Eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der NSU-Verbindungen nach Baden-Württemberg spielt der einstige V-Mann Achim Schmid, der eine Ku-Klux-Klan-Gruppe in Schwäbisch Hall gründete. Der NSU-Untersuchungsausschuss, der am 8. Dezember seine Arbeit aufnimmt, muss etwa die Frage klären, ob Schmid den Klan tatsächlich ohne Wissen des Verfassungsschutzes aufgebaut hat.
Von Anton Maegerle
Der Neonazi-Liedermacher Achim Schmid, alias Radler, ein NPD-Mann in Schwäbisch Hall, war von November 1994 bis November 2000 zunächst Informant und dann V-Mann des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz. Dem von Schmid gegründeten rassistischen Geheimbund "European White Knights of the Ku Klux Klan" (EWK KKK) gehörte sowohl der Gruppenführer der vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter als auch ein im Frühjahr plötzlich verstorbener V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz an, der einen der NSU-Rechtsterroristen persönlich gekannt hatte. Heute lebt der einstige Ku-Klux-Klan-Führer Schmidt in den USA.
Der 39-Jährige ist seit etwa 1990 in der neonazistischen Szene aktiv und war Führer der von ihm am 1. Oktober 2000 offiziell gegründeten European White Knights of the Ku Klux Klan, sein Aliasnamen beim Klan lautete "Ryan Davis". Kontaktadresse der Klan-Truppe war Schmids Wohnort. Vorbild der Kapuzenmänner war der 1865 kurz nach dem Ende des Sezessionskriegs von weißen Südstaatlern in den USA ins Leben gerufene Ku-Klux-Klan (KKK). Einschlägige Klan-Erfahrung hatte Schmid bereits vom Oktober 1998 bis Sommer 2000 als Mitglied der International Knights of the Ku Klux Klan gemacht.
Im November 2000 wurde er in den USA im Rahmen einer sogenannten "Rallye" der Mississippi White Knights of the Ku Klux Klan zum Grand Dragon European White Knights ernannt. Im selben Monat schaltete ihn das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) als V-Mann ab, nachdem er bei einer Befragung seine Klan-Aktivitäten geleugnet hatte. Zuvor waren bei einer Hausdurchsuchung am 14. Oktober 2000 Belege für Schmids Klan-Mitgliedschaft entdeckt und beschlagnahmt worden. Ein Bericht des baden-württembergischen LfV vermerkt, dass ihr V-Mann in seiner Zeit "als Quelle nachrichtenehrlich, jedoch nicht zuverlässig gewesen sei".
Pseudochristentum mit Hang zum Antisemitismus
Etwa 20 Mitglieder aus den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen tummelten sich in den Reihen des Klans. Potentielle Mitglieder der selbst ernannten "patriotischen weißen Geheimorganisation" wurden über das Internet als auch per direkter Ansprache für die Gruppierung geworben. Ideologischer Grundpfeiler der European White Knights of the Ku Klux Klan war ein Pseudochristentum, gepaart mit einem ausgeprägten Hang zum Antisemitismus und Rassismus.
In einer Veröffentlichung der Klan-Truppe heißt es: "Kann ich Mitglied werden bei den EWK? ... Wir lehnen Bewerber ab, die: ... nicht weißer Hautfarbe sind oder jüdische Vorfahren besitzen ... Die European White Knights stehen für den Erhalt der Zukunft des weißen Europäers!" "Wir vertreten die Meinung, die in der Bibel steht, dass Mischlinge nicht in die Gemeinde des Herrn kommen", so Davis in einem Schreiben vom 15. Juli 2001. Sympathie zeigte Davis für die US-amerikanische Terroristenbande "The Order". "Ich persönlich bewundere die Mitglieder von 'The Order' für ihre Standhaftigkeit, wie man jeden bewundern sollte, der für seine Ideale einsteht", gab er kund. Die rechtsterroristische Neonazi-Gang aus den USA verübte in den Jahren von 1983 bis 1985 unter anderem einen Bombenanschlag auf eine Synagoge im US-amerikanischen Bundesstaat Idaho und ermordete den jüdischen Rundfunkmoderator Alan Berg in Denver im Bundesstaat Colorado.
