NPD-Verbotsdebatte
Bayern provoziert CDU-Protest
Von Philipp Wittrock
Kurz vor der Wahl bringt Bayern die anderen Unionsländer gegen sich auf. CSU-Innenminister Herrmann fordert einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot, setzt auf die Hilfe von SPD-Kollegen - die sich über den unverhofften Vorstoß aus dem Süden freuen. In der CDU dagegen schüttelt man den Kopf.
Berlin - Musste das sein? Dieser Gedanke schoss an diesem Donnerstag manchem CDU-Politiker bei der Lektüre der "Süddeutschen Zeitung" durch den Kopf. "Bayern will die NPD verbieten lassen", schlagzeilte sie auf der Titelseite. In einem Interview kündigte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann an, er wolle "bis zum Sommer 2010 ein Klagekonzept ausarbeiten und die anderen Bundesländer davon überzeugen, dass sie sich uns anschließen".
Ausdrücklich erklärte der CSU-Politiker da, dass er dafür mit den SPD-Amtskollegen zusammenarbeiten will. In der Union, das sagte Herrmann auch, müsse man "notfalls eine klare Debatte führen, auch mit Wolfgang Schäuble".
Herrmann war bewusst, dass er mit seinen Einlassungen umgehend eine Debatte lostreten würde. Zwar sind die bayerischen Ambitionen in Sachen NPD-Verbot nicht ganz neu. Vor allem seit dem noch immer ungeklärten Messerattentat auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl im Dezember 2008, bei dem die Ermittler einen rechtsextremen Hintergrund vermuteten, hat die CSU nach einem NPD-Verbot gerufen. Doch in der CDU fand die bayerische Union so gut wie keine Unterstützer. Umso größer ist bei den Christdemokraten die Verwunderung, dass Herrmann das Thema ausgerechnet zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl wieder offensiv auf die Agenda hebt.
Schäuble gegen neuen Verbotsantrag
Wolfgang Schäuble jedenfalls hält nicht viel von Herrmanns Plänen. "Ich bin nicht dafür, einen Verbotsantrag zu stellen, der in Karlsruhe keinen Erfolg hat", sagte der Bundesinnenminister dem Sender N24. Sollte der bayerische Kollege neue Argumente, neue Tatsachen haben, werde er diese prüfen. Ernsthaft glaubt Schäuble jedoch nicht an eine neue Ausgangslage. "Das Dümmste ist, einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen, der dann scheitert", warnte er. Diesen "schweren Fehler", daran erinnerte Schäuble, habe die frühere Bundesregierung schon einmal gemacht, und zwar "unter Mitwirkung eines gewissen Vorgängers von Herrn Herrmann".
Tatsächlich war es der frühere bayerische Innenminister Günther Beckstein, der das erste NPD-Verbotsverfahren maßgeblich forciert hatte. Den Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellten jedoch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gemeinsam - und scheiterten kläglich. Das Gericht stellte das Verfahren am 12. März 2003 ein, nicht etwa, weil die Karlsruher Richter der NPD die Verfassungsmäßigkeit bescheinigten. Zu einer solchen Prüfung kam es erst gar nicht.
Stattdessen musste der Zweite Senat feststellen, dass die rechtsextreme Partei bis in die Führungsebenen mit V-Männern des Inlandsgeheimdienstes durchsetzt war, was in den Anträgen verschwiegen wurde. Jeder siebte Funktionär verdiente sich offenbar ein Zubrot als Spitzel. Das juristische Problem dabei: Auch ihre Aussagen sollten als Beweise dienen.
Die Richter mussten sich fragen: Sollten am Ende vom Staat bezahlte Informanten zur Systemfeindlichkeit beigetragen haben? Und sollten diese ihrem Auftraggeber dann gleich noch die Verteidigungsstrategie für das Verbotsverfahren liefern? Das Verfahren wurde eingestellt, den düpierten Antragstellern gaben die obersten Richter sinngemäß mit auf den Weg: erst V-Leute abziehen, dann Verbot beantragen.
