„Gezieltes Vorgehen der Polizei gegen Antifas“

Repression und Solidarität: das Beispiel Burg.

In Sachsen-Anhalt wird gegen linke Politik weiterhin mit harten Strafen gekontert: Wer dort aktiv ist, erlebt eine Polizeikampagne, die der Kriminalisierung des Antifaschismus dient. Enrico Auerbach sprach für leipzig.antifa.de erneut mit eine_r Genoss_in der Antifaschistischen Aktion Burg über die zugespitze Situation und die Bedeutung der Solidarität.

 

Wir haben Anfang März schon einmal gesprochen, kurz vor einem Prozess am Amtsgericht Magdeburg gegen einen Antifaschisten aus Burg. Er stand vor Gericht, weil er sich an Aktionen gegen einen Naziaufmarsch im Januar 2012 beteiligt haben soll. Wie ist das Verfahren ausgegangen?

 

Der Angeklagte wurde zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Erstaunlich war, dass das Gericht damit noch über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus ging. Die Härte war aber auch abzusehen: Alle vorangegangenen Verfahren gegen Antifaschist_innen aus Burg im Zusammenhang mit dem Anti-Nazi-Protest in Magdeburg 2012 endeten mit Bewährungs- und sogar Haftstrafen.

 

Das Gericht machte mit dem neuen Urteil deutlich, dass antifaschistischer Widerstand in Sachsen-Anhalt unerwünscht ist. Damit folgte man der Linie der Polizei, die nicht nur mit Einsatzkräften das Gerichtsgebäude absicherte, sondern zwei Stunden vor Prozessbeginn an der Wohnung des Angeklagten aufkreuzte, um ihn zu suchen und zum Amtsgericht zu bringen.

 

Gegen das Urteil wurden Rechtsmittel eingelegt. Vor dem Landgericht in Magdeburg wird das Verfahren voraussichtlich an zwei Verhandlungstagen noch in diesem Monat fortgeführt.

 

Man erzählt sich, dass zu den Belastungszeugen in fast allen geführten Verfahren Zivilbeamte und einmal mehr auch BFE-Polizisten aus Leipzig gehören. Was haben die denn bitte beizutragen?

 

Alle Ermittlungsverfahren gegen Antifas aus Burg, die im Januar 2012 in Magdeburg festgenommen wurden, stützen sich auf die Aussagen von Polizisten. Auffällig ist, dass die Polizei bekanntlich alle antifaschistischen Aktionen akribisch abfilmt. Aber in den Verfahren gibt es keine Foto- und Videoaufzeichnungen der Betroffenen, die irgendeinen der Tatvorwürfe belegen würden.

 

Im aktuellen Verfahren stützt sich die Anklage hauptsächlich auf die Aussage eines Zivilpolizisten. Der will eine Gruppe schwarz gekleideter Personen in Magdeburg beobachtet haben. Der Zivilpolizist hatte im Einsatz eine Leipziger BFE-Einheit angefordert, offenbar um die ominöse Gruppe zu stellen. Auch diese Beamten haben belastende Angaben gemacht.

 

Gibt es noch weitere offene Verfahren gegen Antifas aus Burg?

 

Weitere Verhandlungstermine gegen Antifaschist_innen aus Burg gibt es nicht. Allerdings wissen wir, dass es mehr als 20 offene Ermittlungsverfahren gibt, die bisher weder zur Anklage gebracht und verhandelt, noch eingestellt wurden. Diese Verfahren stehen zum Teil im Zusammenhang mit Demonstrationen. Außerdem geht es um einen angeblichen „Farbangiff“ auf das Polizeirevier in Burg, weshalb es bereits mehrere Hausdurchsuchungen gab.

 

Die weitaus meisten Verfahren gehen allerdings auf den Vorwurf zurück, dass die Beschuldigten irgendwelche Faschisten angegriffen haben sollen. Hierzu wurden etlichen Antifas in den vergangenen Monaten überraschend Strafbefehle zugeschickt mit der Aufforderung, jeweils mehrere hundert Euro Strafe zu zahlen oder ersatzweise eine Haftstrafe anzutreten – ganz ohne Prozess!

