Braunes „Sturmlokal“ geschlossen

Erstveröffentlicht: 
07.04.2014
07.04.2014 - Die langjährige Szenekneipe „Club 88“ in Neumünster, früher ein bundesweiter Anlaufpunkt für Neonazis aller Schattierungen, existiert nicht mehr. Seit Jahren waren auch die Besucherzahlen rückläufig, Konkurrenz ist längst schon durch die Innenstadtlokalität „Titanic“ erwachsen.

 

Der „Club 88“ im mittelholsteinischen Neumünster als überregionaler Treffpunkt der rechten Szene – das ist nun nach 17 Jahren und vier Monaten etwas für die Geschichtsbücher, denn er ist in die Knie gegangen. Ein Stadtsprecher teilte auf Anfrage mit, dass der Betreiberin Christiane Dolscheid die Gaststättenkonzession von Amts wegen entzogen wurde, weil sie auf Anschreiben der Stadt nicht reagiert hatte. Im Rathaus hatte man zuvor erfahren, dass die Club-Chefin selbst bereits Ende Januar die Lokalität geräumt, die Schlüssel beim Vermieter abgegeben und den Strom abbestellt hatte. Der Schriftzug an der Außenfassade war in der Folge ebenfalls verschwunden.

 

So lange wie bundesweit kaum eine andere Anlaufstelle existierte die kleine Kneipe am Stadtrand, die die Nutzer selbst als „Sturmlokal“ bezeichneten. Gegenüber einer Schule und eines ehemaligen Jugendtreffs wirkte das von außen mit einem schwarzen Anstrich versehene Objekt an der Kummerfelder Straße eher unscheinbar. Lange bevor die Zahlencodes der Neonazis inflationär Verbreitung fanden, setzte auch diesbezüglich der „Club 88“ ab 1996 ein Zeichen. Eigentlich bot er dem örtlichen Grüppchen mit rechtsgerichteter Gesinnung im Stadtteil Gadeland, das sich zuvor oft provokativ rund um und im Jugendtreff versammelte, nur ein Dach über dem Kopf. Das sprach sich dann über die Stadtgrenzen hinaus herum, und schnell wurde die 36 Quadratmeter umfassende Mini-Kneipe zum Anziehungspunkt, der sogar internationale Szene-Aktivisten anlockte. Entsprechend waren Dolscheid und ihre Mitstreiter anfangs auch deutschlandweit bei Großereignissen der rechtsextremen Szene mit Infoständen oder gar als Saalschutz anzutreffen.

 

Jährliche Club-Geburtstagsfeiern mit Rechtsrock

Initiator war neben Dolscheid, die dem 1990 gegründeten „Skingirl Freundeskreis Deutschland“ angehörte und sich zeitweilig für den Szene-Sanitätsdienst „Braunes Kreuz“ engagierte, Tim Bartling. Bartling war später dann auch der Mitbegründer des 2002 für die rechte Szene gegründeten „Kampfklubs Athletik Klub Ultra“ mit Trainingsstätte im Stadtteil Wittorf, der bis heute existiert. Die Stadt Neumünster scheiterte 2000 daran, mit dem Gaststättenrecht argumentierend Dolscheid die Konzession zu entziehen, und damit den Treffpunkt zu schließen. In diesem Zusammenhang standen auch zwei Demonstrationen für den „Club 88“, initiiert von Christian Worch.

 

Den juristischen Erfolg verstanden die Neonazis fortan als Freibrief für ein zunächst verstärktes Wirken. Der Sammelpunkt diente für Schulungen, stand für Fußballturniere mit eigener Club-Mannschaft, war Ort für Liedermacherkonzerte, abendliche Feierstätte nach Demonstrationen im Land, war Gegenstand für Solidaritäts-Sampler sowie eigene in den Umlauf gebrachte T-Shirts mit dem Aufdruck „The very last Resort“ und diente schnell als Ritual für jährliche Club-Geburtstagsfeiern mit und ohne Live-Rechtsrock. War der eigene Raum zu klein, wurde auf dem Hof und auch auf der Straße davor gefeiert, teilweise zog man sogar in größere Räumlichkeiten.

