I. Worum geht es?
Beispiel 1: B. wird von einer Gruppe junger Männer auf der Straße rassistisch beleidigt und bedroht, u. a. mit einem Messer. Er kann fliehen und läuft zur Polizei, um Anzeige zu erstatten – das Kennzeichen des Autos eines Beteiligten hat er sich gemerkt. Der angesprochene Beamte schickt ihn wieder weg und nimmt die Anzeige nicht auf. Nachdem sich B. darüber mit Hilfe der mobilen Opferberatung beim Dienstleiter beschwert, werden sprachliche Missverständnisse als Begründung vorgebracht, dem Opfer also Mitschuld zugesprochen. Bei der anschließenden Begehung des Tatortes trägt der Leiter des örtlichen Staatsschutzes ein T-Shirt der auch bei Hooligans und Rechten beliebten und von einem Zwickauer Neonazi gegründeten Marke »Brachial«.
Beispiel 2: In einer Kleinstadt ist der schwarze C. mit seiner weißen Frau auf der Straße unterwegs. Polizisten kommen auf ihn zu und wollen ihn kontrollieren. Sie nennen keinen Grund, nur er wird kontrolliert. Er regt sich darüber auf. Die Polizisten fordern ihn auf, sich hinten in den Polizeibulli zu setzen, bis seine Personalien durchgefunkt sind. Ein Beamter duzt ihn. C. weist darauf hin, dass er nicht geduzt werden will, daraufhin schubst einer der Beamten ihn vom Sitz und drückt ihn auf den Boden. Ein anderer hält sein Bein so fest, dass es sich nicht mit dem Körper mitbewegen kann und fast bricht. In der Folge schlagen zwei Beamte auf ihn ein, während er am Boden des Autos liegt. Ein Kollege fordert sie vom Beifahrersitz aus auf, damit aufzuhören. Antwort: »Warum?« Einer der Beamten sagt: »Wenn er uns anzeigt, sagen wir, wir haben Drogen gefunden.« Zeitgleich reißt seine Frau die Schiebetür auf und hält einen der Tonfas (Polizeischlagstock) fest, mit dem er geschlagen wird. Der Beamte mit dem Tonfa schlägt diesen bzw. die daran befindliche Hand der Frau mehrfach gegen einen Tisch im Auto.
Beispiel 3: Nach Streitigkeiten unter mehreren Beteiligten wird ein von anderen Flüchtlingen beschuldigter Asylsuchender in eine Polizeiwache verbracht. Zum Transport werden ihm Handschellen hinter dem Rücken angelegt. Verbunden mit der Frage »Was machst du in unserem Land?« schlägt ein Polizist dem gefesselten Flüchtling mehrfach ins Gesicht.
Die Fallbeispiele stammen aus einem aktuellen Forschungsbericht der Fachhochschule Polizei aus Sachsen-Anhalt, veröffentlicht im August 2014 – und wurden hier gekürzt wiedergegeben.
