Intersexualität: Das dritte Geschlecht

Erstveröffentlicht: 
05.08.2014

Vanja ist weder Frau noch Mann und will das auch in der Geburtsurkunde stehen haben - der Antrag liegt beim örtlichen Standesamt vor. Der Ethikrat hat eine gesetzliche Neuregelung bereits vor einiger Zeit nachdrücklich empfohlen, doch geschehen ist seitdem nicht viel. von OLIVER TOLMEIN.

 

Der kürzlich beim Standesamt Hannover-Gehrden eingereichte Antrag eines jungen Menschen, der nicht mehr als Frau in den Registern der Behörde geführt werden will, aber auch eine Eintragung als Mann ablehnt, erfordert eine Entscheidung der zuständigen Standesbeamtin über die Frage, ob ein drittes Geschlecht in unserer Gesellschaft anerkannt werden soll. Als „inter/divers“ möchte die Antragstellerin künftig geführt werden und auch eine entsprechende Geburtsurkunde ausgestellt bekommen.

Im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten war die Stellung von Zwittern noch in vier Paragraphen geregelt – wenn auch nicht gerade nach den Idealen des Selbstbestimmungsrechts. In Australien und Neuseeland ist es seit letztem Jahr möglich, als Geschlechtseintrag „Indeterminate/Intersex/Unspecified“ zu wählen. In Indien hat der Oberste Gerichtshof in einer Grundsatz-Entscheidung im April diesen Jahres Menschen, die weder Frau sind noch Mann, das Recht zugestanden, sich einem „dritten Geschlecht“ zuzuordnen. Auch für Menschen des dritten Geschlechts müssen nach dem Richterspruch, um Benachteiligungen zu vermeiden, Förderprogramme geschaffen und Unterstützungsmittel bereitgestellt werden. Mittlerweile bekennen sich knapp 500000 Menschen in Indien dazu, zu diesem dritten Geschlecht zu gehören.

Auch in Deutschland wird die Auseinandersetzung darüber, wie Menschen rechtlich behandelt werden sollen, die weder Frauen sind noch Männer, seit einigen Jahren geführt. Der Ethikrat hatte nach ausgiebigen Recherchen und Befragungen im Auftrag der Bundesregierung im Februar 2012 einmütig empfohlen, eine dritte Geschlechtskategorie einzuführen (F.A.Z. vom 24.Februar 2012). Geschehen ist seitdem wenig. Der 2013 neu ins Personenstandsgesetz eingeführter Paragraph 22 Absatz 3 regelt zwar für den Fall der Geburt eines intersexuellen Kindes: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“ Durch eine unlängst veröffentlichte Verwaltungsvorschrift wird aber klargestellt, dass Eintragungen wie „intersexuell“ weiterhin unzulässig sein sollen. Das Kind hat also nach dieser Bestimmung kein drittes Geschlecht, sondern gar keines mehr – ein Zustand, der nicht von Dauer sein kann.

Auch die Quoten-Debatte könnte wieder aufflammen

Die Verwaltungsvorschrift kennt aus diesem Dilemma nur eine Ausweg: Eine ärztliche Bescheinigung soll nachweisen, wenn das Kind einem der beiden vom Personenstandsgesetz anerkannten Geschlechter zugeordnet werden kann. Dafür sind in der Regel schwerwiegende operative Eingriffe erforderlich, sogenannte geschlechtszuweisende Operationen, die nicht nur viele erwachsene Betroffene, die sie als Kinder durchlitten haben, ablehnen. Auch der Ethikrat hat sich in seiner Stellungnahme äußerst kritisch zu diesen Eingriffen geäußert und dringenden Regelungsbedarf reklamiert. Selbst der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat sich im Frühjahr anlässlich des Staatenberichts der Bundesrepublik über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mit dem Thema „geschlechtszuweisende Operationen“ befasst und sie als möglichen Verstoß gegen Artikel 16 der Konvention beurteilt, der die Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch sicherstellen soll.

Der Antrag – ausgestattet mit einer ausführlichen, acht Seiten langen Begründung –, der jetzt im Standesamt Hannover-Gehrden zur Entscheidung vorliegt, ist also ein notgedrungen juristisch verbrämter Anstoß dafür, die gesellschaftliche Debatte über die Geschlechterverhältnisse in Deutschland wieder aufzugreifen. Er wird daher nicht von der Standesbeamtin in Hannover-Gehrden entschieden werden, sondern seinen Weg durch die Instanzen gehen – bis zum Bundesverfassungsgericht. Wenn nicht, was dringend zu wünschen wäre, vorher Bundesregierung und Bundestag ihre Arbeit erledigten und ernstlich versuchten, dieses Problem politisch zu lösen.

Die dringend erforderliche Änderung einzelner Vorschriften im Personenstandsgesetz wird dieser Debatte weiterhelfen, kann sie allerdings nicht abschließen. Die immer wieder vor großen internationalen Wettkämpfen aufflackernden Debatten um den Umgang mit Intersexuellen im Sport deuten an, wie grundlegend die Fragen sind, mit denen sich die Gesellschaft wird befassen müssen. Es werden nicht nur neue Piktogramme für Toilettentüren oder weitere Umkleidekabinen in Schwimmbädern geschaffen werden, auch die Diskussion um Quoten in den Aufsichtsräten könnte neue Impulse bekommen, wenn auch wegen ihres Geschlechts benachteiligte Intersexuelle verlangen, hier entsprechend berücksichtigt zu werden.