// Der Betriebsrat bei Amazon in Brieselang wurde gewählt. Die Liste der Gewerkschaft bekam die meisten Stimmen. //
"Wir dachten, dass wir vielleicht zwei Sitze bekommen würden", sagt ein Gewerkschafter aus dem Amazon-Versandszentrum in Brieselang bei Berlin. Am Dienstag wurde ein neuer Betriebsrat gewählt. Auf der Liste der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, "Gemeinsam sind wir stark", traten lediglich fünf Kollegen an. Leichtes Spiel hatte ver.di nicht, obwohl sie vor dem Werkstor viele Flugblätter auf Deutsch, Englisch, Polnisch und Spanisch verteilte und Gespräche mit den KollegInnen führte.
Am Dienstagabend kam das Ergebnis: Mit 122 hatte ver.di die meisten Stimmen bekommen und wird vier von dreizehn Mitgliedern im neuen Betriebsrat stellen. "Das war eine große Überraschung", so der Arbeiter, der anonym bleiben möchte. Fast hätte ver.di ein Problem wie die Piratenpartei im Jahr 2011 bei der Berlin-Wahl bekommen: Sie gewann in den Bezirken teilweise mehr Sitze als sie KandidatInnen aufgestellt hatte. Eine zweite, ver.di-nahe Liste bekam zwei Sitze.
Insgesamt sind acht verschiedene Listen waren zur Wahl angetreten, und es es ist nicht einfach zu sagen, wofür jede einzelne steht – manche trugen aussagearme Namen wie "Lucky Luke" oder "Avengers". Zumindest einige gelten als sehr unternehmensnah. Im letzten Jahr hatte Amazon ein sogenanntes "Mitarbeiterforum" ins Leben gerufen, das kritische KollegInnen einen "Scheinbetriebsrat" nannten.
Einige Mitglieder dieses Forums, die das Unternehmen freigestellt hatte, sind mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, einen "loyalen" Betriebsrat zu bilden. Diese loyale Liste erhielt drei Sitze. Zwei weitere Listen sind mit drei beziehungsweise einem Sitz ebenfalls vertreten. So ist nicht ganz klar, wie die Mehrheit bei der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats am Montag aussehen wird. "Wir sind dabei, eine solide Mehrheit zu bilden", so ver.di-Sekrektär Uwe Diedrich aus Potsdam, "für einen Betriebsrat, der diesen Namen verdient."
Das Ergebnis ist ein herber Schlag für den Onlinehändler, der Gespräche über einen Tarifvertrag verweigert und seit einem Jahr von Arbeitskämpfen betroffen ist. Der US-amerikanische Konzern argumentiert stets, dass die Belegschaft keinen Tarifvertrag braucht. Im Vorfeld des 1. Mai hatte die Geschäftsführung Plakate aufgehängt, in dem sie behauptete, dass viele Forderungen des 1. Mai schon vom Amazon erfüllt wären – so liegt das Einstiegsgehalt bei 9,55 Euro und damit über den zukünftigen Mindestlohn. Doch ein Tarifvertrag fehlt weiterhin.
"Der Manager sagt, dass in Brieselang alles gut läuft, aber das Ergebnis zeigt, dass das nicht so ist." sagte der anonyme Mitarbeiter. "Die Leute sind nicht zufrieden." Über die Arbeitsbedingungen in Brieselang hatte dieser Autor ausführlich berichtet. Zu den aktuellen Beschwerden gehören die hohen Temperaturen in der Lagerhalle. Im Gegensatz zu anderen Standorten gibt es in Brieselang keine Klimaanlage.
Weiterhin fordert die Gewerkschaft "Entfristungen nach fairen Kriterien", so Diedrich, denn ein Dreivierteljahr nach der Eröffnung des neuen Versandzentrum hat die Mehrheit der Belegschaft befristete Verträge. Genauso geht es um "ausgewogene Arbeitszeiten" und ein Ende der sogenannten "Feedback-Gespräche", bei denen – aus Sicht der KritikerInnen – der Arbeitsdruck erhöht wird. Mit welchen Themen der neue Betriebsrat seine Tätigkeit beginnen wird, wird sich am Montag zeigen.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
Eine kürzere Version des Artikels erschien im Neuen Deutschland am 20. Juni