 

Was denkt ihr, woher diese Linie kommt, reihenweise Antifas mit Ermittlungsverfahren zu überziehen? Es fallen ja zwei Dinge auf: Erstens geht es fast immer um die Unterstellung, sich gegen Nazis gewehrt zu haben. Und zweitens scheint es häufig Genoss_innen aus Burg zu treffen.

 

Was die Ermittlungen zu den Anti-Nazi-Aktionen in Magdeburg 2012 angeht, ist ein gezieltes Vorgehen der Polizei gegen Antifas in Burg anzunehmen. Wenn man die drastischen Urteile bedenkt, die nachgefolgt sind, dient das Vorgehen offensichtlich der Abschreckung.

 

Wenn man nach Gründen sucht, muss man etwas zurückspulen. Wir hatten damals gemeinsam mit der DKP Sachsen-Anhalt bundesweit gegen den Naziaufmarsch in Magdeburg mobilisiert. Das hatte zur Folge, dass sich im Vergleich zu den Vorjahren vor Ort weit mehr Menschen an den Gegenaktionen beteiligt haben und dabei auch entschlossen vorgegangen sind. Das machte die Polizeistrategie zunichte, den Aufmarsch möglichst ungestört durchzuschleusen.

 

Bei weiteren Ermittlungsverfahren zu angeblichen Angriffen auf Nazis in Burg spielt übrigens eine Rolle, dass die dortigen Faschisten dazu übergegangen sind, ihnen bekannte Antifas willkürlich anzuzeigen. Die Nazis reichen einen Strohhalm – und die Ermittlungsbehörden greifen begierig danach.

 

Laut verschiedenen Berichten kam es nach dem Gerichtsurteil im März zu einer Farbbeutel-Attacke auf die CDU-Landeszentrale in Sachsen-Anhalt. Grundsätzlich gefragt: Ist das ein geeignetes Mittel des Protests gegen Repression oder nicht eher eine Legitimation für ein künftig noch härteres Vorgehen der Behörden?

 

Die Frage, ob die farbliche Umgestaltung der CDU-Landeszentrale ein geeignetes Mittel gegen Repression war, kann man so leicht nicht beantworten. Es ist ja klar, dass sich dadurch nichts an dem Urteil gegen den Genossen und nichts an der Law-and-Order-Politik der CDU ändert. Das wird wohl auch den Farbexperten bewusst gewesen sein.

 

Man kann aber auch nicht sagen, dass es die Falschen getroffen hätte. Das zeigt die Reaktion der CDU mit ihrer Panik-Kampagne gegen „Linksextremismus“. Sie hat das Thema unter anderem im Innenausschuss des sachsen-anhaltischen Landtages groß aufgezogen.

 

Grundsätzlich ist Protest gegen staatliche Repression dazu da, um deutlich zu machen, dass die Betroffenen nicht alleine sind. Das ist ein wichtiges Zeichen. Vom konkreten Zusammenhang einmal abgesehen ist die Schaffung von Solidarität eine der wichtigsten Aufgaben der linken Bewegung. Ohne Solidarität kann der Kampf gegen den bürgerlichen Staat und das kapitalistische System nicht gelingen.

 

Ihr habt zum 18. März, bekanntlich der Kampftag der politischen Gefangenen, eine Kundgebung vor dem Gefängnis in Burg organisiert. Was war der Grund für die Aktion?

 

Wir haben schon im Oktober 2013 vor dem Burger Polizeirevier eine Kundgebung veranstaltet, um staatliche Repression gegen linke Strukturen zu thematisieren. Direkt im Anschluss gab es eine Kundgebung vor dem Knast in Burg, natürlich auch, um uns mit unseren inhaftierten Genoss_innen zu solidarisieren.

 

Weil damals technische Probleme zu einem vorzeitigen Ende der Kundgebung führten, haben wir uns für eine Wiederholung am 18. März dieses Jahres entschlossen. Dabei ging es erneut um die Solidarität mit den politischen Gefangenen. Und natürlich wollten wir unsere inhaftieren Genoss_innen grüßen, die dort unter anderem wegen der Antifa-Aktionen in Magdeburg 2012 einsitzen.

