Hartes Urteil gegen die Baskische Linke

pasadoeta

Das spanische Sondergericht Audiencia Nacional, zuständig für “Terrorismus und organisiertes Verbrechen“ hat im Prozess wegen der Volkskneipen (Herriko Tabernak) ein hartes Urteil gefällt. Von 34 Angeklagten wurden zwanzig zu Strafen zwischen einem und drei Jahren verurteilt, 14 weitere wurden freigesprochen. Es mag zynisch klingen, aber die eigentliche Brisanz des Urteils ist nicht der mögliche Freiheitsentzug, sondern die wirtschaftliche Dimension der Entscheidung, die mit sieben zu sechs Richterstimmen zudem sehr knapp ausfiel. 

 

Der Prozess geht zurück auf die Anfangsphase der Illegalisierung der baskischen Linken, seinerzeit Batasuna im Jahr 2002. Mit der Einführung eines repressiven und ausschließlich gegen die baskische Linke gerichteten Parteiengesetzes wurde eine ganze Reihe von politischen und zivilen Organisationen verboten, die zum Umfeld von Batasuna gerechnet wurden. Batasuna wurde mit ETA gleichgesetzt, so konnte eine Gruppe nach der anderen gekippt werden: “alles ist ETA“ war und ist der juristische Rundumschlag, mit dem ohne genauer hinzuschauen alles abgeurteilt wurde, was nach links und baskisch aussah, erfunden vom AN-Richter Baltasar Garzon, der dafür den Menschrechts-Preis des deutschen PEN-Club erhielt.

 

Eines der ersten Angriffsziele von Garzon waren die Herriko Tabernak, die Volkskneipen, die es im Baskenland in fast jedem Dorf und Stadtteil gibt. Das sind Treffpunkte der baskischen Linken, Jung und Alt geht dort hin, um sich zu informieren, zu kommunizieren, kommerzfrei zu komsumieren oder Veranstaltungen zu besuchen. Eine einzigartige Struktur, denn wer im Baskenland egal wo zu Besuch ist, findet immer eine vertraute Umgebung und Ansprechpartner für vertrauensvolle Fragen. Das wird auch Garzon bewusst gewesen sein. Mit seinem Totschlagsargument “alles ist ETA“ urteilte er, diese Kneipen trügen zur Finanzierung von ETA bei, eine Behauptung für die es nicht einen einzigen konkreten Beweis gibt, lediglich Vermutungen und Rückschlüsse aufgrund von ideologischen Verbindungen. Im ersten Schritt wurden im Oktober 2002 alle Herrikos geschlossen, eine Zahl von ca. 150 Häusern. Es folgte ein Schritt zurück, denn viele der Volkstabernen waren nicht direkt Batasuna unterstellt, sondern wurden von privaten Vereinen betrieben. Sie mussten wieder geöffnet werden und konnten seither ihren Betrieb weiter führen. Beim jetzt beendeten Verfahren ging es erneut um alle verbleibenden Kneipen, die mit dem Urteil geschlossen und enteignet werden sollen, 111 an der Zahl.

 

Die Begründung des Urteils folgt beweisfrei einer Art von spanischer Populärjustiz nach dem folgenden Muster: alle Welt wusste, das ETA und Batasuna dasselbe waren, die Verantwortlichen für die Herrikos waren mit oder ohne Trägerverein Leute von Batasuna, daraus folgt, das alle erzielten Gewinne über Batsuna an denETA-Komplex gingen. Die Angeklagten und die Aktivität der Herriko-Kneipen dienten also direkt den Interessen von ETA, denn die bewaffnete Gruppe kontrollierte die Partei, so die Mehrheit der Richter vor 12 Jahren und heute. Jene Kneipen, die wieder geöffnet werden konnten, mussten in Kauf nehmen, dass staatliche Kontrolleure sozusagen die Buchführung übernahmen und die Daten direkt an den Staatsschutz weiter gaben. Bezahlt werden mussten diese Kontrollettis von den Vereinen und den Gewinnen aus dem Kneipenbetrieb, wenn es denn Gewinne gab. Denn aufgrund der niedrigen Preise der Herrikos, wurde dort nie großes Plus gemacht, im Gegenteil, viele funktionieren mit Freiwilligen, weil der Umsatz nicht ausreicht, um fest Angestellte zu bezahlen.

