Der Verfassungsschutz schlägt Alarm: In Berlin gibt es eine linke Gruppe, die besonders militant sein soll. Gespräch mit Kamila Bach
»Antifa in der Krise«, konstatierte im vergangenen Jahr ein Kongress in Berlin. Nachdem sich landauf, landab etliche Gruppen aufgelöst haben, gibt es jetzt aber eine Neugründung: die »radikale linke berlin«. Warum?
Die linksradikale Bewegung ist momentan im Umbruch. Alte Zusammenhänge haben sich aufgelöst, neue sind entstanden. Uns geht es darum, linken Widerstand zu organisieren. Die Gründung der »radikalen linken berlin« ist der Versuch, aus den Erfahrungen zu lernen, um gemeinsam in die Gesellschaft hinein wirken zu können. Wir wollen uns nicht von den Menschen abwenden und in einer »Szene« einrichten. Wo das Leben ist, muss auch die radikale Linke sein.
Wir haben uns dabei bewusst nicht »Antifa« genannt. Nicht etwa weil wir Antifaschismus für unwichtig halten – ganz im Gegenteil. Die rassistische Hetze gegen Flüchtlinge und die zunehmende rechte Gewalt zeigen, wie notwendig der Widerstand ist. Doch auch ohne Nazis würde es Armut, Hunger und Krieg geben, weil sie zum Kapitalismus gehören.
Welche Spektren haben in Ihrer Gruppe einen Platz gefunden?
Wir sind angetreten, »traditionelle« Trennlinien zu überwinden, ohne inhaltlich beliebig zu werden. Wenn beispielsweise bei der »Mall of Shame« in Berlin Arbeiter protestieren, weil sie keinen Lohn bekommen, spielt es, wenn ich ihr Anliegen unterstütze, keine Rolle, ob ich Anarchistin oder Kommunistin bin.
Ein anderes Beispiel: Wenn wir wie jetzt versuchen, im Rahmen der Flüchtlingsproteste Positionen zu entwickeln, die die Rolle imperialistischer Politik, von Waffenexporten und ökonomischer Unterdrückung mitdenken, dann müssen wir uns nicht gegenseitig erst fragen: Bist du Maoist? Wie hältst du es mit Enver Hodscha? Wir wollen anhand konkreter Fragen entscheiden, wie wir zusammen handeln können.
Braucht die linke Bewegung angesichts sich der aktuellen Probleme nicht viel eher ein Zusammengehen der Kräfte in den bundesweiten Strukturen als noch eine weitere Gruppe, die autonom agiert?
Ob die »linke Bewegung« das braucht, wissen wir nicht – wir haben es gebraucht und deshalb gemacht. Wir haben festgestellt, dass es in Berlin viele Menschen gibt, die lange aktiv waren, aber nirgendwo mehr organisiert sind. Da hat sich ein Neustart angeboten. Wenn wir so weiter wachsen wie bisher, gründen wir ohnehin bald eine bundesweite Organisation, eine Europafraktion und eine eigene zwölfeinhalbte Internationale.
Der Berliner Verfassungsschutz hat Ihre Gruppe prompt als besonders militant dargestellt. Wie erklären Sie sich diesen Beißreflex der Behörde?
Die Geheimdienstler fürchten sich davor, dass die radikale Linke interne Streitigkeiten überwindet. Das letzte, was die Repressionsbehörden wollen, ist eine kämpferische linke Bewegung, die sich auf ihre Gemeinsamkeiten bezieht und die in der Vielfalt von Positionen, Erfahrungen und Aktionsformen keinen Widerspruch, sondern eine Bereicherung sieht. Außerdem geht es den Beamten auch darum, ihre Arbeitsplätze zu sichern. Es ist nichts Neues, dass maßlos übertrieben oder schlichtweg gelogen wird, um eine Bedrohung aufzubauen. Gerade nach den NSU-Morden ist es für die Geheimdienste wichtig, Erfolgsmeldungen zu produzieren, um nicht völlig überflüssig zu wirken. Da kommt eine gefährliche neue linke Gruppe gerade recht. Wir haben das auch in einem offenen Brief auf unserer Internetseite thematisiert.
Welche Projekte sind geplant?
Eine ganze Reihe, wir sprechen darüber aber noch nicht. Was ich sagen kann, sind einige Dinge, die schon öffentlich sind: Wir versuchen zur Zeit, die Flüchtlingsproteste zu unterstützen, sowohl politisch wie logistisch, etwa durch eine Essensausgabe. Wir beteiligen uns auch am Widerstand gegen rechte Mobilisierungen. Deswegen haben wir eine Wandzeitung geschrieben, die in diesen Tagen in Bezirken plakatiert wird, in denen sogenannte Bürgerproteste stattfinden. Ein anderes Feld ist der Kampf um das Recht auf die Stadt: gegen Gentrifizierung und steigende Mieten.