Erri De Luca - Interview mit controlacrisi.org 30.05.2014

 "Als Schriftsteller angezeigt zu werden, weil ich öffentlich meine Meinung kund getan habe, stellt für mich eine Anerkennung dar, eine Art Literaturpreis. Es handelt sich um ein Verfahren, das die Richtigkeit von meinen Überzeugungen bekräftigt". Interview mit Erri De Luca 30.05.2014

 

Am 5. Juni wird das Vorverfahren zum Prozess wegen Anstiftung zur Sabotage in Zusammenhang mit der TAV-Frage eröffnet, über die wir uns schon mal miteinander gesprochen hatten. Vor Kurzem hast Du zum Thema erklärt: Wenn sie mich wegen Anstiftung zur Gewalt verurteilen, werde ich nicht in Berufung gehen. Sollte ich im Knast sitzen müssen, weil ich eine Meinung geäußert habe, werde ich es tun". Bis zum 5. Juni sind es nur noch wenige Tage... Was kannst Du bzw. willst Du dem noch hinzufügen?

 

Die Piazza [die Straße als Ort der Austragung politischer Auseinandersetzung, d. Ü.] ist ebenso die Stätte der Demokratie, wie es eine Assemblea [Versammlung, d. Ü.] ist. Das Recht, zu demonstrieren ist nicht widerruflich und auch nicht verhandelbar. Bei uns fängt man wieder an, die Repression von Massenbewegungen zu praktizieren, die der Verschwendung öffentlichen Geldes in die Quere kommen. Oppsition wird von dem Geflecht von Politik und Geschäften, von manipulierten Auftragsvergaben und Aufblähungen von Kosten nicht geduldet. Hierher kommt die Repression, die eine Polizei, Staatsanwaltschaft und Gefängnis vereinheitlichende Befehlskette aufweist. Zum ersten Mal seit den 70er und 80er Jahren hat sich diese repressive Maschinerie zum Zweck der Repression der No Tav Bewegung konstituiert. Der Unterschied ist, dass in jenen Jahren eine intellektuelle und künstlerische Schicht offen und militant auf Seiten der öffentlichen Kämpfe Stellung bezog, während sie heute regungslos ist wie ein Tiefkühlprodukt.

 

 In Italien herrscht Repression, den Dissens will man mundtot machen. Das zeigt, was Dir widerfahren ist und das bestätigt, was mit den Bewegungen für das Recht auf Wohnen geschieht: die Verhaftungen von Frontgestalten, die seit dem 22. Mai im Hausarrest sind, bestätigen nur diese Praxis, die jede Opposition zum Schweigen bringen will. Bleibt die Piazza die einzige Protestform, um den Kämpfen der Bürger Ausdruck zu verleihen?


Es ist nicht die Piazza, die auf meiner Seite ist. Ich bin es vielmehr, der auf der Seite mancher guten Piazza und ihrer Gründe ist. Die spontane Unterstützung vom 4. Juni geht an den Kampf des Susa Tals, in dessen Rahmen meine Inkriminierung eine kleine Episode darstellt, die aber nützlich ist, um den Grad der Unnachgiebigkeit der geschäftlichen Maschinerie zu belegen, die das öffentliche Leben bestimmt.

 

Wir befinden uns in einer Phase, in der sich für die Linke - hoffen wir auch für die italienische  - ein Hoffnungsschimmer erahnen lässt. Die Überwindung der Hürde durch die Tsipras-Liste und deren Einzug in das EU-Parlament macht den Willen eines Teils der italienischen Linken deutlich, sich auf eine Einheit hinzuzubewegen. Es handelt sich um eine Wegstrecke, die bis heute nicht praktikabel war. Wie beurteilst Du diese politische Phase, der Spaltung von SEL zum Trotz, von der bereits die Rede ist?

  

 
Zunächst einmal freut es mich, dass die Italiener unsondierbar geworden sind und bei Meinungsumfragen lügen. Dieses Instrument, das die Politik ersetzt, die Meinungsforschung eben, gehört sabotiert. Die Europawahlen bedeuten nicht sonderlich viel, sie beziehen die lokalen Interessen nicht ein, die die meisten Stimmenpakete begründen. Darüber hinaus interessiert mich mehr die Disartikulation der Rechten als das, was in der Linken passiert.

 

 

  

 

http://www.controlacrisi.org/notizia/Conoscenza/2014/5/30/40920-erri-de-luca-il-sostegno-spontaneo-contro-la-mia/