Die Verurteilten machen sich, laut Audiencia Nacional, mit ihrer Verantwortung für die Herrikos der Finanzierung von terroristischen Aktivitäten der Baskischen Nationalen Befreiungs-Bewegung (MLNV) schuldig, die von ETA kontrolliert wurde. “Die Herriko Tabernas stellen eine logistische Infrastruktur für Aktivitäten von Satelliten-Organisationen dar, die von der Militärabteilung von ETA kontrolliert wurde“, so im Wortlaut des Urteils. Dazu zählten u.a. die nach und nach verbotenen KAS/EKIN, die Jugendorganisationen Jarrai, Haika und Segi, Batasuna selbst und die Gefangenen-Hilfs-Organisation Gestoras Pro Amnistia. “Gleichzeitig dienten die Kneipen als Basis für die Lagerung und Verteilung von Material und Propaganda, die mit Sabotage-Aktivitäten in Verbindung standen“. An diesem Argument ist ein Teil Wahrheit zu finden, denn tatsächlich haben viele Herrikos die Funktion, die in Mitteleuropa von Infoläden ausgeübt werden: in den Volkskneipen gibt es linke Bücher, Anstecker, Aufkleber, Tshirts und allgemeine Information zum Ort. Kommunikationsräume also, lebenwichtig für eine so große und vielseitige Bewegung wie die baskische. Genau darauf war der Angriff gezielt, denn ETA hatte über Industriellen-Erpressung sicher zuverlässigere und umfangreichere Einnahmen als über die Herriko-Peseten.

 

Da die meisten der Verurteilten bereits bis zu vier Jahre in Untersuchungshaft saßen, ist zwar davon auszugehen, dass niemand erneut einfahren wird. Die kommunikative und wirtschaftliche Dimension des Urteils ist jedoch beunruhigend. Weil in der Gesetzgebung vorgesehen ist, dass Gegenstände, die zum Begehen von Straftaten benutzt werden – Autos, Schweißgeräte, Druckmaschinen, z.B. – zu Verhinderung weiterer Verbrechen beschlagnahmt werden können, sollen nun 111 Volkskneipen beschlagnahmt werden und in staatlichen Besitz übergehen. Nur ältere Semester werden sich an einen Fall in Deutschland erinnern, der als “Vorbeugehaft für Produktionsmittel“ in die Geschichte eingegangen ist, als im deutschen Herbst 1977 die Druckmaschine eines Betriebs in Stuttgart beschlagnahmt wurde, weil auf ihr Propaganda-Material der Rote Armee Fraktion (RAF) gedruckt worden sein soll.

 

Zurück zu den Herriko Tabernak, die dasselbe Schicksal erleiden sollen. Bei den HT handelt es sich oft nicht nur um einen Kneipenraum im Untergeschoß eines Gebäudes, oft sind es komplette mehrstöcke Häuser, die einst mit Spenden von vielen gekauft und renoviert wurden und die heute, nach 20 Jahren Preistreiberei auf dem allgemeinen baskischen Immobilienmarkt einen immensen Wert erhalten haben. Wenn von einem durchschnittlichen Marktwert von einer halben Million Euro ausgegangen wird, entspräche die beschlagnahmte Summe mehr als 50 Millionen – eine eher vorsichtige Schätzung.

 

Erst wer diese Gesichtspunkte mit in Betracht zieht, versteht die Stoßrichtung des Urteil wirklich. Bereits seit Langem ist der finanzielle Hebel ein wichtiges Instrument der staatlichen spanischen Repression, um die Bewegung auszubluten. So werden zum Beispiel für die vorübergehende Freilassung von Angeklagten Millionenbeträge als Kaution erpresst (“Fluchtgefahr“), über diesen Weg sind sicher noch einmal 50 Millionen in die Staatskassen geflossen, erneut vorsichtig geschätzt.