 

Im Mai haben sich außerdem 23 Gefangene der JVA Burg einer Solidaritätserklärung zum aktuellen Verfahren gegen die so genannten “Revolutionären Aktionszellen” (RAZ) angeschlossen. So viel man weiß, hat das RAZ-Verfahren mit der gegen die Antifa Burg betriebenen Repression nichts zu tun. Befürchtet ihr denn nicht, dass ihr euch damit selbst in eine angeblich „kriminelle“ Ecke gesellt, in die man euch drängen will?

 

Gerade das aktuelle RAZ-Verfahren zeigt, mit welchem Verfolgungseifer der Staat gegen linke Strukturen vorgeht, die sich wagen, gegen das kapitalistische System und seine miserablen Lebensbedingungen aufzubegehren. Von solchen miesen Bedingungen sind erst recht viele Menschen in den Knästen betroffen. Deswegen freut es uns, dass sich relativ viele der in Burg einsitzenden Menschen dazu entschlossen haben, ihre Solidarität mit den RAZ-Beschuldigten zu bekunden.

 

Ja, den RAZ-Beschuldigten wird vorgeworfen, eine „kriminelle Vereinigung“ gebildet zu haben. Wenn man sich wegen so einer Behauptung von Staatsschutz und Staatsanwalt nicht solidarisiert und gar distanziert, verhilft man der Repression zu ihrem eigentlichen Ziel – nämlich zur Spaltung und damit zur Unschädlichmachung linker Politik.

 

Deshalb ist es weiterhin wichtig, eine breite Solidarität mit den Beschuldigten zu organisieren und damit deutlich zu machen, dass der Kampf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung nicht kriminell, sondern gerecht und notwendig ist.

 

Niemand Geringeres als Bernd Langer hat für euch ein Solidaritäts-Plakat gestaltet. Seid ihr zufrieden mit der Solidarität, die ihr erlebt?

 

Als ihr uns im März interviewt habt, waren wir pessimistisch. Zu der Zeit mussten wir vieles eigenständig bewältigen. Aber seitdem hat sich zum Glück die Situation positiv entwickelt. Unter anderem durch die Plakat-Aktion ist es gelungen, viele Menschen auf die zugespitzte Situation in Burg aufmerksam zu machen und sie zu motivieren, uns zu unterstützen. Darüber freuen wir uns sehr. Es gab finanziellen Support aus Städten wie Erfurt, Rostock, Oldenburg und Hamburg, für den wir sehr dankbar sind.

 

Unsere Situation bestätigt übrigens die Erfahrungen aus anderen Orten, wo auch gegen Repression gekämpft werden muss: Antirepressionsarbeit frisst viele Ressourcen, vor allem Geld. Das bereitet uns weiter Probleme, denn hier hat sich ein hoher vierstelliger Betrag aufgetürmt, den wir nicht selbst tragen können. Deshalb sind wir weiter auf Spenden und Soliaktionen angewiesen.

 

Aus Burg hört man auch sonst nicht viel Gutes: In der Kleinstadt werden jetzt Überwachungskameras im öffentlichen Raum montiert. Die Polizei hat eine Infoveranstaltung zum Roten Frontkämpfer-Bund (RFB) gesprengt. Es gab erneut Anquatschversuche. Und als eine russische Delegation zu einer Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal einlud, hat die Polizei den Antifas die Teilnahme verwehrt. Wie ordnet ihr diese Zuspitzung ein?

 

Dass jetzt in einer gerade mal 23.000 Einwohner zählenden Stadt durch die Polizei ein aufwändiges Kamerasystem installiert wurde, das einen Großteil der Innenstadt aufzeichnen soll, zeigt zunächst eins: „Unsere“ Polizei mit Dietmar Schellbach an der Spitze leidet an einem fortgeschrittenen Realitätsverlust.