Die vollständige Beschreibung dieser und weiterer Fälle erschüttert beim Lesen. Die Pilotstudie »Polizeilicher Umgang mit migrantischen Opferzeugen« kann kostenlos hier herunter geladen werden. (http://kurz-link.de/rtSgw [1])
Zwar ist der Duktus der polizeiwissenschaftlichen Studie durchgängig beschwichtigend und relativierend. Aber immerhin konstatiert sie, dass die Beamten im Einsatz »Wahrnehmungsdefizite« oder »mangelnde Sensibilität« beim Umgang mit Opfern rechter Gewalt haben, offensichtlich rassistische Motive der Täter »übersehen« und die Geschädigten für ihre Lage mitverantwortlich machen oder sie zum Teil sogar zu Tätern erklären. Die saubere Trennung von Polizei und rassistischer Gewalt will also trotz politischer Bemühungen weder in Deutschland noch in anderen Staaten mit langer demokratisch-republikanischer Tradition wie den USA, Frankreich und Großbritannien so recht gelingen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang;
die als Einzelfall skandalisierten polizeilichen Übergriffe gegen Ausländer, Muslime, Roma, Schwarze etc. – nicht selten mit tödlichem Ausgang wie am 9. August im US-amerikanischen Ferguson und am 8. Oktober in St. Louis,
die kaum wahrgenommenen, aber endlosen Berichte der betroffenen Communities,
der Opferberatungsstellen und Menschenrechtsgruppen gegen rassistische Gewalt der Polizei
die Erkenntnisse der Ermittlungsausschüsse zum NSU-Skandal über die Rolle der Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste, gesammelt unter dem häßlichen Stichwort »Dönermorde«,
die Erkenntnisse über Polizisten beim Ku-Klux-Klan, in rassistischen Kameradschaften, in Wehrsportgruppen und in rechtsextremen Parteien,
der Fall des im Dessauer Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh,
die Ermordung Marwa Ali El-Sherbinis im Dresdner Landgericht 2009 durch einen Rassisten und die Schüsse eines Polizisten auf ihren Ehemann, der ihr gegen den Messerstecher zu Hilfe kommen wollte,
die im September bekanntgewordenen Fälle rassistischen Mobbings gegen migrantische Mitbewerber unter Polizeischülern aus Aachen, Köln und Bonn,
Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft mit Zeichnungen, die nicht etwa den Rassismus der Polizei, sondern die rassistische Karikatur ihrer Opfer (vgl. Bild) zum Gegenstand der Belustigung machen,
schließlich alle paar Jahre wieder – gewissermaßen als »Höhepunkt« – gewaltige Unruhen, die von einer kollektiven Identifizierung der potentiell Betroffenen mit den Opfern polizeilicher Gewalt zeugen und die sich meist nach tödlichen Übergriffen der Polizei auf marginalisierte Jugendliche in den Armutsquartieren der westlichen Metropolen und nach der juristischen Entlastung der verbeamteten Täter vor Gericht abspielen (Los Angeles 1992, Paris 2005, London 2011).
Zwischenfazit: Faktisch ist der Zusammenhang zwischen Polizei und Rassismus also kaum zu übersehen. Medial und politisch hat das Thema Konjunkturen und wird mal als »Skandal« aufbereitet und dann – bis auf weiteres – vergessen. Das öffentliche Interesse von Politik, Justiz, Polizeiführung und des allergrößten Teils der Presse gilt ohnehin nicht den Opfern. Was bei diesem Thema stört, sagte 2012 exemplarisch Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) frei heraus: »Das schadet dem Ansehen der Polizei, das schadet dem Ansehen des Landes.« Mit der Sorge um die Opfer der polizeilichen Übergriffe sind beim besten Willen nicht zu verwechseln.
II. Die Gründe. Warum Polizisten rassistisch denken und handeln
Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang von Polizei und Rassismus wird folglich nur selten gestellt und dann meist mit Überlastung und Frustration der Einsatzkräfte beantwortet. Warum sich die Beamten nicht gegen ihre Arbeitsbedingungen bzw. gegen die dafür verantwortlichen Politiker wehren, sondern wegen der Arbeitsbedingungen unbeteiligte Dritte misshandeln, bleibt in solchen »Theorien« gänzlich ungeklärt. Deren sozialwissenschaftliche »Leistung« besteht denn auch vielmehr darin, die verbeamteten Täter zu entlasten, indem sie zu Opfern eines überforderten Staats verklärt werden um so schließlich die weitere Aufrüstung der Polizei als Antwort auf deren Rassismus zu fordern. Auf die Hilfe der Wissenschaft im Dienste des Staats können die Betroffenen bei der Klärung des Verhältnisses von Polizei und Rassismus kaum hoffen.
So sei hier die Frage gestellt: Handelt es sich bei den geschilderten rassistischen Übergriffen um eine unglückliche Verkettung von Einzelfällen, oder haben die »Skandale« ihre Ursache in der Polizei und ihrer Aufgabenbestimmung selbst?
