Neben der Gewalt gegen Obdachlose, die derzeit in Kreuzberg durch die Räumung vom Oranienplatz und der GHS viel beleuchtet wurde und wird, gibt es andere Stadtgebiete in denen es nicht minder schlimm zugeht. Ein kurzer Blick in die West-City. Der Hardenbergplatz ist international bekannter Ort der gesellschaftlichen Kontraste: neben den nobelsten Objekten und Adressen gibt es den Straßenstrich, eine offene Drogenszene und Massen an Menschen, die jeden Mauervorsprung nutzen, um einen trockenen Schlafplatz zu ergattern. In der Vergangenheit gab es immer wieder Kampagnen, um die offensichtlichen Probleme wie Wohnungsnot und gesellschaftlichen Ausschluss in andere Gebiete abzuschieben.
Nun befindet sich die Gegend am Bahnhof Zoo in einem neuerlichen Aufschwung. Beispiele für enorme Investitionen der Wirtschaft sind das neue Hotelhochhaus und die gerade eröffnete Nobel-Shopping-Mall in direkter Nachbarschaft der Gedächtniskirche. Der Aufschwung soll natürlich im Sinne der Wirtschaft und der Politik anhalten, weswegen verstärkt daran gearbeitet wird, das Image des Bahnhofs selbst umzukrempeln. Noch ist den meisten Menschen die Geschichte von Christiane F. im Kopf, die weltweit zum Symbol einer Epoche wurde, doch schon bald könnten die Touristenströme ein ganz anderes Bild exportieren. Jedenfalls, wenn es nach den Vorstellungen der Lobbyorganisation der Gewerbetreibenden geht. Die AG City (http://agcity.de/) vereint die kleinen und großen Betriebe in einer kapitalen Stimme, die in den letzten Wochen über die Massenmedien in erster Linie den Kampf gegen Obdachlose und Drogenkonsument_innen ankündigt.
Dabei geht es natürlich genau wie beim kleinen Kreuzberger Pendant Unser Görli nicht um die Hinterfragung und Bekämpfung grundlegender Missstände sondern um die Vertreibung von Menschen. Die Ideen über die Art der Vertreibung ähneln sich verblüffend. Während in Kreuzberg von Presse und rassistischen Anwohner_innen eine Bürgerwehr zur Unterstützung der Polizei herbeigewünscht wird, kündigt die AG City an, Security-Firmen anzuheuern, die die "Lage in den Griff bekommen sollen" (http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article130241162/Sicherheitsdienst-am-Bahnhof-Zoo.html).
"Die Lage", das ist wie jeder, der den Bahnhof Zoo kennt - zumindestens laut Berliner Woche: "Bettler vor dem Supermarkt, Obdachlose in der Jebensstraße, Suchtmittelkranke an den Treppen." Soweit lässt sich nicht darüber streiten. AG City-Vorstand Gottfried Kupsch jedoch sieht darin "inzwischen ein Riesenproblem". Denn Beschwerden der Geschäftsleute gingen jetzt über das bisher gekannte Maß deutlich hinaus. "Die Anzahl der Obdachlosen ist erheblich gestiegen", versichert Kupsch. "Und das Schlimmste ist, dass die Aggressivität zugenommen hat." Wer auf Bettelei abweisend reagiert, erntet schon mal ruppige Reaktionen. Zudem beklagen sich Anrainer wie die Galerie C/O Berlin im Amerikahaus und das Hotel Aletto über Obdachlose, die auf ihren Grundstücken ihr Geschäft verrichten.
Nachdem in dieser Stadt Refugees nicht mehr ohne Ratten erwähnt werden, Dealer nicht mehr ohne Messer, die Cuvry-Brache nicht mehr ohne Müll, werden die Obdachlosen jetzt auf ihre Fäkalien reduziert.
Wo die Hetze losgetreten ist, kann auch die Polizei das Maul nicht halten: "Wir beobachten, dass die örtliche Trinker- und Bettlerszene am Bahnhof wieder zunimmt", sagt Andreas Suhr, Leiter des Polizeiabschnitts 25. Auffällig seien auch obdachlose Osteuropäer. "Wenn sie angetrunken sind, kommt es relativ schnell zu Körperverletzungen. Bei Polizeieinsätzen leisten sie oft Widerstand."
Bei derartigen Verallgemeinerungen und dreckigem Vokabular müssen die Alarmglocken schrillen. Die City West um den Bahnhof Zoo sieht einer Säuberung entgegen. Wer die Gegend wirklich kennt und die Welt nicht mit Dollar-Zeichen in den Augen sieht, weiß was das bedeutet könnte. Mehrere hundert bis tausend Menschen verlieren einen Ort, der für sie zwar kein richtiges Obdach zu bieten hat, dafür soziale Kontakte und Möglichkeiten zum Erwerb des Hungergeldes. Wenn sie in den näheren Umkreis abwandern müssen, dann erwarten sie schon jetzt überfüllte Schlafplätze unter Brücken an der Spree, unbarmherzige teure Wohngebiete und viel zu wenige für sie zugängliche warme Plätze für den Winter. So oder so blicken sie einer ungewissen Zukunft in einer zunehmend entmenschlichten Stadt entgegen.
"...das Lebensgefühl und die vielfältige Mischung des Boulevards zu stärken..." AG City
Video auf RBB: http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2014/07/Bahnhof-Zoo-Sicherheit-AG-West-Sicherheitsdienst-Charlottenburg.html