Am 17. November fand in der Orangerie in Markkleeberg-Gaschwitz eine Informationsveranstaltung zur Situation von Asylsuchenden im Landkreis Leipzig statt. „Von außen sieht es nicht so schlimm aus - aber das ist ein Trick“ – so der Titel des Vortrags. Den gleichen Namen trägt auch eine vom Bornaer Verein Bon Courage e.V. herausgegebene Broschüre. Sandra Münch, eine der ehrenamtlich Engagierten, im Interview.
Hallo Sandra, danke, dass du dich trotz der späten Uhrzeit bereit
erklärt hast, noch die eine oder andere Frage zu beantworten. Die
Veranstaltung gerade mit den 40 Gästen hat samt Diskussion zwei Stunden
gedauert. Wie ist dein Eindruck?
Das können zwar die Zuhörer meiner Ansicht nach besser beurteilen, aber
wir waren sehr zufrieden. Zufrieden über die große Anzahl der
Interessierten, das durchmischte Alter der Zuhörer, die regen
Diskussionen und das scheinbar große Interesse der Markkleeberger, aktiv
werden zu wollen. Das finden wir sehr begrüßenswert.
Kannst du bitte ein paar Informationen über den Verein Bon Courage
e.V., über die Entstehung, die Ziele und die tägliche Arbeit geben?
In Borna gab es in der Vergangenheit in den Nachrichten oftmals negative
Schlagzeilen über die Aktivitäten von Neonazis. Auch einige meiner
Freunde wurden Opfer von Neonazi-Übergriffen. In dieser Zeit war es für
uns echt gefährlich, auf die Straße zu gehen. Ich war damals gerade mit
der Schule fertig, aber das gefiel uns nicht, so konnte es nicht
bleiben. Daher trafen sich Ende 2006 einige engagierte Jugendliche und
wollten dem etwas entgegensetzen. Bon Courage wurde dann im Januar 2007
gegründet. Die Ziele und die Inhalte der Arbeit lassen sich nicht so
einfach in wenigen Worten beschreiben. Es geht darum, die Menschen für
ein solidarisches, von gegenseitigem Respekt geprägtes Miteinander zu
sensibilisieren, niemand soll, aus welchen Gründen auch immer,
diskriminiert werden. Und dazu gehört eben auch die Unterstützung, die
wir für Flüchtlinge anbieten wollen.
Viele von ihnen wurden in ihren Heimatländern unterdrückt, gefoltert,
haben gehungert oder schreckliche Kriegserlebnisse erleiden müssen,
wurden religiös diskriminiert oder waren sexueller Gewalt ausgesetzt.
Und wenn sie dann die beschwerliche und zum Teil lebensgefährliche
Flucht mit Schleppern geschafft haben und hier in Deutschland angekommen
sind, beginnt die Tortur von vorn: das Melden bei Behörden, das Stellen
von Anträgen, die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen, die
manchmal in einem erbärmlichen Zustand sind, aggressive und
menschenverachtende Anschuldigungen bis hin zu körperlicher Gewalt und
so weiter. Das erlebt man öfter als man glaubt, wenn man mit offenen
Augen und Ohren durch die Welt läuft. Da muss man doch helfen. Und das
machen wir.
Wir informieren, klären auf und leisten Netzwerkarbeit. Wir wollen die
Asylsuchenden mit unseren Angeboten unterstützen und beraten. Wir
organisieren Projekte mit und für Asylsuchende. Wir helfen beim Lesen,
Verstehen und Schreiben von Behördenbriefen und helfen beim Ausfüllen
von Anträgen. Und manchmal ist es einfach nur eine Riesenerleichterung
für die Betroffenen, wenn wir irgendwo (z.B. wegen eines Arztbesuchs)
vermitteln oder mal beim Einkaufen helfen.
Wer sind „wir“? Hat der Verein feste Mitarbeiter oder seid ihr alle ehrenamtlich tätig?
