Zum Gegenschlag übergehen

Erstveröffentlicht: 
16.10.2009

Der Bombenfund bei einem Lörracher Neonazi zeigt: Es war kein Einzelner am Werk

In Baden-Württemberg sammeln Anhänger der NPD-Jungendorganisation Chemikalien für einen Sprengstoffanschlag. Mit dabei: Ein Elitesoldat der Bundeswehr. Ziel der Neonazis war offenbar die linke Szene. Zumindest scheint es Versuche gegeben zu haben, Antifa-Kreise auszuleuchten. Nach der Festnahme eines Neonazis wurde ein Anschlag auf das alternative Zentrum KTS in Freiburg verübt.

 

Ohne Nachfrage folgte gleich die Antwort. "Nein, wir ermitteln nicht wegen einer kriminellen Vereinigung oder einer terroristischen Gruppe", sagt Dieter Inhofer, Oberstaatsanwalt in Lörrach. Vor knapp fünf Wochen musste die Staatsanwaltschaft allerdings erneut Durchsuchungen in der neonazistischen Szene Südbadens anordnen. Der Anlass: Der Fund von Chemikalien und Materialien bei dem Neonazi Thomas Baumann, mit dem schnell ein Sprengsatz gebaut werden könnte. "Die Bombe hätte zu Toten und schwer Verletzten führen können. Die Splitterwirkung wäre verheerend gewesen", erklärt der Lörracher Polizeipressesprecher Joachim Langanky.

Am 17. September diesen Jahres führte die Polizei Hausdurchsuchungen bei acht Personen aus dem Umfeld des Neonazis Thomas Baumann durch. Er selbst saß zu diesem Zeitpunkt bereits wegen der Entdeckung der Bombenutensilien in Untersuchungshaft. Eine der Personen, bei der im September wohl eine Razzia stattgefunden hat, ist Julien Lagarde. Bestätigen mag Inhofer diese Durchsuchung allerdings nicht. "Zu einzelnen Personen darf ich nichts sagen", erläutert der Oberstaatsanwalt, lässt aber auch kein Dementi verlauten. Nicht bei allen Betroffenen fand die Polizei Chemikalien, betont er. Ob bei Lagarde, der in Lörrach bei seinen Eltern lebt, darf Inhofer nicht sagen. Die Brisanz: Lagarde ist bei einer Eliteeinheit der Marine, er dürfte sich mit Sprengstoff auskennen.


Elitesoldat Mitglied bei den Jungen Nationaldemokraten

Im schleswig-holsteinischen Eckernförde ist der 23-jährige Zeitsoldat bei der Bordingkompanie stationiert. "Aus datenschutzrechtlichen Gründen kann ich ihnen nichts zur Personen sagen", erklärt ein Sprecher der Bundeswehr. In der Kaserne ist man auskunftsfreudiger. "Herr Lagarde ist hier stationiert, er gehört zu den Spezialisierten Einsatzkräften Eckernförde", heißt es dort freundlich. Telefonisch sei er aber gerade nicht zu erreichen. Stolz erklärt der Vater von Lagarde am Telefon: "Ja, mein Sohn ist bei der SEK Boarding Kompanie Team 5."

Für vier Jahre hat sich das Mitglied der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) verpflichtet. Im Internet betont die Marine: Die "Spezialisierten Einsatzkräfte" sind keine Einheit unter vielen. "Der Boarding-Sicherheitssoldat ist ein vielseitig ausgebildeter Marineinfanterist." Die Bundeswehr versichert: "Diese für das Durchsuchen von Schiffen ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten sind sportlich austrainiert, waffentechnisch hervorragend ausgerüstet und einzigartig in der Bundeswehr." Zu den Aufgaben der Einheit, der Lagarde angehört, zählt unter anderem, Handelsschiffe im Golf von Aden gegen PiratInnen zu verteidigen und die Schiffe der PiratInnen zu entern. Spezielle Kampftechniken werden erlernt. Über die genaue Ausbildung mag die Bundeswehr sich allerdings nicht äußeren.

Die Nähe von Lagarde zu Baumann offenbaren Mails. Am 22. Februar 2008 schreibt Baumann an Lagarde: "Servus. Durch unsere JN-Kontakte haben wir erfahren, dass du Interesse an besagter JN hast? Melde dich einfach." Ein Angebot von Baumann, der aus Weil am Rhein kommt, das wenig überrascht. In der Region ist er JN-Stützpunktleiter und Anführer der Kameradschaft Freie Kräfte Lörrach. Am 3. März des vergangenen Jahres antwortet Lagarde: "Dank für deine mail" und entschuldigt sich, dass er wegen eines Einsatzes nicht gleich geantwortet hätte. Er versichert aber, "gerne bei euch mitmachen" zu wollen. Im Juli bestätigt der NPD-Landesgeschäftsführer Alexander Neidlein per Mail, dass ein Mitgliedsantrag von Lagarde angekommen sei. Einladungen zu Treffen, Wikingerfesten und Sonnenwendfeier folgen. Am 16. Juni 2009 will Lagarde wissen, ob er sich bei Baumann. "noch zu dem zeltlager im august anmelden" kann. Gern hätte er auch noch Literaturtipps und fragt ihn:, "welche bücher" er "noch unbedingt lesen soll".