Im Hinblick auf die Einstellungsmuster von Beamten gibt es zwar Studien aus älterer Zeit, z. B. von Klaus Ahlheim aus dem Jahr 1996, die einen signifikanten Anteil ausländerfeindlicher bis rechtsextremistischer Gesinnung belegen. Danach wurden entsprechende Untersuchungen auf Leitungsebene verhindert. In einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung zur »Bekämpfung des Rassismus bei der Polizei« fragten 2008 die Abgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke und die Fraktion Die Linke: »Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass fehlende, nach einheitlichen Erfassungskriterien zusammengestellte Statistiken über polizeiliches Fehlverhalten eher dazu dienen, diese als individuelle Einzelfälle und absolute Ausnahmen zu kennzeichnen?« (Drucksache 16/8849) Die ebenso ausweichende wie zynische Antwort lautete damals: »Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht, denn ihr liegt die Unterstellung zu Grunde, dass bei einer statistischen Erfassung wie sie in der Frage vorausgesetzt wird, eine höhere Anzahl von als Fehlverhalten einzustufenden Verhaltensweisen offenbar würde. Für die Richtigkeit dieser Ausgangsthese gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.« (Drucksache 16/9061).
Systematische Studien über Einstellungsmuster und Übergriffe von Polizisten kommen so nicht zustande. Sie könnten allerdings ohnehin nur statistisch das Ausmaß des Rassismus verdeutlichen. Aber gibt es auch einen spezifischen Grund für diese Gesinnung unter Polizisten? Ja. Es sind die zwar falschen, aber beinahe notwendig falschen Schlüsse, die die Beamten aus der Bewältigung ihrer vom Gesetzgeber bestimmten Aufgaben ziehen. Das soll im folgenden an der Durchsetzung des Aufenthaltsrechtes als Teil der polizeilichen Pflichten erläutert werden. Letzterer diente gerade die vom 13. bis zum 26. durchgeführte EU-weite Polizeioperation »Mos Maiorum« gegen unerwünschte Flüchtlinge.
Aufenthaltsrecht, Mos Maiorum und Racial Profiling
Die Polizei hat u. a. die Aufgabe, das Aufenthaltsrecht gemäß der Paragraphen 2 und 22 Bundespolizeigesetz (BPolG) und der Länderpolizeigesetze mit ihrem Gewaltmonopol durchzusetzen. Das entscheidende Kriterium ist hierbei die Staatsbürgerschaft. Deutsche Staatsbürger und – mit einigen Einschränkungen – Bürger der Schengen-Staaten genießen grundsätzlich Freizügigkeit und Aufenthaltsrechte in Deutschland. Alle anderen, also Ausländer, dürfen sich nur dann in der Bundesrepublik aufhalten, wenn sie über einen besonderen Aufenthaltstitel verfügen. Ohne den dürfen sie nicht einmal einreisen. Der im wörtlichen Sinne ausgrenzende Vorbehalt gegenüber Ausländern ist also keinesfalls das Begehr weniger Rechtsextremisten, sondern der offiziell gültige Standpunkt des Gesetzgebers. Und diesen Vorbehalt müssen Polizisten praktisch durchsetzen. Vor allem gegen Flüchtlinge.
Wenn sich Polizisten diesen Auftrag zu eigen machen und nach Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht fahnden – wie etwa im Rahmen von »Mos Maiorum« – dann verdächtigen sie notwendigerweise nur Ausländer eines Gesetzesverstoßes, zu dem Deutsche selbst bei bestem Willen nicht in der Lage sind. Folglich stehen die Beamten an Flughäfen, öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen und halten Ausschau nach Menschen, die ihrer Einschätzung nach hier nicht hingehören. (Bereits in dieser Perspektive sind sie den inkriminierten Rassisten mit selbst erteiltem Staatsschutzauftrag nicht unähnlich.)
