Kai Dalek steht als Zeuge im NSU-Prozess vor Gericht. Er ist nicht nur für die Nebenklage von besonderer Bedeutung. In der Neonazizene ist er ein ›Führungskamerad‹, ein Bindeglied zwischen neonazistischen Kameradschaften und terroristischen Untergrund. Und für den Geheimdienst?
Kai Dalek war »einer der Führungsköpfe der 1984 vom damaligen Neonazi-Führer Michael Kühnen gegründeten ›Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front‹ (GdNF) und Mitglied der 1989 aus dem Bremer Landesverband der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) heraus gegründeten Kühnen-treuen ›Deutschen Alternative‹ (DA). Der umtriebige Neonazi leitete ab 1988 die GdNF-Vorfeldorganisation ›Antikommunistische Aktion‹ (ANTIKO), eine Vorläuferorganisation der Anti-Antifa.« (bnr.de vom 17.10.2012)
In den 90er Jahren hatte er enge Kontakte zum Thüringer
Heimatschutz/THS. Er nahm über Jahre an deren ›Mittwochstreffen‹ teil.
1992 beteiligte er sich an ›Wehrsportübungen‹ des THS in Jena.
Besondern verdient machte sich Kai Dalek, als er in derselben
Zeit maßgeblich daran beteiligt war, ein internes, nach außen hin
abgeschottetes Kommunikationssystem für Neonazis aufzubauen: das
Thule-Netz. Ziel war es, die verschiedenen neonazistischen Gruppierungen
bundesweit miteinander zu koordinieren.
Diese Führungsarbeiten brachten ihn in engen Kontakt zum
späteren NSU. Er hatte nicht nur direkte Verbindungen zu den namentlich
bekannten NSU-Mitgliedern, sondern auch zu den Neonazis Tino Brandt und
Thomas Dienel.
Wie eng Kai Dalek im NSU-Netzwerk integriert war, welches
Vertrauen er dort genoss, belegt auch ein weiterer Umstand: Sein Name
findet sich auf der konspirativen Adress- und Telefonliste, die man 1998
in der Garage in Jena gefunden hatte: Das ›Who is Who‹ des späteren
NSU-Netzwerkes.
All das wäre für eine typische Neonazikarriere nichts besonders
auffälliges. Das besondere an Kai Dalek ist, dass er – aller
Wahrscheinlichkeit nach – gar kein Neonazi war. Viele Belege führen eher
zu der Annahme, dass er gezielt als ›verdeckter Ermittler‹ in die
Neonaziszene eingeschleust wurde und immer wieder genaue Anweisungen
erhielt, in welche Richtung er sich weiter bewegen sollte.
Zu diesem Schluss kommt auch die Recherche von ›Gamma‹:
»Er hat eine interessante Biographie: Erst war er Spitzel links, dann Spitzel rechts, schließlich Spitzel im Bereich ›organisierte Kriminalität‹, sein ganzes Leben lang. Mit anderen Worten ist er wahrscheinlich kein V-Mann, sondern ein verdeckter Ermittler.«
Fakt ist bis zum heutigen Tag, dass Kai Dalek im Dienst des Landesamtes für Verfassungsschutzes in Bayern neonazistische Strukturen mit aufgebaut hatte. Ob er als V-Mann tätig war, also als Neonazi angeworben wurde, oder als Geheimdienstmitarbeiter dort eingeschleust wurde, um u.a. das Thule-Netz aufzubauen, lassen sein Dienstherr und er unbeantwortet. Soweit reiche seine ›eingeschränkte Aussagegenehmigung‹ nicht.
Das spottet zwar jeder angemahnten und versprochenen lückenlosen Aufklärung, aber .. wer glaubt daran noch.
Seinen Angaben vor Gericht zufolge
»habe (er) seine Nazi-Aktivitäten 1987 im Auftrag des Landesamtes aufgenommen, er habe im Auftrage des Landesamtes auch den Kontakt zu Brandt und dem THS aufgenommen. Die Frage, ob er im Auftrage des Landesamtes den Aufbau des Thule-Netzes betrieben habe, verneinte er nicht, sondern verweigerte die Antwort unter Hinweis auf die eingeschränkte Aussagegenehmigung. Er gab aber an, über das Thule-Netz habe Brandt und unter Umständen auch andere THS-Mitglieder kommunizieren können, auch eine verschlüsselte Kommunikation sei möglich gewesen. Es habe für Uwe Mundlos oder andere THSler auch die Möglichkeit gegeben, über einen anderen Thule-Netz-Betreiber, beispielsweise in Erlangen, Zugang zu bekommen. Die Aussage verweigerte Dalek auch auf die Frage, ob er dem BayLfV technische Möglichkeiten eingerichtet habe, alle angemeldeten Benutzer des Thule-Netzwerkes zu identifizieren und allen Datenverkehr zu kopieren bzw. zu speichern.« (Mehr vom ›Führungskameraden‹ Dalek, Nebenanklage NSU-Prozess vom 19.11.2014)
Dass Kai Dalek als ›verdeckter Ermittler‹ in neonazistischen Strukturen agierte, legt er mit seiner Wortwahl sehr nahe. Das hieße in aller Konsequenz: Alles, was Kai Dalek gemacht hat, hatte den operativen Sinn, gerade auch konspirative Strukturen neonazistischer Gruppierungen für den Geheimdienst zugänglich zu machen. Wenn Kai Dalek also zu der Frage nach seinem genauen Arbeitsauftrag keine Angaben macht, dann hat das einen sehr ›verfassungsfeindlichen‹ Grund:
Er will und muss verheimlichen, dass der Geheimdienst beim
Aufbau konspirativer Strukturen von Neonazis maßgeblich beteiligt war –
also alles andere als ahnungslos und blind war. Schließlich macht seine
Beteiligung nur Sinn, wenn er diese Führungsfunktion dazu nutzte, seinem
Dienstherrn den ›freien Zugang‹ zu diesem konspirativen
Kommunikationssystem zu gewährleisten – durch entsprechende Quellcodes
z.B.
Und auch hier stellt sich einmal mehr die Frage: Was ist an
diesem Untergrund staatlich lizensiert, was ist an dem Untergrund
neonazistisch?
An der Person Kai Dalek zeigt sich dies auch auf eine andere
Weise: In seinen Aussagen fallen die Namen mehrerer Neonazis, zu denen
er Kontakt aufnehmen sollte, zu denen er Kontakt hatte: u.a. zu Tino
Brandt und Thomas Dienel, die allesamt im NSU-Netzwerk aktiv waren … und
gleichfalls als V-Leute ›geführt‹ wurden.
Wer traf sich also dort jeweils? Ein verdeckter Ermittler mit zwei V-Leuten oder drei V-Männer in neonazistischem Ambiente?
Wolf Wetzel
Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2013, 2. Auflage