So schnell Inhofer versichert, nicht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu ermitteln, so zögerlich räumt er ein: "Diese Ermittlungen wurden im Nachgang der ersten Durchsuchung beantragt." Der Staatsanwalt sagt nun auch: "Wir gehen davon aus, dass die Person (gemeint ist Baumann, d. Red) in U-Haft Helfer gehabt haben könnte."

Am 26. August diesen Jahres stellten ErmittlerInnen bei dem Neonazi Chemikalien und Laborgeräte sicher, mit denen sich Sprengstoff herstellen lässt. Im Haus fanden sie neben entsprechender Fachliteratur: Zündschnüre, elektrische Bauteile für Fernzünder und Komponenten zum Herstellen von Rohrbomben. "Aus dem Material hätte man eine fünf Kilogramm schwere Bombe bauen können", sagte damals die Staatsanwaltschaft.

Polizeisprecher Langanky bestätigt diese Einschätzung und sagte, es hätten auch acht Kilogramm werden können. Ein Sprengsatz mit verheerenden Auswirkungen, betonte Langanky und erklärte: "Es wurde ein starkes Klebeband, sogenanntes Gaffaband, mit kleinen Stahlkugeln daran gefunden. Um eine Rohrbombe herumgewickelt, macht das den Sprengsatz bei einer Detonation für sogenannte weiche Ziele wie Menschen äußerst gefährlich. Der Grund dafür ist, dass die Kugeln mit einer sehr großen Geschwindigkeit in alle Richtungen schießen." Laut Polizei hatte Baumann bereits angefangen, die Zutaten zu mischen. Bei dem 22-Jährigen stießen die Beamten zudem noch auf ein funktionsfähiges Schweizer Sturmgewehr, mehrere Messer, Bajonette und Reizgaspistolen. Für eine scharfe Pistole hatte er einen Waffenschein, weil er Mitglied eines Weiler Schützenvereins ist.


Bombenfund dank der Recherchen der Antifa

Die Ermittlungen wurden aber nicht durch Erkenntnisse der Polizei ausgelöst, auch nicht durch Hinweise von V-Männern. Allein Recherchen der Antifa Freiburg und Nachfragen der Medien führten zu dem Fund der gefährlichen Substanzen. Eine anonyme Anzeige war bei der Polizei eingegangen, bestätigte die Staatsanwaltschaft. Man wollte aber nach den ersten Ermittlungen nur von einem "Einzeltäter" ausgehen. Dass in dem Schreiben jedoch auf weitere mögliche Helfer hingewiesen wurde, führte anfänglich nicht zu weiteren Durchsuchungen. "Wir haben bei bekannten Gesinnungsfreunden des Täters nicht durchsucht, weil der Besitz und Erwerb der einzelnen chemischen Substanzen nicht verboten ist", rechtfertigte Langanky damals das Nichthandeln.

In dem Schreiben, das der taz vorliegt, wurde im August bereits auf sieben Mitwisser hingewiesen - unter anderem erwähnt der Schreiber bzw. die Schreiberin auch Christoph B. Der Mann aus Lörrach lud im Juni 2004 zur "feierlichen Gründung des NPD-Stützpunkts Lörrach" ein. Er unterschrieb die Einladung mit "Stützpunktleiter". Aus Mails zwischen Baumann und B. geht hervor, dass beide gegen die linke Szene im Freiburger Raum vorgehen wollten. Am 3. November 2007 schreibt Baumann an "Kamerad Christoph", er habe Interesse an einer JN-Mitgliedschaft und wolle "hier unten einen JN-Stützpunkt aufziehen". Acht Leute kriege er zusammen.

Am 12. April 2008 möchte Baumann dann "Namen und Adressen von wichtigen politischen Gegnern in dieser Umgebung" haben. Denn: "Wir haben uns jetzt langsam strukturiert und gehen zum Gegenschlag über." Am selben Tag schreibt B. zurück: "Ich kann dir Adressen geben, leider habe ich nicht viele." Deshalb brauche man ein unbekanntes Gesicht, das beim nächsten Antifa-Vortrag in Freiburg dabei sei, denn so komme man an neue Namen und Adressen. Am folgenden Tag legt B. nach: "Die Adresse des DGB-Vorsitzenden Freiburg suche ich noch heraus." Der NPD-Kader verdächtigte den Gewerkschaftsbund, mit der Antifa Freiburg zusammenzuarbeiten.