 

Schellbach wurde im Juni 2011 Leiter des Polizeireviers in Burg und hat es sich zur Hauptaufgabe gemacht, gegen „politisch-motivierte Kriminalität“ vorzugehen. Die bisherige Bilanz zeigt, unter welchem Vorzeichen hier agiert wird: Eine Reihe brutaler Naziangriffe wurde überhaupt nicht aufgeklärt. Die Leute, die stattdessen kriminalisiert werden, sind auffälligerweise auch die, die es sich wagen, Schellbach für sein Vorgehen zu kritisieren. Der Mann folgt offenbar einer persönlichen Mission. Vielleicht ist sie ja selbst „politisch motiviert“.

 

Anders lassen sich die Ereignisse rund um unsere RFB-Veranstaltung nicht erklären, die von der Polizei völlig grundlos attackiert wurde. Das war kurz nachdem wir eine Pressemitteilung veröffentlicht hatten, die Schellbachs Absetzung fordert. Daraufhin gingen Schellbachs Beamte zu den Verantwortlichen der Räume, in denen die Veranstaltung stattfinden sollte. Die Polizisten übten Druck aus, um eine Absage der Veranstaltung zu erreichen

 

Als das nicht gelang, kam kurz nach Veranstaltungsbeginn eine Polizeieinheit zum Veranstaltungsort, nahm Personalien von Anwesenden auf und erteilte Platzverweise. Das ist eine effektive Art, eine friedliche Veranstaltung zu unterbinden. Allerdings keine rechtsstaatliche.

 

Es bleibt die Frage, wie es bei euch weiter geht: Ist es möglich, unter den Bedingungen einer zunehmenden Kriminalisierung linker Politik kontinuierlich aktiv zu sein?

 

Wir erleben seit mehr als zwei Jahren eine Zuspitzung der Repression in Burg. Aber das, was wir eben erzählt haben, betrifft nur das Geschehen in den letzten Wochen. Dass die Repression bis heute eine Kontinuität hat, zeigt zumindest auch, dass die politische Arbeit hier keineswegs zusammengebrochen ist.

 

Dass man hier mit Hausdurchsuchungen, Gerichtsverfahren und völlig überzogenen Polizeiaufgeboten bei legalen Veranstaltungen rechnen, also von einer Kriminalisierung ausgehen muss, erhöht aber den Aufwand politischer Arbeit. Vor allem braucht vieles mehr Zeit und viel mehr Durchhaltevermögen.

 

Wir haben dieses Durchhaltevermögen, weil die Situation auch dazu geführt hat, dass sich das Bewusstsein unserer Genoss_innen schärft. Wer hier politisch aktiv ist, dem ist durchweg klar, dass die politischen und auch persönlichen Zusammenhänge in den vergangenen Jahren intensiv überwacht und durchleuchtet worden sind und auch künftig damit zu rechnen ist.

 

Das hat natürlich Auswirkungen. Zum Beispiel auf die Möglichkeiten des antifaschistischen Selbstschutzes, der gerade hier im ländlichen Raum zwingend nötig ist, um überhaupt linke Politik betreiben zu können.

 

Euer CDU-Innenminister Holger Stahlknecht hat zwar gegen den Willen seiner Fraktion eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten im Streifendienst eingeführt, gilt aber ansonsten als Hardliner. Befürchtet ihr nicht, dass am Ende der aktuellen Zuspitzung ein weiteres Verfahren nach §129 oder ein Verbot nach dem Vereinsgesetz steht?

 

Wenn wir eins gelernt haben, dann ist es, sich nicht verrückt zu machen. Wir müssen in der Lage bleiben, uns mit dem, was uns trifft und noch künftig auf uns zukommen könnte, aktiv auseinanderzusetzen. Spekulieren hilft dabei nicht. Wenn sich die Behörden nämlich in den Kopf setzen sollten, beispielsweise wegen §129 ermitteln zu wollen, können wir das sowieso nicht abwenden. Und faktisch behandelt man Antifaschismus hier bereits als „kriminelle Vereinigung“.

 

Was wir aber tun können, ist, uns vor Repression zu schützen. Das kann jede und jeder: Nicht am Telefon quatschen, keine Aussagen machen, jede Zusammenarbeit mit den Repressionsorganen verweigern und sich auf künftige Hausdurchsuchungen einstellen.