Zum Spannungsfeld zwischen dem Schweigen zu Tatvorwürfen und der kritischen Auseinandersetzung mit Positionen und Aktionen Wir gehen nicht unter in den Kämpfen, die wir führen, sondern in denen den wir uns nicht stellen. Ähnliches könnte für Debatten um konkrete politische Aktionen gelten. Doch wie über Vorfälle sprechen, sich positionieren, wenn Schweigen das Gebot der Stunde ist? Die vehemente Aufforderung, konsequent die Aussage zu verweigern, steht immer wieder in der Kritik, Debatten zu verhindern, Maulkörbe zu verpassen und schweigender Vereinzelung Vorschub zu leisten. Diese Kritik soll hier aufgegriffen und anhand der konkreten Situation um die Besetzung in der Breite Straße erläutert werden.
Aktuell wird in Bezug auf die Besetzung vom 27.08. in der Breite Straße ermittelt. Gegen bisher sechs Beschuldigte wird in noch nicht absehbarer Zeit Anklage erhoben, Jakob S. sitzt auf Hahnöfersand in U-Haft. In der Presse wurde von einem fliegenden Waschbecken und einem Heizkörper, Türen und Dachlatten berichtet (Mopo); die Tatvorwürfe des gemeinschaftlichen versuchten Totschlages, der gefährlichen Körperverletzung, des Hausfriedensbruchs und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wurden erhoben. Das bietet viel Raum für Spekulationen und dem Bedürfnis nach Auseinandersetzung und solidarischem Handeln.
Warum Schweigen?
Dicht halten
bedeutet, nicht über die Geschehnisse des Abends zu sprechen - egal
in welchem Kontext und in welcher Situation. Bei dieser Aufforderung
geht es uns darum, von Ermittlungen Betroffene weitgehend zu schützen
und den Ermittlungsbehörden ihre Arbeit so schwer wie möglich zu
machen. Es ist nicht abschätzbar, wie breit ermittelt wird, welche
Gesprächsinhalte für Cops von Interesse sind und wer alles noch zum
Ziel von Ermittlungen werden könnte. Beispielsweise hat sich
aufgrund der Ermittlungen der Kreis von fünf auf sechs Beschuldigte
bereits erweitert und es ist nicht absehbar, ob und wie viele noch
dazu kommen werden. Schweigen ist daher das einzig schlagkräftige
Mittel, den Ermittlungstaktiken der Polizei etwas entgegenzusetzen.
Mediale
„Wahrheiten“ als Unterstützung der Repressionsorgane
Um die Anforderung dicht zu haltenerfüllen zu können, ist ein kritischer Umgang mit vermeintlichen Informationen notwendig. Über eigene Eindrücke, die Berichterstattung der Medien und eingestellte Videos bei youtube (z.B. Berichterstattung auf Hamburg1) meint mensch, ein genaues Bild der Geschehnisse des Abends zu haben. All dies zum jetzigen Zeitpunkt als Grundlage für Auseinandersetzungen zu nehmen birgt Gefahren. Ermittlungsbehörden nehmen jegliche Äußerung – dazu können auch Spekulationen gehören – um Vermutungen zu untermauern und gegen Beschuldigte zu verwenden. Wer im Fokus der Überwachung steht, ist dabei völlig unklar. Es kann jede_n treffen, auch ohne, dass die Person dies selber mitbekommt.
Auch Sachverhalte, die durch Medien verbreitet werden und damit als öffentlich zugängliche und abgesicherte Informationen gelten, erfordern einen vorsichtigen Umgang. So zeigt beispielsweise die Berichterstattung über einen angeblichen Angriff auf die Davidwache am 28.12.2013 deutlich, wie durch gezielte mediale Desinformation politische Stimmungsmache betrieben wird. Darüber hinaus erfahren Maßnahmen der Repressionsorgane dadurch öffentliche Unterstützung, aber auch innerlinke Debatten über Verhältnismäßig- und Sinnhaftigkeit von Mitteln werden angestoßen. (vgl. Presseerklärung Beuth: http://florableibt.blogsport.de/2014/01/05/pressemitteilung-zum-polizeilich-inszenierten-angriff-auf-die-davidwache/). Sowohl durch Ermittlungen als auch durch Medien werden „Wahrheiten“ produziert, die faktisch zu hinterfragen und politisch abzulehnen sind.