Bon Courage hat derzeit 40 Mitglieder, von denen etwa acht regelmäßig
aktiv sind. Die anderen sind eher stille Unterstützer. Die Arbeit im
Verein mache ich, wie alle anderen auch, bisher ehrenamtlich.
Das heißt, du arbeitest tagsüber in deinem Beruf und kümmerst dich in deiner Freizeit um die Arbeit für den Verein?
Naja, nicht ganz. Ich bin 27 Jahre, komme ursprünglich aus Borna und
habe für's Studium sieben Jahre in Chemnitz gelebt, seit kurzer Zeit
wohne ich aber in Leipzig. Da ich noch Studentin bin, ich warte noch auf
die Korrektur meiner MA-Arbeit, mache ich derzeit nichts anderes
Berufliches. Und so bin ich die Woche fast die ganze Zeit ehrenamtlich
für Bon Courage unterwegs. Allerdings versuchen wir, ab 2015 zwei kleine
Stellen für die Flüchtlingsberatung zu schaffen. Mal sehen.
Gab es ein besonderes persönliches Erlebnis, warum du dich für die Flüchtlinge engagierst?
Die Gründe lassen sich nicht an einem bestimmten Erlebnis festmachen.
Natürlich mache ich die Arbeit, weil sie mir persönlich sehr viel
bedeutet. Besonders geht es mir um die Verbesserung der Lebenssituation
von Asylsuchenden. Nachdem ich mit sehr vielen von ihnen gesprochen
habe, weiß ich, unter welcher enormen Belastung sie derzeit leben.
Gibt es Aktionen der vergangenen Jahre, die du besonders hervorheben möchtest?
Ja, zum Beispiel unser Refugees Welcome-Volleyballturnier Ende September
in Borna, an dem insgesamt sieben Mannschaften teilnahmen, unter den
Sportlern auch Asylsuchende aus einigen Wohnheimen des Landkreises. Dazu
gab es leckere Speisen, die die Flüchtlinge besorgt hatten. Wir freuen
uns jetzt schon auf das nächste Jahr. Für die asylsuchenden Frauen gibt
es auch Angebote, sich zu treffen, zu reden, zu stricken oder um
Ausflüge zu machen.
Und was hat es mit dem Heft hier auf sich, das ihr heute Abend verteilt habt?
Das ist bereits die zweite Auflage unserer Broschüre "Von außen sieht es
nicht so schlimm aus ...". Die erschien erstmals im Sommer 2013 und war
schnell vergriffen. Ein Jahr später, 2014, haben wir die nochmals
überarbeitet, um den Darstellungen und Zahlenverfälschungen, die im Jahr
2013 für eine rassistische Stimmungsmache gegen Flüchtlinge benutzt
wurden, mit einer authentischen und sachlichen Broschüre zu begegnen. In
diesem Heft wird - in Interviewform - die Lebensrealität von
Asylsuchenden in Deutschland beschrieben. Diese Interviews haben wir mit
Asylsuchenden geführt. Und wenn dir dann einer von denen im Gespräch
sagt: "Alle Leute hier schreien, aber hören tut sie keiner", das macht
mich nachdenklich.
Kannst du die dringendsten Probleme der Flüchtlinge und damit eurer Arbeit benennen?
Oh, das sind ganz schön viele. Man erlebt ganz schön viel. Das ist
manchmal echt krass. Da geht es mit den Unterkünften los. In den
Gemeinschaftsunterkünften im Landkreis müssen die Standards der
Unterbringung regelmäßig überprüft werden, um Minimalstandards der
Hygiene einzuhalten. Die Kommunen müssen sich kümmern, dass ausreichend
Wohnraum zur Verfügung steht, damit humanitäres Wohnen möglich wird. Die
Asylsuchenden wohnen auf engstem Raum zusammen, das schafft viele
Probleme. Auch weil dies Menschen verschiedener Nationen und Religionen
sind, denen man nur helfen kann, wenn jemand beratend zur Seite steht
und vermittelt. Das ist nicht immer so einfach und geht nur, wenn der
Landkreis weitere Sozialarbeiterinnen einstellt. Das ist dringend
notwendig.
