Am Dienstag fand vor dem Dresdner Landgericht der letzte Verhandlungstag im Berufungsprozess gegen einen Berliner Antifaschisten statt, der im Januar 2013 wegen seiner Teilnahme an den Protesten gegen mehrere Naziaufmärsche im Februar 2011 am Amtsgericht zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Ein Schöffengericht hatte es damals als erwiesen angesehen, dass der heute 38-Jährige mit einem Megafon eine Menschenmenge aufgewiegelt und zum Durchbrechen einer Polizeikette aufgefordert haben soll.
Dabei waren am Vormittag des 19. Februars in der Dresdner Südvorstadt insgesamt vier Einsatzkräfte verletzt worden. Sowohl der Vertreter der Staatsanwaltschaft, welche im ersten Verfahren eine mehrjährige Haftstrafe gefordert hatte, als auch die Verteidigung des Angeklagten, waren anschließend gegen das Urteil in Berufung gegangen.
Nachdem sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu Prozessauftakt im Dezember nicht auf einen Vergleich einigen konnten, offenbarten die drei Prozesstage erneut eklatante Mängel in den dem Prozess zugrunde liegenden Ermittlungen. So erwiesen sich weder die, im Prozess zum ersten Mal ungeschnitten gezeigten, Polizeivideos noch die Zeugen der Anklage als brauchbar.
So zeigten die Videos mindestens vier weitere Personen mit Megafon und auch die Zeugen der Staatsanwaltschaft konnten den Angeklagten nicht wiedererkennen. Auch eine Hausdurchsuchung Wochen nach den Vorfällen brachte bis auf eine schwarze Jacke keine Erkenntnisse. Dennoch wurde Tim für die Beleidigung eines Polizeibeamten am Abend des dritten Verhandlungstages zu einem Bußgeld in Höhe von 90 Tagessätzen a 45 Euro und 50% der Prozesskosten verurteilt, im Gegenzug wurden die Vorwürfe wegen besonders schwerem Landfriedensbruch fallengelassen.
Während die Verteidigung in ihrem Abschlussplädoyer zuvor einen Freispruch für den Angeklagten gefordert hatte, setzte sich Diana Büch als Vertreterin der Anklage trotz etlicher während des Prozesses zutage getretener Ungereimtheiten erneut für eine Gefängnisstrafe ein, ausgesetzt auf Bewährung. Im Plädoyer der Verteidigung hatte einer der beiden Anwälte des Angeklagten die Frage aufgeworfen, wie viele Fehlurteile wohl durch die Manipulation von Bewiesen durch die Dresdner Polizei gefällt wurden.
Der Verteidigung sei es erst durch “akribische Kleinarbeit” gelungen, offensichtlich durch die Polizei manipulierte Videoaufzeichnungen aufzudecken und ungeschnitten vor Gericht gezeigt zu bekommen. Nicht die Staatsanwaltschaft, so der Vorwurf von Tims Rechtsanwalt Sven Richwin, sondern vielmehr die Polizei habe die Beweise vorgelegt, die sie selbst für wichtig erachtet hat. Gleichzeitig hatte die Verteidigung bis zum letzten Prozesstag vergeblich auf die Aushändigung verschiedener Beweismittel gewartet.
In seinem mündlichen Urteil musste sogar der Vorsitzende Richter Walter Voigt zugeben, dass er mit dem ursprünglichen Zusammenschnitt “keinen Zweifel” an der Schuld des Angeklagten gehabt hätte, den von der Verteidigung erhobenen Manipulationsvorwurf gegen eine von der Polizei im Anschluss an die erfolgreichen Massenblockaden eingerichtete Sonderkommission “Soko 19/2″ wies er jedoch zurück. Bereits im mittlerweile eingestellten Prozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König hatte dessen Verteidigung denselben ermittelnden Beamten die Einrichtung einer “Fälscherwerkstatt” vorgeworfen.
Da im Prozessverlauf trotz eines morphologischen Gutachtens nicht zweifelsfrei bewiesen werden konnte, dass der Angeklagte maßgeblich zum besagten Sturm auf eine Polizeisperre aufgerufen hatte, entschied der Richter zugunsten des Angeklagten: “Er war nicht vorne bei den Gewalttätern dabei und es ist nicht nachzuweisen, dass er die Demonstranten angeleitet hat”.
In seiner Urteilsbegründung würdigte er die Arbeit der Verteidigung und schloss sich der von ihr erhobenen Kritik an der Arbeit der Ermittler an. Diese hatte die Staatsanwaltschaft aufgefordert, ihrer Pflicht nachzukommen, strafrechtliche Bewertungen von Beweisen nicht der Polizei zu überlassen, sondern die Ermittlungstätigkeit zu leiten. Zudem kritisierte Richter Voigt das Amtsgericht für Versäumnisse bei der Beweisaufnahme aber auch für die Höhe des knapp zwei Jahre zuvor ergangenen Urteils.
Das Gericht verurteilte Tim trotz der offenkundig einseitig geführten Ermittlungen schließlich wegen der Beleidigung eines Polizeibeamten, welcher zuvor eine bei dem Durchbruch auf der Bernhardstraße zu Boden gegangene Person geschlagen hatte, zu einem hohen Bußgeld. Dabei soll der Angeklagte den Polizisten als “Nazischwein” bezeichnet haben.
Zwar fiel das abschließende Urteil im Unterschied zur ersten Instanz vergleichsweise mild aus, in Anbetracht der Belastung des Angeklagten durch die lange Verfahrensdauer und einer damals drohenden Haftstrafe dürfte dies jedoch nur ein schwacher Trost sein. Da auf den auch nach dem Ende des Prozesses nicht vorbestraften Familienvater nun auch noch die Hälfte der Verfahrenskosten zukommen, ist einmal mehr Solidarität gefragt. Spenden für den Betroffenen sind auf folgendes Konto möglich:
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Stichwort: “FREISTAAT”
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