Aber woran soll man die Verdächtigen überhaupt erkennen? Da die Staatsangehörigkeit den Bürgern bislang noch nicht auf die Stirn tätowiert wird, halten sich Polizisten – wie Rechtsextremisten auch – bei der Suche nach Verdächtigen zunächst an äußere Merkmale: Hautfarbe, Haare, Gesichtsform, Kleidung und Sprache. Der gesetzgeberische Auftrag übersetzt sich also in der polizeilichen Arbeit mit Notwendigkeit (!) in einen ethnischen Selektions- und Verdächtigungsprozess: Racial Profiling.
Bereits hier zeigt sich, dass eine Trennung von staatlich-gesetzgeberischem Auftrag und ethnisch diskriminierendem Verhalten praktisch für Polizisten unmöglich ist. Darin ist dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt – widerwillig, aber ausdrücklich – recht zu geben, wenn er eine Entscheidung der Oberverwaltungsgerichts Koblenz im Jahr 2012 in einem Fall von Racial Profiling unbeholfen so kommentiert: Man sieht wieder einmal, die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, aber richten sich nicht an der Praxis aus« (in: Die Welt vom 30.10.2012).
Der Unterschied
Es gibt einen Unterschied zwischen geächteter Ausländerfeindlichkeit und geachteter Polizeiarbeit im Dienste des Aufenthaltsrechtes: Der Gesetzgeber verlangt von der Polizei einerseits die Ausübung des Gewaltmonopols gegen unerwünschte Ausländer, vor allem gegen Flüchtlinge, zur Not auch deren Inhaftierung und gewaltsame Abschiebung. Das Muster lautet: Unerwünschte Ausländer haben kein Aufenthaltsrecht! Die abschreckende Wirkung des polizeilichen Vorgehens als Teil der europäischen Flüchtlingspolitik ist dabei durchaus einkalkuliert. Die Beurteilung und Behandlung der Verdächtigen soll aber anhand staatlicher Dokumente und Verordnungen und nicht anhand ethnischer Merkmale erfolgen. Wegen des Gleichheitsgrundsatzes und des Diskriminierungsverbotes darf die Polizei offiziell nicht einmal ethnische Merkmale bei der durchaus beabsichtigten Jagd auf unerwünschte Flüchtlinge heranziehen.
Während Neonazis anhand solcher Äußerlichkeiten gegen Menschen vorgehen, die ihrer Meinung nach nicht zum Staatsvolk gehören, sind Polizisten verpflichtet, den Einsatz des Gewaltmonopols gegen Ausländer am Willen des Gesetzgebers und nicht an vorurteilsbehafteten Vermutungen festzumachen. Wohl gemerkt: Der Unterschied zwischen geächteter Ausländerfeindlichkeit und geachteter Polizeiarbeit im Dienste des Aufenthaltsrechtes besteht also nicht in der Verdächtigung von Ausländern und auch nicht in der Anwendung von Gewalt bei dem Ziel, Ausländer außer Landes zu schaffen. (Im Zweifelsfall sind für einen Menschen ohne Papiere, der auf dem Bahnhof von Neonazis angegriffen wird, letztere das kleinere Übel im Vergleich zur herbeigerufenen Polizei, die zwar – wenn alles gut geht – nicht prügelt, dafür aber den »Illegalen« auf Ausweise überprüft und ihn dann mit ihrer überlegenen Gewalt der reibungslosen Abschiebung zuführt.)
Der Unterschied zwischen rassistischer Gewalt einerseits und Gewalt zur Durchsetzung der »Ordnung«, gegen Ausländer durch die Einsatzkräfte der Polizei andererseits wird an den Fragen entschieden,
• ob die zur Gewalt gegen Ausländer bereiten Personen dazu auch amtlich autorisiert sind. Die Frage der Presse: Waren es Polizisten oder Pöbel?