Verzeichnet auf Mundlos' Adressenliste
Mitglieder der Klan-Truppe waren unter anderem Michael Schäfer (Wernigerode, Sachsen-Anhalt) und Thomas Richter (Leipzig, Sachsen), Schäfer amtierte von 2007 bis 2012 als Bundesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Richter, unter dem Namen "Corelli" V-Mann des Bundeamts für Verfassungsschutz, bewegte sich im Umfeld des NSU-Kerntrios. Sein Name fand sich auf der Adressenliste von Uwe Mundlos, die im Januar 1998 in der Jenaer Bombenwerkstatt des NSU beschlagnahmt worden war. Richter hatte Mundlos bei einem Rechtsrockkonzert 1995 in Dresden kennengelernt.
Im Klan war Corelli unter anderem zuständig für den Betrieb des internen Internet-Forums. Corelli habe "umfangreich und werthaltig über Mitglieder, Sympathisanten und Veranstaltungen" des EWK KKK berichtet, heißt es in einer dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags vorgelegten Auswertung der V-Mann-Berichte. V-Mann Corelli war es auch, der den Verfassungsschutz über Polizeibeamte in den Reihen des Klans informierte. Unter anderem berichtete er über eine Polizeianwärterin aus dem Stuttgarter Raum, die im Bereich der Rauschgiftkriminalität tätig war und einen "Hass auf Schwarze" habe. Richter starb im April – im Zeugenschutzprogramm des BfV – überraschend an einer nicht erkannten Diabetes.
Verbindungen zur erschossenen Polizistin Kiesewetter
Dem Klan gehörten zeitweilig zwei Böblinger Polizeibeamte an. Einer dieser Kapuzenmänner war Polizeiobermeister Timo H., Gruppenführer der am 25. April 2007 in Heilbronn vom NSU erschossenen 22-jährigen Polizistin Michèle Kiesewetter. H. war am Tag der Ermordung von Kiesewetter in Heilbronn und hielt sich während des Mordes nur wenige Hundert Meter vom Tatort entfernt am Bahnhof auf. Nach dem Mord eilte er zum Tatort. Der Fall Kiesewetter gilt als rätselhaftester Mord des NSU. Kiesewetter stammt aus dem thüringischen Oberweißbach, einem Ort im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, dem Herzland des Thüringer Heimatschutzes (THS), der Keimzelle des NSU.
Ob die Polizistin, die an mindestens zwölf Einsätzen aktiv beteiligt war, die im Zusammenhang mit Veranstaltungen im rechtsextremen Milieu standen, zufällig zum Opfer wurde, bleibt im Gegensatz zur offiziellen Version fraglich. Diese besagt, dass es dem NSU bei dem Anschlag auf Kiesewetter und einen Kollegen "darauf angekommen" sei, die "eigene Macht zu demonstrieren und zugleich die Ohnmacht des Staates darzustellen." Die beiden Polizeibeamten seien als "Vertreter des vom NSU gehassten Staates angegriffen" worden, Kiesewetter sei ein "Zufallsopfer", konstatiert der am 12. Februar 2014 vom baden-württembergischen Innenminister Reinhold Gall (SPD) der Öffentlichkeit vorgestellte Bericht "Bezüge der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach Baden-Württemberg".
Im Mai 2014 betonte Eva Högl, die Obfrau der SPD im ehemaligen NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, dass sie nicht mehr daran glaube, dass Kiesewetter zufällig Opfer der Rechtsterroristen geworden ist. Dies hatte das Gremium noch in seinem Abschlussbericht im August 2013 angenommen. Högl betonte, durch neue Erkenntnisse gingen sie und ihre Kollegen im ehemaligen NSU-Untersuchungsausschuss davon aus, dass Kiesewetter gezielt ermordet worden sei.
Der Polizeibeamte H. gehörte dem EWK KKK als Vollmitglied von Dezember 2001 bis Sommer 2002 an. Geworben wurde H. von seinem Kollegen Jörg W., der ebenfalls bei der Böblinger Dienststelle tätig gewesen war, allerdings zu einem früheren Zeitpunkt. W. selbst wurde von dem Polizeibeamten Jörg B. geworben. Dessen Bruder Steffen (Jahrgang 1976) war neben Schmid Gründungsmitglied des EWK KKK. Einem internen Schreiben des baden-württembergischen Landesamts für Verfassungsschutz an das baden-württembergische Landeskriminalamt vom 9. März 2012 ist zu entnehmen, dass Steffen B. im Zeitraum von Juni 1997 bis Oktober 2002 an Treffen und Konzerten der Skinheadszene teilnahm.