Kritik an Herrmann aus CDU und FDP
Die Gefahr eines erneuten Scheiterns sei unverändert groß, warnte am Donnerstag denn auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) auf SPIEGEL ONLINE. Es gebe aus derzeitiger Sicht keine neuen Erkenntnisse, die einen neuerlichen Versuch rechtfertigen würden. Ingo Wolf (FDP), Innenminister des CDU-regierten Nordrhein-Westfalens, nannte die neu entfachte Debatte "überflüssig und schädlich". Niemand bezweifle, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei sei, sagte Wolf. "Das reicht aber nach den strengen Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts für ein Verbotsverfahren nicht aus."
Nicht einmal aus Mecklenburg-Vorpommern, wo die NPD im Landtag sitzt, erhielt Herrmann echte Rückendeckung. Zwar bekräftigte Lorenz Caffier, der bisher als einziger CDU-Innenminister für ein Verbot plädiert, seine Haltung, erklärte aber auch: "Für ein erfolgreiches NPD-Verbot bedarf es Mehrheiten, die gegenwärtig nicht absehbar sind."
Aus der Bundes-CDU mahnte Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach: "Es gibt überhaupt keine neue Lage." Natürlich sei die NPD verfassungsfeindlich, natürlich sei sie gefährlich und natürlich verbotswürdig. "Aber gerade deswegen können wir für die Dauer eines Verfahrens von zwei oder drei Jahren nicht auf die Erkenntnisse von V-Leuten verzichten", sagte Bosbach SPIEGEL ONLINE. Ein Dilemma.
Herrmann möchte dieses Dilemma gar nicht auflösen. Auch er will die V-Leute in der NPD belassen, selbst während eines jahrelangen Verbotsverfahrens. Der bayerische Minister glaubt jedoch, dass die Spitzel für die Argumentation der Verfassungsfeindlichkeit nicht gebraucht werden. "Eine Gratwanderung", sagte Herrmann am Donnerstag SPIEGEL ONLINE und räumte ein, dass dieses Vorgehen "mit Risiken verbunden" sei.
Hoffnung auf neue Richter
Herrmann hat aber noch ein anderes Kalkül. Im Herbst kommenden Jahres sind alle drei Verfassungsrichter ausgeschieden, die 2003 die für eine Fortführung des Verfahrens notwendige Zweidrittelmehrheit im Senat verhinderten, weil sie in den V-Leuten "nicht behebbare Verfahrenshindernisse" erkannten. Die drei Neuen, so glaubt der Minister, könnten weniger streng urteilen.
Auf diese Richter-Rechnung will sich die SPD nicht verlassen. Die Sozialdemokraten dringen seit langem darauf, einen neuen Verbotsantrag zu prüfen, wobei sie es sogar für vertretbar halten, die V-Leute völlig abzuschalten. Die Innenressorts der Länder Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben vor einiger Zeit ein nach eigenen Angaben V-freies Dossier vorgelegt, das die Verfassungsfeindlichkeit und Gefährlichkeit der NPD belegen soll.
Nun freuen sich die Genossen über die konservative Unterstützung aus dem Süden der Republik. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sah am Donnerstag "neue Perspektiven, den menschenverachtenden Rechtsextremismus" entscheidend zu schwächen, Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) und sein rheinland-pfälzischer Amtskollege Karl Peter Bruch (SPD) sprachen von einem "guten Signal". Diesem, so Hövelmann, sollten sich "die anderen Innenminister jetzt nicht mehr verschließen".
Ob sich diese Hoffnung in absehbarer Zeit allerdings tatsächlich erfüllen wird, ist angesichts der Irritationen in der CDU ungewiss. "Ich bin mir bewusst, dass ich noch viel Überzeugungsarbeit leisten muss", sagte Herrmann SPIEGEL ONLINE.