 

„Bandidos“-Rocker an den „Club 88“ herangeführt

Neben den örtlichen Aktivisten wie Frank Rieckmann oder dem noch heute im NPD-Umfeld auftauchenden Michael Denz übernahmen zeitweilig auch Nicht-Neumünsteraner die Organisation, etwa Jan Steffen Holthusen aus der Hamburger Neonazi-Führungsriege oder der mehrfach gewalttätig in Erscheinung getretene Peter Borchert von der „Aktionsgruppe Kiel“. Letzterer verlegte nicht zuletzt wegen des Clubs und der darum herum entstandenen Szene seinen Hauptaufenthalt zwischenzeitlich von der Förde nach Neumünster und ließ sich 2001 für zwei Jahre als NPD-Landesvorsitzender wählen.

 

Der „Club 88“ wurde anfangs in „Hammerskin“-Kreisen beworben und von diesen besucht. Die Macher des Treffpunktes pflegten stets Kontakte in die Musikszene um die Bands „Kraftschlag“ und später „Words Of Anger“. Über deren Vernetzungsstrukturen kamen auch Verbindungen direkt zu Aktivisten von „Blood&Honour“ und nach dem Organisationsverbot im Jahr 2000 zu deren Nachfolgeaktivitäten zustande. 2005 schrieb die Lübecker Neonazi-Band „Einherjer“ sogar einen Song für den Club. Aus dem lokalen Projekt war längst ein Puzzleteil eines überregionalen Netzwerkes geworden. So vergnügten sich etwa auch Mitglieder des vornehmlich im Kreis Pinneberg und Ostholstein kriminell agierenden „Combat 18“-Armes in Neumünster. Aus dem Umfeld ist beispielsweise Alexander Hardt zu nennen. Er steht genau wie Peter Borchert für eine Entwicklung, die die Rockergruppierung der „Bandidos“ an die rechte Szene und den „Club 88“ herangeführt hat. Das hatte wohl auch damit zu tun, dass das Rocker-Hauptquartier in unmittelbarer Nähe lag. Die Neumünsteraner „Bandidos“-Sektion wurde 2010 verboten, Hardt war aber nach wie vor im Club anzutreffen.

 

Bürgerliche Imagepflege in der „Titanic“

Dennoch nahm der Zuspruch für den „Club 88“ in den vergangenen Jahren kontinuierlich ab. Im Vorjahr verzichtete man bereits auf die obligatorische eigene „Geburtstagsfeier“ im Herbst. Offenbar gab es zuletzt mal wieder akuten Geldbedarf, denn auf der Homepage des Cottbuser Labels und Versandes Rebel Records wurde bereits im vergangenen Spätsommer darauf hingewiesen, dass ein weiteres Mal ein CD-Sampler für den „Club 88“ in der Planung sei. Eine der daran beteiligten Bands sollte „Exzess“ aus dem brandenburgischen Strausberg sein, wie diese selbst im Internet mitteilte.

Als letzte Hinterlassenschaften des „Clubs 88“ finden sich neben seinem Eingang Aufkleber von „Words Of Anger“, einem längst gehackten Neonazi-Portal mit dem namentlichen Hinweis auf den Württemberger „Autonomen Nationalisten“ und bekennenden „Hammerskin“ Kai Larsen sowie von der Internetplattform „mein -hh“, die aus Hamburg stammt.

 

Ein Grund für den rückläufigen Zulauf mag allerdings auch die mittlerweile schon rund zehn Jahre existierende innerstädtische Konkurrenz, die Innenstadt-Kneipe „Titanic“, sein. Sie liegt in den Händen von Horst Micheel, der genau wie sein Stiefsohn Pascal Micheel im Vorjahr bei den Kommunalwahlen für die NPD kandidierte. Auch NPD-Landesvorstandsmitglieder aus Schleswig-Holstein wie Ingo Stawitz oder Jens Lütke sind in der „Titanic“ anzutreffen gewesen, NPD-Liedermacher Frank Rennicke gab dort 2011 ein Konzert. Von dort aus wurden ebenfalls Fußballturniere organisiert und ein konspiratives „Kategorie C“-Konzert beworben. Anders als vom „Club 88“ versucht man seitens der „Titanic“ immer noch, ein nach außen bürgerliches Bild abzugeben. So verspricht man sich mit Schlagerveranstaltungen, Dart-Events, Skatturnieren oder Weihnachtsfeiern eine entsprechende Imagepflege. Trotzdem wirft der schleswig-holsteinische Verfassungsschutz ein Auge auf den Gastronomiebetrieb, in dem es wegen gewalttätigen Auseinandersetzungen immer wieder zu Polizeieinsätzen kommt. Erst Ende Februar musste das Amtsgericht Neumünster über eine dortige Schlägerei urteilen.