Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) hat sich in einem jüngst veröffentlichten Interview mit der Zeit noch einmal zur gegenwärtigen Situation von Asylsuchenden in Sachsen geäußert. Während in Leserbriefen und Kommentaren Teile der Bevölkerung immer wieder gegen asylsuchende Menschen hetzen, sieht Ulbig die Aufgabe der Politik nicht darin, vor Krieg und Vertreibung geflohenen Menschen zu helfen, sondern vor allem die “Ängste und Vorurteile” in der ortsansässigen Bevölkerung ernst zu nehmen.
Zunächst sollte “für eine Akzeptanz in der Bevölkerung gesorgt werden. Oft schreien die Einwohner eben nicht ‘Hurra’, wenn in der Nachbarschaft eine Erstaufnahme für Asylbewerber geöffnet wird.”, so Ulbig weiter. Was diesen Umgang bislang ausgezeichnet hat, zeigt sich am Beispiel der ostsächsischen Stadt Bautzen. Nachdem Ende August mehrere hundert Menschen gegen eine bestehende Unterkunft für Asylsuchende demonstriert hatten und sowohl die Alternative für Deutschland (AfD) als auch die NPD bei den anschließenden Wahlen zum Sächsischen Landtag auf zusammen mehr als 25 Prozent der Stimmen gekommen waren, wurden die Pläne für eine zweite in Bautzen geplante Unterkunft offenbar erstmal auf Eis gelegt.
Zugleich machen die auch in benachbarten Bundesländern zu beobachteten Erfolge rechter Parteien bei den jüngsten Kommunal- und Landtagswahlen deutlich, dass sich mit der rassistischen Stimmung in Teilen der Bevölkerung vor allem Wahlen gewinnen lassen. Neben der AfD war die sächsische NPD nach zwei Legislaturperioden im Sächsischen Landtag mit rund 800 fehlenden Stimmen nur denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Während die nun vor einem Trümmerhaufen stehende Partei gerade auf dem Land teilweise zweistellige Ergebnisse erzielen konnte, dürfte vor allem der Erfolg der zum ersten Mal bei einer Landtagswahl in Sachsen angetretenen AfD viele Stimmen am rechten Rand gekostet haben. Ebenso wie die NPD war auch die erst im Februar 2013 gegründete Partei im Wahlkampf mit eurokritischen und rassistischen Plakaten auf Stimmenfang gegangen.
Wenige Tage vor der Wahl hatte sich der als konservativer Hardliner bekannt gewordene ehemalige Sächsische und jetzige Innenminister des Bundes, Thomas de Maizière (CDU), in der BILD-Zeitung angesichts des Kriegsgeschehens in Syrien und dem Irak schon vorab gegen eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. In seinen Augen wäre dies “ein unerträglicher Triumph für die Terroristen als Feinde unserer Religion, wenn am Ende des Konflikts die Christen aus dem Irak vertrieben wären – kulturhistorisch und menschheitsgeschichtlich”.
Während die deutsche Rüstungsindustrie am Export von Waffen und anderen wichtigen Kriegsgütern auch in Krisenregionen Milliarden verdient, werden die Folgen erst dann diskutiert, wenn Flüchtlinge für sich und ihre Familien in Deutschland Schutz suchen und Asyl beantragen. Das Ergebnis dieser Politik und dem sich in den Wahlergebnissen widerspiegelnden Rassismus ist häufig eine Verschärfung der Gesetze genau den Menschen gegenüber, die nach oft monatelanger Odyssee mit den physischen und psychischen Folgen allein gelassen werden, obwohl sie dringend auf Hilfe angewiesen sind.
So beschloss am 19. September der Bundesrat mit den Stimmen von CDU, SPD und Grünen eine erneute Änderung des Asylrechts. Mit der auch von Sachsen unterstützten Initiative, einige der Balkanstaaten als “sichere Herkunftsländer” einzuordnen, wurde ungeachtet zweier Rechtsgutachten die Abschiebung der besonders unter Ausgrenzung und Diskriminierung leidenden Roma-Minderheit nach Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina erleichtert. Erst Anfang Juli hatte der für solche Fragen zuständige Innenausschuss des Bundestages am Rande der Fußballweltmeisterschaft den Weg für eine Änderung des Asylrechts frei gemacht. Als Reaktion auf die steigende Zahl von geflüchteten Menschen, die in Kirchen Schutz suchen, steht nach den Vorstellungen des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) inzwischen sogar eine Aushebelung des Kirchenasyls zur Diskussion.
