Bericht über die Vorstellung des Buches Zwangsräumung verhindern in Berlin

zwangsraeumung verhindern assemblage

Neues Buch widmet sich Geschichte, aktueller Praxis und Perspektiveder Bewegung gegen Zwangsräumungen.Bericht über Vorstellung in Berlin
Die Bewegung gegen Zwangsräumungen hat es in den letzten Tagen wieder in viele Medien geschafft. Die Räumung von Kalle aus seiner Wohnung in Köln konnte beim zweiten Räumungstermin nicht mehr verhindert werden. Trotzdem war der Protest hunderter Menschen nicht umsonst Er hat einer Praxis die politische Normalität genommen, die bisher weitgehend unhinterfragter Alltag war.

 

Darin waren sich auch die drei Autor_innen und der Herausgeber des kürzlich in der Edition Assemblage herausgegebenen Buches Zwangsräumungen verhindern“ (http://www.edition-assemblage.de/buchvorstellung-zwangsraeumung-verhinde...) einig, das am 17.April in Berlin in den Räumen der Berliner Mietergemeinschaft (http://www.bmgev.de/) vorgestellt wurde.

Zu Beginn begründete der Journalist Peter Nowak http://peter-nowak-journalist.de/, der das Buch herausgegeben hat, warum ein Buch zu einer Aktionsform sinnvoll ist, die ja gerade an Popularität gewinnt. „Ich begleite seit Jahren auch journalistisch soziale Bewegungen. Mit Artikeln kann versucht werden, die Stimmen dieser Bewegungen stärker in der Öffentlichkeit hörbar zu machen. Ein Buch aber kann darüber hinaus versuchen, diese Bewegungen in einen geschichtlichen und aktuell-gesellschaftlichen Zusammenhang zu bringen, “ erklärte der Herausgeber.

Den historischen Zusammenhang stellte er mit konkreten Kämpfen in Berlin der letzten 120 Jahre und einem Engels-Zitat her:

„Was man heute unter Wohnungsnot versteht, ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietpreise; eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden. Und diese Wohnungsnot macht nur soviel von sich reden, weil sie sich nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt, sondern auch das Kleinbürgertum mit betroffen hat. Um dieser Wohnungsnot ein Ende zu machen, gibt es nur ein Mittel: die Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Klasse durch die herrschende Klasse überhaupt zu beseitigen.“

 

Bei diesem Zitat von Engels Schrift zur Wohnungsfrage würde man sicher einige Begrifflichkeiten heute austauschen, im Kern aber haben die dort getätigten Aussagen nach noch seine Gültigkeit. Daher betonte Nowak auch die Wichtigkeit, die Kämpfe gegen die Zwangsräumungen mit Protesten von Erwerbslosen und gewerkschaftlichen Kämpfen gegen Niedriglöhne zu verbinden. Die Parole „Löhne und Einkommen rauf – Mieten runter“ können da eine Perspektive sein Schließlich sei es auch wichtig, die kapitalistische Verwertung als Ursache für hohe Mieten und Vertreibungen immer auch zu benennen.

Stadt als Marketing

Daran schloss ein Aktivist der Gruppe andere zustände ermöglichen (aze) an. Die Gruppe (http://aze.blogsport.de/) hatte unter dem Titel „Stadt“ einige Überlegungen veröffentlicht, die auch für eine Diskussion linksradikale Perspektive der Proteste eine wichtige Rolle spielen können. Daher wurden sie im Buch dokumentiert, weil sie eine Perspektive über die bloße Ablehnung von Aufwertung, Gentrifizierung etc. aufwerfen. Auf der Veranstaltung ging der Genosse von aze auf den Aspekt ein des Stadtmarketing ein. Städte stehen zunehmend in ständiger Konkurrenz zueinander und jedes Event, jede Baumaßnahme ist Teil des Städtemarketings. In diesem Ensemble agieren dann die Immobilienfirmen und Hausbesitzer_innen, deren Ziel möglichst hohe Rendite ist. Die Tourist_innen sind dann die Kund_innen des Stadtmarketings. Daher wächst in angesagten Stadtteilen der Bedarf an Ferienwohnungen und Unterkünften in den unterschiedlichen Preislagen. Vor allem für die Mieter_innen mit wenig Einkommen bedeutet es in der Regel Verdrängung, wenn der Stadtteil aufgewertet wird.

Sozialarbeit oder politischer Widerstand?

Die Rednerin der Initiative „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“ (http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/) in Berlin wollte es nicht dabei belassen, sich selber auf die Schulter zu klopfen, wie viel mensch geschafft habe. Sie stelle sich vielmehr die Frage, wie viel Sozialarbeit in der Bewegung gegen die Zwangsräumungen steckt und ob die große Publizität nicht auch ein Mittel der Vereinnahmung ist. Man bescheinigt den Aktivist_innen, wichtige Probleme benannt zu haben, aber von der Politik gab es nicht die kleinsten Zugeständnisse. Selbst ein Räumungsmoratorium für Rentner_innen, das nach dem Tod der 67jährigen Rosemarie Fließ, die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung starb auch in den Medien gefordert wurde, hatte keine Realisierungschancen.