 

Beschlagnahmen haben in der jüngsten Geschichte des spanischen Staates eine große Tradition. Nach dem militärischen Sieg der Faschisten in den 30er Jahren gegen die demokratisch gewählte republikanische Regierung, wurden – wie auch in Nazi-Deutschland – alle politischen und sozialen Organisationen verboten, ihre Besitztümer wurden beschlagnahmt, Gebäude, Bibliotheken, Mitgliederlisten, Dokumentation. Organisation wie die anarchistische CNT oder die konservativ-baskische PNV, aber auch die baskische oder die katalanische Regierung haben lange Jahre geklagt, um nach dem Tod des Diktators, mit einer“demokratisch“ genannten Verfassung ihre historischen Besitztümer zurückzuerhalten. Bis heute sind nicht alle Begehrlichkeiten erfüllt. Im Fall der links-nationalistischen ANV, der ersten baskischen Organisation, die sozialistische Ideen und den Kampf um nationale Selbstbestimmung verband, hat der Staat seine totalitäre Tradition erneut bewiesen. Per Klage erhielt die ANV einen Teil ihrer Güter zurück, über das Parteiengesetz von 2002 wurde sie als “Batasuna-Satellit“ erneut illegalisiert und enteignet. Spanische Tradition von totalitär faschistisch zu totalitär demokratisch.

 

Mit 7 zu 6 Stimmen fiel das Urteil der Audiencia Nacional nur knapp aus, 5 der Gegenstimmen waren von formalen Argumenten geprägt. Nur eine Richterin wagte sich ans Eingemachte. In einer abweichenden Stellungnahme machte sie deutlich, dass sie keine ausreichende Beweislage sieht für ein solches Urteil, und dass in Abwesenheit von belastenden Indizien vielmehr die Unschuldsvermutung gelten müsse. Ihr weiteres Argument ist, dass Batasuna und die Vorgängerparteien zwar durch Beschluss des Obersten spanischen Gerichts (TS) für illegal, nie jedoch formal als “terroristisch“ erklärt wurden. Dieses Argument widerspricht dem “alles ist ETA“ und macht eine sozialdemokratische Differenzierung. “Selbst wenn ETA versucht hat, die baskische Linke zu kontrollieren, so heißt das nicht, dass sie es erreicht hat, bzw. dass die Verantwortlichen von Batasuna dies akzeptiert hätten“, so die Juristin weiter. Vielmehr verweist sie auf die – zeitlich später erfolgte – Formalisierung und Parteigründung der baskischen Linken (Sortu) unter Anerkennung der aktuellen Rechtslage und vor allem des Parteiengesetzes. Nach ihrer Auffassung spielt sich die Aktivität der neuen baskischen Partei im Bereich der verfassungsrechtlichen Grenzen ab –beachtliche Argumente für eine Juristin, die in einem postfrankistischen Ausbildungsbetrieb groß geworden ist, dessen Zügel die Altvorderen nie aus der Hand gegeben haben.

 

Nach einer Reihe von Urteilen in politischen Prozessen, die von der üblichen antibaskischen Linie oder von “alles ist ETA“ abwichen und sogar Folter zum Erhalt von Geständnissen thematisierten, war eine Reihe von renommierten juristischen Beobachtern unter dem Vorzeichen des Endes der bewaffneten Aktivitäten von ETA von einem Kurswechsel in der spanischen Justiz ausgegangen. So waren vor Kurzen 40 Jugendliche vom Vorwurf der Mitgliedschaft bei ETA freigesprochen worden. Vorher gab es in den Prozessen wegen Udalbiltza und Egunkaria ebenfalls überraschende Freisprüche. Dieser vermutete Richtungswechsel stellt sich nun als Illusion dar, erneut wird ohne Beweise und aufgrund von Hypothesen verurteilt, wiederholt gegen Otegi und die Bateragune-Leute, jetzt in der Frage der Herrikos. Politische Justiz ändert nicht von heute auf morgen ihre Fahrtrichtung. Wenn es ums Eingemachte geht, steht die Einheit Gewehr bei Fuß. Die Verurteilten gehen gegen das Urteil in Berufung.