Debatten – ja, aber keine Ermittlungshilfe
Sicherlich bietet die Besetzung der Breite Straße vom 27.8. jede Menge Anlass für Auseinandersetzungen über die Legitimität und Sinnhaftigkeit von militanten Mitteln, Vorbereitung und Durchführung von Aktionen. Solche Auseinandersetzungen sind aus unserer Perspektive nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig. Debatten tragen zur politischen Handlungsfähigkeit bei und können diese mit Inhalten unterfüttern. Bereits gelaufene Aktionen bieten Möglichkeiten kritischer Reflexion und Anlass auf deren Basis die eigene Praxis zu überprüfen.
Zu bedenken sind dabei der Zeitpunkt, der Grad der
Öffentlichkeit und die konkreten Inhalte. In Bezug auf die
Auseinandersetzungen um die Breite Straße bedeutet dies, kritische
Debatten entweder nicht während des laufenden Verfahrens zu führen,
oder von den konkreten Ereignissen loszulösen. Das heißt, auch in
als sicher empfundenen Zusammenhängen keinen direkten Bezug zu
Beschuldigten, Tatvorwürfen und vermeintlichen Fakten herzustellen.
Dies gilt auch für die Nutzung sozialer Medien wie Facebook und
Twitter. Diese bieten zwar die Möglichkeit, auf einfachem Wege viele
Menschen schnell zu erreichen. Bei der Nutzung muss mensch sich aber
darüber im Klaren sein, dass hiermit Verbreitungswege aus der Hand
gegeben und leicht abrufbare Informationen über Zusammenhänge und
Verbindungen erzeugt werden. Informationen bleiben unwiderruflich im
Internet erhalten und werden in der Ermittlung von Cops genutzt. (zur
Kritik an Facebook und Co:
http://aussageverweigerung.blogsport.de/images/plapperntext.pdf)
Lasst uns reden – über Häuserkampf und Solidaritätsarbeit
Bei aller
Aufforderung und Notwendigkeit, dicht zu halten, geht es nicht darum,
in Passivität und Sprachlosigkeit zu verfallen. Stattdessen ist es
wichtig und notwendig, sich klar zu positionieren und kritisch
solidarisch zu verhalten.
Repression, die – wie im aktuellen
Fall – durch harte Tatvorwürfe Besetzung als politische Praxis
kriminalisiert, stellt den Versuch dar, dieser die Legitimation und
Solidarität zu entziehen. Dem gilt es entschlossen entgegenzutreten
und dies deutlich wahrnehmbar zu äußern. Hierbei geht es darum,
bürgerlichen Medien und Repressionsorganen nicht die alleinige
Deutungshoheit zu überlassen.
In rechtsstaatlicher Logik stellt
Repression die Antwort auf Versuche, bestehende Verhältnisse
anzugreifen, dar. Dem wollen wir uns entgegenstellen, indem wir
politische Praxis verteidigen und Repression angreifen. Es geht dabei
nicht um individuelle Handlungen Einzelner, sondern darum,
Häuserkampf als emanzipatorisches Anliegen zu thematisieren. Aus
unserer Sicht sollte die Auseinandersetzung um Repression sich nicht
auf Schuld- oder Unschuldsvermutungen stützen, da strafrechtliche
Kategorien kein geeigneter Maßstab für politische
Auseinandersetzungen sind. Vielmehr geht es uns darum, Knast und
andere Repressionsmittel als illegitim zu verurteilen und
anzugreifen.
Gezielte
Unterstützung in Form von Briefen, Kundgebungen (auch in Hörweite
des Knastes), Geld, Solitransparente, solidarische Aktionen etc.
füllt Parolen wie „Getroffen hat es wenige, gemeint sind wir
alle!“ mit Inhalt und stellt den Versuch dar, Vereinzelung in der
Repressionssituation etwas entgegenzusetzen. Gebt den Beschuldigten
das Gefühl nicht alleine zu sein! Informationen und
Kontaktmöglichkeiten hierzu findet ihr auf
http://breitesoli.noblogs.org.
Ermittlungsausschuss Hamburg, Rote Hilfe Ortsgruppe Hamburg