Europäische Widerstandsperspektive

Eine europäische Perspektive der Mieter_innenproteste skizierte Grischa Dallmer, der mit Matthias Coers gemeinsam den Eduard Baches i Lubierres interviewt hat, der lange Zeit Sprecher der Plattform der Hypothekenbetroffenen in der spanischen Stadt Lleida war. Diese Bewegung wurde zu einem starken innenpolitischen Faktor im spanischen Staat und gab auch Inspirationen für die neue Bewegungen gegen Zwangsräumungen in Berlin und anderen Städten. Eduard Baches i Lubierres berichtete im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ ebenfalls in den Räumen der Berliner Mietergemeinschaft über den Kampf in Spanien. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe (http://www.bmgev.de/politik/veranstaltungsreihe-13.html) wurde durch Vorträge und Filme von Mieter_innenaktivist_innen aus zahlreichen europäischen Staaten, den USA und der Türkei deutlich, wie notwendig eine Vernetzung der Bewegungen ist. Das wäre doch ein guter Beitrag des immer wieder zitierten Europa von unten. Die Aktivist_innen von Wohnen in der Krise haben dazu eine gute Vorarbeit geleistet, weil Filme über die Kämpfe und die Referate im Netz unter http://www.youtube.com/user/WohneninderKrise zu finden sind. Es ist ein Archiv des internationalen Mieter_innenwiderstands, das genutzt werden kann und sollte. Genau so wie das Buch von möglichst vielen Aktivist_innen, aber auch Mieter_innen, die sich nicht verdrängen lassen wollen, genutzt werden kann und sollte als Ideengeber, für einen historischen Rückblick, für die Entwicklung von Perspektiven.

Erfolge nicht verschweigen

Dass dies möglich ist, zeige die Diskussion mit dem Publikum am 17.April. Eine langjährige Erwerbslosenaktivistin aus Neukölln machte darauf aufmerksam, dass neue Pläne des Deutschen Städtetags erneute Verschlechterungen für Mieter_innen mit Hartz IV-Bezug bringen könnten. Mut machte ein Mitglied der Palisadenpanther (http://palisaden-panther.blogspot.de/) aus Berlin-Friedrichshain. Die Senior_innengruppe hatte es durch Öffentlichkeitsarbeit und Proteste geschafft, eine Mieterhöhung in ihrer Seniorenwohnanlage zu verhindern. Es ist tatsächlich wichtig, auch über die Erfolge zu retten, auch wenn die immer wieder mit politischem Druck verteidigt werden müssen. Gut war auch das Insistieren des Moderators von der Berliner Mietergemeinschaft, der nach linken Positionen in der Mietenpolitik fragt. Tatsächlich haben verschiedene Initiativen sehr konkrete Positionen formuliert und unter Anderem in einen mietenpolitischen Dossier http://mietendossier.blogsport.de/ niedergeschrieben. Ob es sinnvoll und möglich ist, einige wenige Kernforderungen beispielsweise für ein Moratorium für Zwangsräumungen für Rentner_innen, Erwerbslose etc. zu propagieren und dafür Druck zu machen, wäre eine wichtige Diskussion. Damit könnte unter Umständen eine Mieter_innenbewegung entstehen, die sich nicht nur in dem Widerstand gegen Zwangsräumungen zeigt. Andererseits besteht die Gefahr, dass eine solche Forderung in den politischen Staatsapparaten, Justiz, Politik, Verwaltung aufgerieben wird, wie es bei der Forderung nach einem Sanktionsmoratorium bei Hartz IV-Bezieher_innen geschehen ist. Obwohl es von bekannten Gewerkschafter_innen und Politiker_innen unterzeichnet wurde, kam es nie zu einer Realisierung.

Ein Buch für Mietrebellen

Die Buchvorstellung hat gezeigt, wie viel Diskussionsbedarf es auch beim aktuellen Widerstand gegen Zwangsräumungen gibt. Dabei wurde dort nur eine der im Buch behandelten Aspekte zur Diskussion gestellt. Die Kritik an der Forderung nach sozialer Mischung, wie sie im Buch von Sebastian Friedrich, Duygu Gürsel und Cagri Kahveci aufgeworfen wurde und nach dem Verhältnis von Migration, Arbeit und dem Recht auf Stadt. das Ceren Türkmen im Gespräch entwickelte, wäre eine Thematik für weitere Veranstaltungen. Eine nächste Buchvorstellung wird es im Anschluss an die Aufführung des Films Mietrebellen (http://mietrebellen.de/), der den vielen Aktivist_innen nicht nur eine Stimme sondern auch ein Gesicht gibt, am 26.4. um 18 Uhr im Berliner Lichtblickkino (http://www.lichtblick-kino.org/) geben. Weitere Diskussionsveranstaltungen mit dem Buch auch in anderen Städten sind in Planung. Mietrebellen und solche, die es noch werden wollen, sind gefragt.