• ob die Beamten die gesetzlichen Bestimmungen oder ihre private Meinung zum Maßstab der Beurteilung gemacht haben, ob eine Person in diesem Land unerwünscht ist. Die dazu passende Frage der vierten Gewalt lautet: Wurde aufgrund rechtlicher Bestimmungen oder aufgrund von Rassismus gehandelt? Letzteren entdeckt man folgerichtig nur da, wo er nicht in Gesetzesform vorliegt.
• ob die Gewalt die »Richtigen« getroffen hat oder aber fälschlicherweise Menschen zu Opfern der polizeilichen »Sortierungspraxis« geworden sind, die zwar »fremd« aussehen, womöglich sogar dunkle Haut haben oder ein Kopftuch tragen, aber dennoch rechtschaffene Bürger sind, die womöglich sogar als Leistungsträger eine besondere Bedeutung für Staat und Nation haben (Das war z. B. beim Skandal um den Mord an der oben erwähnten Marwa El-Sherbini, einer Pharmakologin, der Fall).
• und schließlich, sofern die Gewalttäter legitimiert vorgehen und sich der Ausländer tatsächlich eines Gesetzesverstoßes z. B. gegen das Aufenthaltsrecht schuldig macht, ob die Polizei von ihrer Macht auch verhältnismäßig Gebrauch gemacht hat oder ob sie bei der Verfolgung des gesetzlichen Zwecks unnötig starke Zwangsmittel eingesetzt hat.
Soviel zum kleinen Unterschied zwischen anerkannter Polizeiarbeit im Rahmen des Aufenthaltsrechts und ausländerfeindlicher Gewalt!
III. Schlussfolgerungen
a) zum Verhältnis von Polizei und Rassismus
Polizeirassismus hat Gründe: Der gesetzliche Auftrag zur Sortierung der Bevölkerung in staatlich anerkannte Rechtspersonen mit Aufenthaltstiteln einerseits und unerwünschte, d. h. »illegale« Ausländer andererseits übersetzt sich in der Praxis der polizeilichen Durchsetzung notwendigerweise in einen ethnischen Selektions- und Verdächtigungsprozess. Polizisten müssen das staatlich gewünschte Sortieren anhand von äußeren Merkmalen verinnerlichen, wollen sie ihre Aufgabe »vor Ort« erfolgreich bewältigen. Bereits hier zeigt sich, dass die beliebte Forderung nach einer Trennung von gesetzgeberischem Auftrag und ethnisch diskriminierendem Verhalten für Polizisten praktisch unmöglich ist.
Kein Wunder, dass Polizisten dabei die feinen Unterschiede zwischen dem rechtsstaatlich gebotenen Verdacht gegen Ausländer und der geächteten Vorverurteilung von Menschen aufgrund von Rasse, Religion und Herkunft nicht immer ganz sauber auseinanderhalten. Die Übergänge von der vorurteilsfreien und möglichst humanen Durchsetzung der auf Abschottung, Abschreckung und Abschiebung orientierten Flüchtlingspolitik über die Übersetzung derselben in ein Feindbild vom Asylsuchenden bis hin zu den Abgründen rassistischer Misshandlungen sind keinesfalls zufällig, aber auch nicht zwangsläufig.
Rassismus bei der Polizei ist eine Déformation professionelle und folglich auch kein speziell deutsches Phänomen. Den Rassismus bei der deutschen Polizei gibt es deshalb auch ohne die »ewig gestrigen Kollegen« aus alten Zeiten, die der frühen Bundesrepublik bei der Durchsetzung der demokratischen und freien Ordnung des westdeutschen Kapitalismus gedient hatten. In ihr nämlich hat er seine aktuelle Grundlage!