Davon unbeeindruckt hat die zum damaligen Zeitpunkt noch schwarz-gelb geführte Sächsische Landesregierung Mitte August die Einführung eines “Sächsischen Gedenktages für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung” beschlossen. Dieser fand erstmalig am 14. September diesen Jahres statt und soll von nun an jährlich an jedem zweiten Septemberwochenende begangen werden. “Der Gedenktag”, so Innenminister Ulbig in der Freiberger Nikolaikirche, “bietet Raum für Erinnerung. Die Gesellschaft braucht eine würdige Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Vertreibung”.
Die Einführung dieses vor allem aus der rechten Ecke mit Beifall bedachten Gedenktages ist beispielhaft für gleich zwei fragwürdige Tendenzen im aktuellen politischen Diskurs in Sachsen: einerseits wird mit der expliziten Ehrung deutscher Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg der Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen Vorschub geleistet, andererseits steht der Tag zugleich auch für die Ignoranz der sächsischen Politik gegenüber der aktuellen Flüchtlingsproblematik.
Wie aus einer dazu vom Sächsischen Innenministerium herausgegebenen Pressemitteilung hervorgeht, soll mit diesem Tag “das kulturelle Erbe [...] bewahrt und die gelungene Integration und Aufbauleistung der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in Sachsen gewürdigt werden”. Gedacht wird also ganz konkret deutschen Vertriebenen. Diese Fokussierung auf deutsches Leid im Rahmen eines eigenen Gedenktages wird der Frage nach den Ursachen für die erfolgte Vertreibung nicht gerecht. So bleibt nicht nur unerwähnt, dass der nationalsozialistische Terror in Deutschland, und damit auch in Sachsen, seinen Anfang nahm, sondern auch, dass in den Führungsgremien der Vertriebenenverbände nach dem Zweiten Weltkrieg NSDAP-Mitglieder eine tragende Rolle spielten.
Der Gedenktag soll in Zukunft lediglich als “Symbol für Verantwortung und Versöhnung angesichts dessen [dienen], dass es vielerorts in der Welt Flucht und Vertreibung sowie Repressalien gegen nationale, ethnische oder auch religiöse Minderheiten gibt”. Anhand der aktuell in Sachsen geführten Flüchtlingsdiskussion lässt sich jedoch erkennen, worin der Unterschied zu Menschen nichtdeutscher Herkunft besteht.
Eine weitere Aufgabe des neuen Gedenktages soll es zudem sein, zu mahnen, “ein solches Verbrechen gegen die Menschlichkeit nie wieder geschehen zu lassen”, zitiert freudig die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) den ehemaligen sächsischen CDU-Fraktionsvorsitzenden Steffen Flath. Denn während sich die sächsische CDU-Fraktion fast 70 Jahre nach Kriegsende über das Schicksal der vertriebenen Deutschen den Kopf zerbricht, suchen tagtäglich bedürftige Menschen aus anderen Ländern Schutz in einem der reichsten Länder der Welt. Diesen Menschen wird in Sachsen jedoch zunächst mit Skepsis und Misstrauen begegnet. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den Ursachen von Flucht und Vertreibung findet ebenso wie im Umgang mit den Vertriebenenverbänden im Freistaat nicht statt. Stattdessen entsteht der Eindruck, dass menschliches Leid nur als solches offiziell anerkannt wird, wenn es deutsches Leid ist.
Obwohl gerade “Heimatvertriebene und Aussiedler” nach den Vorstellungen der Sächsischen Landesregierung in den vergangenen Jahrzehnten in Sachsen für “soziale, wirtschaftliche und kulturelle Impulse” gesorgt haben sollen, wird geflüchteten Menschen aus anderen Ländern diese Chance mit immer neuen restriktiven Gesetzen und langwierigen Anerkennungsverfahren genommen. Und eine offizielle Anerkennung als Flüchtling ist dabei nahezu ausgeschlossen, vielmehr lag Sachsen mit seiner, gemessen an der Bevölkerungszahl, großen Zahl an Abschiebungen im vergangenen Jahr bundesweit an der Spitze und auch in diesem Jahr steuert das nach den Ergebnissen der Landtagswahlen vom August bald von einer großen Koalition regierte Bundesland wieder auf einen Spitzenplatz zu. Erst kürzlich lehnte das Sächsische Innenministerium angesichts der derzeit in einigen Ländern Westafrikas grassierenden Ebola-Epidemie einen von der Linken-Politikerin Juliane Nagel geforderten vorübergehenden Abschiebestopp für insgesamt 16 Menschen aus den am stärksten betroffenen Ländern ab.