Nazi-Attacke in Ballstädt: Ein Zeugenbericht

Ein Dorf unter Polizeischutz: Seit dem Überfall mit 17 Verletzten in der Nacht zum 9. Februar ist die Polizei täglich in Ballstädt präsent.
Erstveröffentlicht: 
28.02.2014

Der Landtag hat sich mit dem Überfall von vermummten Rechtsex­tremen auf eine Kirmesfeier in Ballstädt befasst. Unter denen, die genau zugehört haben war ein junger Mann, der in jener Nacht dabei war. Der TLZ erzählte er, wie er das Geschehen erlebte.

 

Ballstädt. Er habe mit einem Bekannten im Vorraum des kleinen Saals des Bürgerhauses gestanden, in dem etwa 20 junge Leute nach Mitternacht noch zusammen saßen. Gerade rauchte der junge Mann eine Zigarette, als ein "sehr großer Mensch, schwarz gekleidet, mit Kapuzenpulli und einer Skelettmaske an uns vorbeilief". Im Glauben, es handele sich um eine Art Auftritt zur Feier, den er nicht verpassen wollte, ging er zur Kirmesgesellschaft zurück. "Der Mensch lief relativ schnell und zielstrebig auf einen von der Kirmesgesellschaft zu und sagte ihm scheinbar etwas ins Ohr." Unmittelbar danach schlug er zu. Daraufhin gingen die Leute im Saal sofort auf den Vermummten zu, der sich "relativ schnell herausdrängen ließ".

Der Mann ging die Saaltür hinaus, wo der Zeuge etwa vier bis fünf Maskierte sah, die schnell um die Ecke kamen. "Ich habe den Mädchen nur noch gesagt: Lauft!". Mit ihnen lief er eine Treppe hinunter. Die Mädchen hätten im Dunkeln Panik bekommen. Eine von ihnen, deren Freund oben im Saal war, versuchte er zu beruhigen. Ein Freund rief per Handy die Polizei. "Ich habe nur noch gehört, wie es oben rumorte, wie Scheiben zu Bruch gingen." Das Ganze habe "gefühlte zehn Minuten" gedauert. In Wirklichkeit seien "etwa zwei bis drei Minuten vergangen", schilderte der Zeuge. Wieder im Saal, sah er einen stark blutenden Jugendlichen. Dann sei auch schon die Feuerwehr gekommen. "Das war der Moment als ich mir sagte, es ist vorbei." Der Saal habe "wie ein Schlachtfeld" ausgesehen. Feuerwehrleute aus Ballstädt hätten sich um die Verletzten gekümmert. Ein junger Mann von der Kirmesgesellschaft sei in Windeseile nach Hause, habe sich seine Feuerwehrhose übergezogen und wäre sofort als Helfer wiedergekommen. Das fand er sehr beeindruckend, so der Zeuge.

 

Dann seien zwei Polizeibeamte gekommen, "die zunächst ein wenig planlos waren", bis sie die Kirmesgesellschaft schließlich in Zeugen und Verletzte teilten. "Bis gegen 5 Uhr, bis die Kripo alle vernommen hatte, haben wir noch zusammen gesessen", so der Zeuge. Was er hörte: Vor dem gelben Haus in Ballstädt hätten an jenem Abend mehrere Fahrzeuge geparkt. Und: Die von den Vermummten Verprügelten hätten sich nicht wehren können, weil alles sehr schnell ging: "Die bekamen rechts und links eine ab, dann wurde es schon schwarz und sie verloren das Bewusstsein." Von den Vermummten habe wahrscheinlich keiner was abgekriegt, vermutet der Zeuge.

Wie denkt er heute über den Überfall?


Der habe Ballstädt getroffen, meint er. Insbesondere der Bürgersaal, bislang Zentrum für viele gemeinsame Feste oder Familienfeiern, werde nun wahrscheinlich zu einem "Problem". Die Kirmesgesellschaft überlege bereits, ob sie dieses Jahr dort noch Kirmes feiert. Und sicher würden sich auch andere Leute überlegen, ob sie wieder hinein gehen. "Das sah schon alles sehr geplant aus." Die Vermummten hätten wahrscheinlich bewusst darauf gewartet, eine kleine Runde von Leuten anzutreffen, damit sie als Überlegene wieder herauskommen.

Enttäuscht ist der Zeuge über die Haltung des Landkreises. "Aus dem Landratsamt hätte sofort ein klares Hilfsangebot für Ballstädt kommen müssen", sagte er. Zwar seien am vergangenen Sonntag Abgeordnete beim Friedensgebet in der Ballstädter Kirche gewesen, doch gut hätte er gefunden, "wenn sich auch der Landrat mal hätte blicken lassen, um zu sehen, was in seinem Kreis passiert".

Natürlich müssten jetzt auch Konsequenzen getroffen werden. Es könne doch nicht sein, dass bei einer Massenschlägerei wie dieser letztlich "die Feuerwehr die Verletzten ins Krankenhaus fährt", meint er. Es müsste doch in einem solchen Fall für genug Rettungswagen gesorgt werden. Der Überfall habe viele Menschen sensibilisiert, so der Zeuge. Er hat sich mit zwei Bürgermeistern unterhalten, von denen einer selbst bereits Opfer einer rechtsextremen Attacke gewesen sei. Die hätten ihm gesagt, dass sie jetzt noch stärker als bisher darauf achten wollen, wer in ihren Dörfern leerstehende Häuser kauft.

Und, merkt der Zeuge noch an: Das Land Thüringen müsse künftig mehr Geld für solche Angebote wie die Mobile Beratung in Thüringen Für Demokratie - Gegen Rechtsextremismus, kurz Mobit, zur Verfügung stellen.

Mobit habe lange Zeit in Gotha ein Büro geführt, bevor die Mittel dafür nicht mehr reichten und die Beratung nach Erfurt abwanderte. In Gotha würden die Berater dringend gebraucht

 


 

Jetzt genau hinhören: Ein Kommentar zum Zeugenbericht aus Ballstädt

 

Über die Rolle der Zeugen und Opfer des Überfalls von Rechtsextremen auf Mitglieder der Kirmesgesellschaft Ballstädt schreibt Rita Specht in einem Kommentar der Thüringischen Landeszeitung.

 

Jeder, der im Kreis politische Verantwortung trägt, sollte jetzt genau hinhören, was ihm Menschen zu sagen haben, die den Überfall in Ballstädt miterlebten. Es waren vor allem junge Leute, die in jener Nacht hemmungslos verprügelt wurden. Wie derzeit Verantwortliche für die Sicherheit der Bürger mit ihnen umgehen, ob sie ihnen etwas zu sagen haben oder ob sie schweigen und warten, bis sich die Lage wieder beruhigt hat, das werden diese jungen Leute sehr genau registrieren. Sie brauchen nicht nur Zuwendung, sie haben auch Antworten auf brennende Fragen.