b) zum Verhältnis von Polizisten zu Rechtsstaat und Rechtsextremismus
Es ist also auch kein Zufall, dass viele Polizisten »Wahrnehmungsdefizite« gegenüber rassistisch motivierten Verbrechen haben und in ihrer Ermittlungsarbeit Opferzeugen tendenziell be- und die Täter entlasten. Die Einstellungsmuster der rechtsextremen, selbsternannten Heimatschützer und »guten Deutschen« haben mit denen der verbeamteten Ordnungshüter und deren politische Auftraggeber durchaus Gemeinsamkeiten: den Vorbehalt gegenüber Ausländern und die Sorge um die Nation. Folglich nimmt man die politisch motivierten Taten zur Rettung der Nation meist nur in ihrem unpolitischen Verstoß gegen Eigentum, Person und öffentliche Ordnung wahr: Sachbeschädigung, Körperverletzung, Landfriedensbruch. Manch ein Freund und Helfer – aber keinesfalls jeder – hegt vielleicht sogar heimlich Sympathien für die Neonazis, weil diese sich bei der Verteidigung des bekanntlich stets durch »egoistische« Partikularinteressen, Ausländer, Kriminelle und Linke bedrohten Gemeinwohls nicht von rechtsstaatlichen Schranken aufhalten lassen.
c) zur Kritik am polizeilichen Rassismus
Plädoyers für »diskriminierungsfreie« Polizei ohne Racial Profiling sind illusionär, wenn dabei die dem polizeilichen Einsatz zugrunde liegenden Aufgaben und Zwecke unbestritten bleiben, wie dies leider nicht nur beim linken Juristen Andreas Fisahn der Fall ist: »Denn ein zentrales Problem sind nicht die Gesetzesvorschriften, sondern der angesprochene strategische Umgang mit dem Recht seitens der Exekutive, der auch beim Racial Profiling sichtbar wird (»Problem Polizei«, jW vom 20.10.). Die aus der Ohnmacht geborene Forderung wenigstens nach der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beinhaltet darüber hinaus nicht nur die Ablehnung unzweckmäßig grober Zwangsmaßnahmen z. B. gegen Flüchtlinge, sondern befürwortet damit zugleich auch die jeweils angemessene Gewaltanwendung. Auf diesem Wege affirmieren die als konstruktive Kritiker angetretenen »Rechtsstaatsidealisten« schließlich auch noch den politischen Zweck des polizeilichen Einsatzes in gesetzlicher Form. Ganz so, als ob die Ausländerjagd gar keine mehr sei, wenn sie nur rechtsstaatlich formvollendet stattfindet.
Und jetzt? Opfer rassistischer Übergriffe können sich nur vor Gericht wehren und müssen das auch weiterhin tun. Dabei brauchen sie juristische Unterstützung. Mit einem Kampf gegen polizeilichen Rassismus ist das nicht zu verwechseln. Denn die polizeilichen Entgleisungen sind die unvermeidliche Fortsetzung einer Staatsräson, die in der Armut ihrer lohnabhängigen Bevölkerung im Innern und in der imperialistischen Durchsetzung gegen andere Nationalstaaten ihre feste Grundlage hat. Armut und Verelendung weltweit, Armutsquartiere mit »Marginalisierten« unter polizeilicher Aufsicht in den Metropolen und der Kampf gegen unerwünschte Flüchtlinge an ihren Grenzen sind deren notwendige Folge. Antirassistische Kritik muss deshalb beim politischen Zweck der polizeilichen Gewaltanwendung ansetzen.
Nachtrag
Berichte über rassistische Misshandlungen von Schutzsuchenden durch private Wachdienste in deutschen Flüchtlingsheimen haben liebgewordene Illusionen erschüttert. Kaum ist die eine Illusion zerplatzt, so kommt – zum Teil auch bei Linken – die Forderung auf, den privaten Wachdiensten die Aufgabe zu entziehen und sie der Polizei anzuvertrauen. Der Polizei.
Autorennotiz: Prof. Dr. Arian Schiffer-Nasserie ist Lehrer für Migrations- und Sozialpolitik am Fachbereich Soziale Arbeit der Evangelischen Fachhochschule in Bochum und steht für Vorträge und Diskussionen gerne zur Verfügung. Aktuelle Schwerpunkte: Armut, Rassismus, Flüchtlingspolitik.