Tatsächlich versuchten Baumann und seine Kameraden, die Antifa auszuleuchten. Ein Sprecher der Antifa-Gruppe berichtet, das man Baumann und seine Freunde mehrfach dabei überraschte, wie sie das alternative Freiburger Jugendzentrum KTS ausspionieren wollten. "Die Einzeltäterthese ist falsch", hebt der Sprecher hervor. Er wirft NPD, JN und den Freien Kräfte Lörrach vor, Baumann unterstützt zu haben.

Die Mails legten damals schon diesen Verdacht nahe. Am 2. Juni 2008 verkündet Baumann per Mail die Gründung einer "Arbeitsgruppe Aufklaerung", die "Namen, Nummern, Freunde, Vereine, Wohnort, Schule, Bilder einfach ALLES! über die Zecken" rausfinden soll. 2009 geht es dann um Chemikalien. Christoph B. gibt am 7. Januar 2009 den Tipp: "Du bekommst den gesuchten Treibstoff unter der Adresse: shop.wega-sunshine.com 99,3 % 500 ml 14,90 1 L 22,30." Und im Juni mahnt der NPD-Stützpunktleiter den säumigen Baumann: "Du hast noch Chemikalien im Wert von ca. 76.- Eur. bei mir, die du über mich bestellt hast."

Vielleicht haben die Kameraden aber schon eine Bombe getestet. Ende Juli fand ein Bauer bei Ettenheim, etwa 90 Kilometer von Weil am Rhein entfernt, beim Mähen einer Wiese eine Rohrbombe mit einem halben Kilo selbstgebasteltem Sprengstoff und abgebrannter Lunte. "Wir vergleichen die Bomben natürlich", sagt Polizeisprecher Langanky. Die Prüfung läuft noch. In der U-Haft schweigt sich Baumann aus, sagt Staatsanwalt Inhofer.

Trotzt der Festnahme und den Ermittlungen wurde in der Nacht auf den 9. September ein Brandanschlag auf das KTS verübt. Den Brand konnte die Feuerwehr löschen. Sachschäden entstanden in mehreren Räumen und an der Außenwand. Die Antifa denkt, dass dies eine Reaktion auf ihre seit zwei Jahren laufende "Aufklärungsoffensive" sei. Eine Antwort der baden-württembergischen Landesregierung auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Stephan Braum bestärkt diese Einschätzung. In der Antwort vom 3. September erklärt Innenminister Heribert Rech (CDU) im Fall Baumann: "Die Staatsanwaltschaft (...) nach den bisherigen vorläufigen Erkenntnissen davon (ausgeht), dass der Beschuldigte einen Anschlag gegen Mitglieder der ,Antifa` in Freiburg beabsichtigte."


Keine Ermittlung wegen krimineller Vereinigung

In der Szene zwischen NPD, JN und Kameradschaften stoßen Ermittlungsbehörden immer wieder auf Waffen verschiedenster Art und Substanzen zum möglichen Sprengstoffbau. 2003 fanden Beamten in München 1,7 Kilogramm des Sprengstoffs TNT. Einer der größeren Funde. In der bayrischen Landeshauptstadt wollten in dem Jahr Neonazis um Martin Wiese mit einem Anschlag den Bau einer Synagoge verhindern. Die Gruppe flog auf. Wiese sitzt bis heute in Haft.

Die neuen Erkenntnisse über Lagarde im "Fall Baumann" schreckte die Behörden auf. Hinter vorgehaltener Hand allerdings. Aus Verfassungsschutzkreisen heißt es: "Wenn sich das bestätigt, fällt es eindeutig aus dem Rahmen." Die Bundeswehr wurde erst durch Nachfragen der taz und des NDR auf ihren neonazistischen Elitesoldaten aufmerksam. Ein Sprecher versicherte aber, "eine Überprüfung" würde eingeleitet. Jeder Soldat hätte schließlich mit dem Eid ein Bekenntnis zum Grundgesetz abgelegt. "Diese Treuepflicht endet nicht am Kasernentor" versichert er. Zeitsoldaten können bei schweren Dienstverstößen, Straftaten, Drogendelikten oder eben auch in Fällen aktiver Tätigkeit gegen die Verfassung aus der Truppe entfernt werden. Die militärische Karriere könnte für Lagarde eventuell beendet sein. Die Ausbildung für den Kampf dürfte er nicht vergessen. Seit Jahren rufen Kameraden ihre jüngeren Mitglieder auf, zum Bund zu gehen. "Ganz legal lerne man hier den Umgang mit der Waffe und mehr", werben sie für die Truppe.