Extrem rechts: Über den braunen Rand der Region

Erstveröffentlicht: 
21.07.2014

Der Mannheimer NPD-Erfolg hat für Wirbel gesorgt - dabei gibt es im gesamten Rhein-Neckar-Raum eine gut vernetzte Neonazi-Szene. - Von Kevin Hagen Die Warnungen kommen ganz plötzlich. Auf einmal kleben Eier am Auto. Anrufer schweigen bedrohlich in den Hörer. Da sind Beschimpfungen im Internet, massive Gewaltandrohungen - Nadelstiche, die zeigen sollen: Wir beobachten dich! Doch Stefan Seitz sagt: "Ich habe keine Angst." Seit Jahren kämpft der 41-Jährige in Sinsheim gegen Rechtsextreme. Der Grünen-Stadtrat hat ein "Bündnis für Toleranz" mitgegründet. Für die Nazis ist er ein Feindbild - das zeigen sie. Zum Gespräch kommt Seitz in ein Sinsheimer Café. Durch seinen Kinnbart ist er leicht zu erkennen. Für jeden. Aber Seitz setzt ein sicheres Lächeln auf. "Wir können uns nicht einfach verstecken."


Verstecken oder nicht verstecken - das ist ein großes Thema in Sinsheim, nachdem die Stadt im April eine Demonstration der rechtsextremen NPD einfach ignoriert hatte. Oberbürgermeister Jörg Albrecht forderte die Bürger auf, die Rollläden herunterzulassen. Dafür gab es Kritik - auch von Seitz. Der wiederum steht unter Beschuss, weil er Interna zu den Plänen weiter gegeben haben soll.

Hinter dem kommunalen Hin und Her steckt ein grundlegendes Problem: Im Rhein-Neckar-Raum gibt es seit Jahren eine der aktivsten Rechtsextremen-Szenen im Südwesten. Das ist nicht erst seit der Aufregung um den NPD-Mann Christian Hehl bekannt, der morgen erstmals im Mannheimer Gemeinderat Platz nimmt. 2013 zog zum Beispiel der NPD-Bundesparteitag in Weinheim ein bundesweites Echo nach sich. Doch während es in diesen Städten - wie in Heidelberg - zuletzt ruhig blieb, deutet vieles darauf hin, dass sich Sinsheim zu einer weiteren Hochburg der Rechtsextremen entwickelt. Immer wieder gab es hier in den vergangenen Jahren Demos, die so viele Teilnehmer anzogen und so ungestört abliefen, wie kaum eine Neonazi-Kundgebung in der Umgebung.

Die NPD Rhein-Neckar wird von der hier ansässigen Kameradschaft Freie Nationalisten Kraichgau unterstützt. Der Chef der Partei in der Region kürte Sinsheim zur "Hauptstadt des Kreisverbandes". Bei der Bundestagswahl holte die NPD 2,5 Prozent der Stimmen - so viel wie in keiner der größeren Städte im Kreis.
Regionale Verschiebungen gehören zur Umbruchphase der rechten Szene. Eine Szene, deren Ruf weit über die Grenzen der Metropolregion hinaus geht. "Hier gibt es Leute, die Kontakte bis nach Ungarn oder Schweden haben", sagt ein gut informierter Beobachter.

Lange liefen die Fäden in Ludwigshafen zusammen. Hier arbeitet der einflussreiche Europachef der Hammerá †skins, einer als brutal geltenden Nazi-Bruderschaft. Daneben ist ein Netz aus Parteikadern, Kameradschaften und Skinheads entstanden. Zentral war das Aktionsbüro Rhein-Neckar (ABRN), ein Forum, über das Aktionen rechtsextremer Gruppen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen koordiniert wurden - Demos, Konzerte, Treffen. Auch wurden wohl Gewalttaten vom Drei-Länder-Eck aus gesteuert. Von Schießtrainings in der Schweiz ist die Rede; 2009 verwüsteten Neonazis den US-Shop in Mannheim. Medienberichtete über Verbindungen zum Ludwigshafener Wohnhausbrand von 2008 bleiben unbestätigt. Doch zumindest das ABRN hat an Einfluss verloren. "Es war einmal in der Lage, Großveranstaltungen mit 700 Menschen auf die Beine zu stellen, heute hat die Bedeutung abgenommen", heißt es beim Verfassungsschutz in Stuttgart.

Der Grund: Die Szene spaltet sich auf. Das Spektrum ist ohnehin groß. Es reicht von Anzugträgern zu Schlägern. Von Hitler-Verehrern zu Freizeit-Nazis. Von straffen Strukturen zu losen Freundeskreisen. Es zeigt sich, dass die Unterschiede, Streit und die NSU-Ermittlungen zu weiteren Spannungen führen.
Zuletzt krachte es in der NPD Rheinland-Pfalz. Dort spaltete sich im Herbst eine Gruppe ab, die darauf in Heidelberg den III. Weg. gründete - eine Partei, die sich laut Verfassungsschutz an der rassistischen Weltanschauung der Nationalsozialisten orientiert. Offensichtlich haben sich auch führende Köpfe des ABRN, die Kontakte zur NPD hielten, dem III. Weg zugewandt. Noch ist schwer abzusehen, ob all das die Szene schwächt.

Der NPD Kreisverband Rhein-Neckar hat die Querelen unbeschadet überstanden. Bei der Kommunalwahl in Mannheim landete man mit dem vorbestraften Neonazi Hehl einen Coup. Dennoch: viele Radikale sehen Parteien skeptisch - besonders die Militanten. Und gerade die machen den Behörden Sorgen. Zwar ist in Baden-Württemberg die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremen Hintergrund 2013 zurückgegangen. Beim Verfassungsschutz warnt man trotzdem: "Die Bereitschaft in der Szene aktiv Gewalt anzuwenden, ist nach wie vor groß."

Ob das auch zum Terrorismus reicht, darüber schweigen die Behörden. Im Land soll eine Enquete-Kommission Verbindungen zum NSU-Trio untersuchen. Der Rhein-Neckar-Raum spielte in der Debatte kaum eine große Rolle. Ein Fehler?

Mannheim, Innenstadt. Zwei Frauen mit Kopftuch schlendern eine Straße entlang, etwas weiter spielen Kinder. Hier soll es Anfang der 2000er eine WG gegeben haben. Bekannte Rechtsextreme lebten dort, schreibt der Stern unter Berufung auf Verfassungsschutz-Akten - mit einer Frau, die damals noch Nicole Schäfer hieß. Mittlerweile trägt sie den Namen Schneiders und verteidigt Ralf Wohlleben im NSU-Prozess - den Mann, der dem Mord-Trio um Beate Zschäpe die Tatwaffe beschafft haben soll. Schneiders kam 2002 zum Jura-Studium nach Mannheim - und fand wohl schnell Anschluss. Im ABRN-Forum gab eine Nicole juristische Tipps gab. Die Webseite soll von Ralf Wohlleben selbst gestaltet worden sein. Hinweise auf eine Beteiligung von Rechtsextremen aus der Region an der Mord-Serie gibt es jedoch nicht.

Unterdessen geht in Sinsheim die Debatte weiter, was man gegen den braunen Mob tun könnte. Oberbürgermeister Albrecht ist etwas ratlos am Telefon. "Ich kann mir nicht erklären, warum es so schwer ist, gegen die zu mobilisieren", sagt er. Deshalb könne er sich die Ignoranz-Strategie auch künftig vorstellen. "Wir nehmen das Thema sehr ernst." Darin immerhin sind sich alle einig.