. Sein Vater stirbt, als er noch ein Kleinkind ist. Mit etwa fünf Jahren flüchtet er mit seiner Mutter und der Schwester in den Sudan, nach Wadi Halfa. Bahray will etwas lernen, am liebsten Automechaniker. Doch in Wadi Halfa gibt es keine Ausbildung, keine Arbeit, keine Perspektive - und keine Freiheit.

Bahray flüchtet nach Europa, vor etwa vier Monaten, gemeinsam mit einem Cousin. Sieben Tage durchqueren sie die Sahara nach Libyen. 4000 US-Dollar soll allein die Fahrt durch die Wüste gekostet haben, so erzählen es die Freunde, die die gleiche Route genommen haben. Es sei furchtbar heiß gewesen, es hätte nur sehr wenig Wasser gegeben und einige der Mitreisenden seien gestorben. In Libyen wird Bahray erst einmal festgenommen, so wie die meisten Geflüchteten. Nur gegen Geldzahlung der Familie wird er einen Monat später aus dem Gefängnis entlassen. Wieviel, das weiß auch der Onkel nicht.

 

Libysche Schlepper setzen ihn dann in ein kleines Boot, das an der italienischen Küste wohl von der Marine aufgegriffen und nach Sizilien gebracht wird. Sein Cousin schafft es nicht, er ertrinkt im Mittelmeer.

 

Dezentrale Unterbringung


Bahray reist mit dem Zug weiter nach Deutschland und erreicht im August München. Wahrscheinlich kommt er dort in ein Erstaufnahmelager und wird dann nach bundesdeutschem Schlüssel verteilt. Erst nach Chemnitz, dann nach Schneeberg und von dort in die "dezentrale Unterbringung": Ihm wird eine Wohnung in Dresden zugeteilt, im September ziehen die acht Männer hier ein. "Wir haben uns Dresden nicht ausgesucht", sagt einer der Freunde.

 

Und sie möchten hier nicht bleiben. "Wir haben solche Angst", sagt der 26-jährige Hassan Saleh, der ein Zimmer mit Bahray geteilt hat. In Eritrea hätten sie von der Freiheit in Deutschland geträumt. Und von der Sicherheit. Aber seitdem sie hier sind, fürchten sie sich. Seitdem sie hier sind, gibt es "Pegida". Was die Demonstrationen genau bedeuten, verstehen die Freunde Khaleds nicht, aber sie spüren: Sie sind hier nicht erwünscht.

 

Nachdem die Polizei am Dienstag zunächst behauptete, es könne sich um einen Selbstmord handeln, haben die Männer kein Vertrauen in die Aufklärung der Tat: Am Mittwochabend, nach ihren Zeugenaussagen auf dem Polizeipräsidium, bedrängten sie den Ermittlungsführer der Kriminalpolizei mit Fragen: Warum man nur sie mitgenommen habe? Werden die anderen Nachbarn auch befragt? Und ob denen auch DNA-Proben entnommen werden, wollen die Eritreer wissen. Der Polizist beschwichtigt: Der Täter werde nicht in im Freundeskreis vermutet, aber die Polizei ermittle in alle Richtungen.

 

"Hier wird Hass geschürt!"


Auf einer Veranstaltung von antirassistischen Gruppen in Dresden am Mittwochabend berichtete Mahmoud Kassem, der Vorsitzende des Islamischen Zentrums Dresden, von zunehmenden Bedrohungen von Muslimen in der Stadt, von täglichen Beleidigungen und Übergriffen. "Hier wird Hass geschürt, Hass injiziert", sagt er.

 

Andrea Hübner von der Opferberatung RAA Sachsen hält die Befürchtungen für berechtigt, dass in der momentanen Stimmung die Hemmschwelle sinkt, Hetze in die Tat umzusetzen. Es liege noch keine genaue Statistik für 2014 vor, sagt Hübner, aber die Zahl der rassistisch motivierten Übergriffe sei in den vergangenen Wochen "definitiv angestiegen".

 

Auf Anfrage von tagesschau.de sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, bisher habe es noch keine Hinweise auf ein Tatmotiv gegeben. Khaled Idriss Bahray wird nächste Woche beerdigt. In Deutschland. In Dresden.