Bei Vernehmungen durch die Bundesanwaltschaft hatten die Polizisten ausgesagt, dass sie nicht gewusst hätten, dass der Klan eine rassistische Organisation sei. "Beide waren nicht doof genug, dass denen entgangen ist, dass der Ku-Klux-Klan eine rassistische Vereinigung ist", führte dagegen der zwischenzeitlich in den USA ansässige Schmid in einem ZDF-Interview im Oktober aus.
Kapuzenmänner rühmten sich im Internet
Beim Sprechen des Glaubensbekenntnisses der Klan-Jünger, wonach die "Blutslinie zu Gott ... nicht durch Vermischung gebrochen werden darf", scheinen sie taub gewesen zu sein. "Ich frage mich, wie viel Dummheit oder Weltfremdheit in einem Polizeibeamten stecken darf, ohne dass er aus dem Dienst entfernt wird", kommentierte André Schulz, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, die offenkundige Schutzbehauptung. Die Kapuzenmänner der EWK KKK waren jedenfalls sichtlich stolz, dass unter ihnen auch Vertreter der Staatsmacht waren. "Bei uns sind keine Verlierer und Versager, wir haben Mitglieder ... vom Maurer bis zum Polizisten", gaben sie im Internet kund.
Trotz ihrer Klan-Mitgliedschaft blieben die Polizisten im Dienst. Sie wurden lediglich 2005 beamtenrechtlich mit Rügen bedacht. Die Affäre um die Klan-Polizisten wurde durch Opferumfeldermittlungen im Fall Kiesewetter bekannt.
Noch während Schmid als V-Mann zugange war, nahmen ihn sächsische Verfassungsschützer ins Visier. Sie schrieben den Klan-Führer am 7. März 2000 auf eine Liste mit den Namen von weiteren 22 Personen. Diese Personen, davon gingen die Verfassungsschützer aus, unterhielten Kontakte zu NSU-Unterstützern und dem Kerntrio. Schmid hatte seit den 90er-Jahren Kontakte zu Chemnitzer Neonazis, die man beschattete, um das Kerntrio aufzuspüren.
Die Klan-Tätigkeit von Schmid war in der Neonaziszene nur bedingt bekannt. Hinreichend bekannt und beliebt war Schmid dagegen als "Liedermacher Achim" und Solist "Wolfsrudel" sowie als Sänger der Neonazi-Bands beziehungsweise Musikprojekte "Celtic Moon" und "Höllenhunde". Im Lied "Zerschlagt die Zecken" der CD "Süddeutschland – Dein Land braucht Dich" (1998) der Höllenhunde heißt es: "In unseren Adern fließt das deutsche Blut. Wir werden aufrecht stehn mit unserem Heldenmut. ... Sharp-Skins, Punks und Anarchisten, RAF und Kommunisten, stecken alle unter einer Decke. Da gibt's nur eins: Zerschlagt die Zecken." Bei Celtic Moon grölte Schmid auf Englisch: "Arische Krieger der weißen Rasse, befreit eure Länder!", die "Knarre schon geladen". Ende der 90er-Jahre war Schmid einer der bekanntesten Neonazi-Musiker.
Erstes Neonazi-Netzradio ging auf Sendung
Aufgrund seiner bundesweiten Aktivitäten war Schmid auch ins Visier des BfV geraten. Die Verfassungsschützer stuften Schmid als einen von acht bundesweit gezählten rechtsextremen Liedermachern ein. Zeit fand Schmid in jenen Jahren auch für eines der ersten Neonazi-Internetradios unter dem bezeichnenden Namen "whitepowerradio.de". Die Domain war auf seine Privatanschrift in Schwäbisch Hall registriert.
Unbekannt ist bis heute, was im Sommer 2002 den Stuttgarter Verfassungsschützer Thorsten D. veranlasst hat, den Klan-Führer Schmid unter konspirativen Umständen in einem englischsprachigen Chatroom darauf hinzuweisen, dass dieser von Abhörmaßnahmen des BfV betroffen sei und sich ein "Verräter" in den Reihen des Klans tummeln solle. Im September 2002 erhielt das baden-württembergische LfV vom BfV Hinweise, dass ein Mitarbeiter Schmid mit vertraulichen Informationen versorge. Im Dezember 2002 wurde Thorsten D. als Quelle ermittelt.
Aktiv waren die Klan-Aktivisten auf Bundesebene bis in das Jahr 2003 hinein; in Baden-Württemberg endeten die Aktivitäten mit dem Ausschluss von Schmid aus dem Klan Ende 2002. Schmid wurde aufgrund von Verfehlungen aus dem EWK KKK entlassen.