Noch ein paar Dinge, die nur die Bundespolitik lösen kann: Die
Asylsuchenden müssen vor dem Gesetz mit den Deutschen gleichgestellt
werden, die Leistungen für den Lebensunterhalt müssen an das
Existenzminimum angepasst werden. Die Probleme: Berufsabschlüsse werden
nicht anerkannt, Asylsuchende erhalten keine Arbeitserlaubnis und dürfen
sich nicht frei bewegen, sie sind durch die noch existierende
Residenzpflicht eng an ihren Wohnort gebunden. Es fehlen
Sprachkursangebote, möglichst dezentral. Ein weiteres großes Problem für
die Betroffenen ist das Gutscheinsystem, das ja nun zum Glück endlich
wegfallen soll. Die Flüchtlinge nehmen die lange Wartezeit als extrem
psychische Belastung wahr. Auch die medizinische Versorgung muss besser
geregelt werden. Es kann doch nicht sein, dass nur Notfälle und akute
Erkrankungen behandelt werden. Ich habe mit Asylsuchenden Kontakt, die
schon mehrere Jahre auf eine dringend notwendige Operation warten. Es
klemmt also an vielen Ecken und Enden.
Noch eine letzte Frage: Was können die Einwohner der Städte und Gemeinden tun? Können sie überhaupt etwas tun?
Frau Baldauf, die Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte von
Markkleeberg, hat das heute Abend in der Veranstaltung genau richtig
formuliert. Die Bürger können bei den vielen kleinen, alltäglichen
Dingen helfen. Sie können bewusst die Begegnung mit Flüchtlingen suchen,
um diese besser kennenzulernen, sie könnten beim Einkaufen helfen. Es
wäre schön, weitere Sprachkursangebote zu haben, damit Asylsuchende
besser Deutsch lernen können, zum Beispiel Begegnungs- und
Konversationscafés, Tandem-Partner, …
Tandem-Partner?
Das ist, wenn sich zwei Menschen gegenseitig ihre Muttersprachen
beibringen, z.B. wenn ich Arabisch lernen möchte, dann könnte ich einen
Araber suchen, dem ich im Gegenzug Deutsch beibringe. Und für Kinder ist
es einfach schön, eine Sprache zu erlernen, wenn sie zum Beispiel
Geschichten vorgelesen bekommen, was die Eltern natürlich oft nicht
selbst leisten können. Sie müssen die Sprache ja erstmal selbst lernen.
So lernt man sich besser kennen, Berührungsängste verschwinden.
Und damit auch die in vielen Köpfen existierenden Vorurteile.
Ja, genau. Die weitverbreitete Verwendung von Parolen, ohne die genauen
Hintergründe und Zahlen zu kennen zeigt, dass die Gesellschaft
Asylsuchende als Probleme und eine Last wahrnehmen. Das sollte nicht so
sein. Sie sollten vielmehr als eine Bereicherung wahrgenommen und als
ebenbürtige Mitmenschen betrachtet und behandelt werden, vor denen man
sich nicht fürchten muss.
Manchmal reicht schon ein einziges Gespräch mit einem Asylsuchenden, um
zu erkennen, welche persönlichen Erlebnisse der Grund für eine Flucht
waren. Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen denke ich nicht, dass dann
immer noch viele sagen, dass „Ausländer raus!“ müssen und dass „das
ganze kriminelle Asylantenpack“ nur zu uns nach Deutschland kommt, um es
sich hier „auf Kosten der Deutschen gut gehen zu lassen“. Aber diesen
Schritt auf die Flüchtlinge zu muss man erstmal machen, damit man das
alles versteht.
Weitere Informationen zum Verein: www.boncourage.de
Die Broschüre „Von außen sieht es nicht so schlimm aus - aber das ist ein Trick“ kann man hier bestellen: