Am 9. Februar verteilten bisher Unbekannt gebliebene in Rostock einen gefälschten Brief, der anscheinend vom Oberbürgermeister ausging. In dem Brief macht der vermeintliche Roland Methling auf die Olympischen Spiele in Russland aufmerksam und wirbt für eine Olympia-Bewerbung der Stadt. Der OB dementierte umgehend. Trotzdem ist die Aktion Thema in der Stadtpolitik.
Wenn Zeitung lesen Spaß macht
Meistens ist die Durchsicht der Rostocker Lokalpresse eher ein emotionsloses Vergnügen. Das letzte Beispiel ist die Pressemitteilung der CDU von vor drei Wochen, die gegen das Peter-Weiss-Haus hetzt, die ohne Gegenrecherche von der OZ übernommen wurde und in der nicht mal das Alter der vermeintlich verprügelten Polizistin stimmt. Nicht ohne Grund dürfte ein nicht zu unterschätzender Teil der Stammkundschaft das Abo aus Interesse an den Todesanzeigen unterschrieben haben. Die wirklich spannenden Geschichten sind oft eher in den Randspalten zu finden.
Olympia-Brief in Warnemünde
So auch am Mittwoch, den 12. Februar 2014. Während auf der Lokalseite für Warnemünde die Nachricht „Schildkröte hat ihren großen Auftritt“ es zur Headline geschafft hat, findet sich daneben etwas ungewöhnliches: „“Olympia-Brief“ ist eine Fälschung“ heißt es dort. Dort erfahren die Lesenden, das laut Stadtverwaltung irgendwelche Leute, die das gar nicht dürfen, einen Brief mit Bild und Unterschrift des Oberbürgermeisters Roland Methling verteilt hätten. Zum Inhalt erfährt man wenig, lediglich, dass „der oder die Verfasser mit offensichtlich rechtsextremistischen Hintergrund“ darin „die olympische Idee“ diffamieren würden. Außerdem prüfe die Stadt strafrechtliche Schritte, während das Wahlbündnis Unabhängigen Bürger FÜR Rostock (UFR) sich mit solchen Feinheiten nicht aufhalten und gleich Anzeige erstattet hätten. Wie kann man den die „olympische Idee“ noch krasser diffamieren, als es das IOC ohnehin ständig tut?
Dementi des UFR
Leider gab die Presseseite des Rathauses noch weniger her, und auch die UFR brauchten noch bis zum Abend, um einen Stellungnahme auf der Homepage zu veröffentlichen. Das UFR war aber freundlicherweise so serviceorientiert, das ominöse olympische Schreiben als Scan auf ihrer Homepage zu veröffentlichen. Umso interessanter wirkt die Stellungnahme dazu: „Der offensichtliche Zweck dieses diffamierenden Schreibens war nach unserer Auffassung, sowohl das Wählerbündnis UFR als auch den OB politisch in die rechte Ecke zu stellen. Wir als UFR distanzieren uns ausdrücklich und vollumfänglich von diesem Schreiben, ohne auf den skandalösen Inhalt eingehen zu wollen!“
Rechte InitiatorInnen?
Das erscheint eigenartig. Erst sollen die InitiatorInnen rechts sein und die olympische Idee diffamieren. Und nun soll statt der InitiatorInnen der Bürgermeister in der rechten Ecke stehen?Aber werfen wir endlich selber einen Blick ins Schreiben. Erster Eindruck: Könnte echt sein. Schickes Bild vom OB, Olympia-Logo. Kontaktadresse, Öffnungszeiten, usw. Inhaltlich lobt der vermeintliche Methling in großspurigen Worten seine eigene Politik und seine Bemühungen, Olympia in die Stadt zu holen. Dann versucht der angebliche OB, an den Beispielen Sochi und Peking die Vorteile einer derartigen Großveranstaltung für die Stadtentwicklung hervorzuheben. Es gäbe hohe Subventionen wie bei der Yachthafen-Residenz (auch mit Olympia gerechtfertigt und zur Zeit Anlass für einen Gerichtsprozess wegen Subventionsbetrug). Außerdem würde der „olympische Geist“ eine „wohltuende Wirkung“ auf „investitions-und wachstumsfeindliche Umweltrichtlinien“ haben (eine Anspielung auf die Umweltschäden, die Olympiaden regelmäßig anrichten) und mit dem Traum einer Autobahn „Berlin-Hohe Düne“ wird auf die im Kontext von Großveranstaltungen regelmäßig entstehenden wenn überhaupt nur kurzfristig sinnvollen Infrastrukturprojekte angespielt.
Ausbeutung als Standortvorteil?
Weiter wird die Ausbeutung von ArbeitsmigrantInnen zu Bedingungen wie in Sochi als „Standortvorteil“ dargestellt und die mit touristischer Infrastruktur verbundenen Verdrängung von durchschnittlich armer Bevölkerung als gesellschaftlich gut und wünschenswert dargestellt. Außerdem wird Korruption als „gerechtfertigte diskrete Provisionszahlungen für die gesellschaftlichen Leistungsträger der Stadt“ verharmlost.
Schikane als „Recht und Ordnung“?
Darüber hinaus wird wie in Russland die Diskriminierung von Menschen, die nicht in klassischen heteronormen, bipolaren und monogamen Beziehungen leben wollen, befürwortet, und das Erschweren des CSDs in Rostock mittels schikanöser Auflagen als Durchsetzung „geltender Gesetze“ dargestellt. Und allen Menschen, die aus „anderen, meistens politischen Gründen Anstand, Moral und Fortschritt verweigern“, wird im Kontext der Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen einer Olympiade Ärger angedroht.
Satire oder Straftat?
Wir haben es also mit einer Satire zu tun, die eine Kritik der unter OB Methling betriebenen Stadtentwicklung mit einer Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen im Kontext der Olympiade in Russland verbindet. Durchaus gelungen, würde ich sagen. Besonders über den Aspekt, dass Olympia und Weltmeisterschaften aufgrund der allgegenwärtige Terrorangst wahrscheinlich mehr Videoüberwachung, noch krassere Polizeigesetze und ein entsprechendes diskursives Umfeld mit sich bringen, in denen sich auch in Demokratien gegen außerparlamentarische Oppositionelle vorgehen lässt, hatte ich bisher nicht nachgedacht.
Die NNN berichtet
Umso interessanter ist es, was das UFR daraus macht. Bei der Norddeutschen Neuesten Nachrichten (NNN) findet man scheinbar Themen, in dem man die OZ ließt. Am Donnerstag, den 13. Februar berichtet nämlich auch die NNN auf ihren Lokalseiten. „gefälschter Brief sorgt für Wirbel“ heißt es dort. „Der offensichtliche Zweck dieses Schreibens war nach unserer Auffassung, sowohl das Wahlbündnis UFR als auch den OB politisch in die rechte Ecke zu stellen“ lässt sich in der NNN Thorsten Schulze (UFR) zitieren. Und Jobst Melan, Uni-Prof und fürs UFR im Ortsbeirat Warnemünde sagt: „Wenn der Inhalt wirklich so gestimmt hätte, wie er dort zu lesen war, und wirklich von unserem Wählerbündnis gekommen wäre, dann wäre ich dort politisch falsch“. Weiter hat die NNN ein Zitat des Bürgerschaftsmitglieds Sybille Bachmann ( Rostocker Bund) zu bieten, die in dem Schreiben eine versteckte Kritik an der Amtsführung des Oberbürgermeisters sieht: Ganz persönlich lese ich den Brief wie eine Satire auf den Oberbürgermeister (...)“
Wahrnehmung von Nationalismus als „rechtsextrem“
Die Positionierung des UFR-Aktivisten Melan ist interessant, denn das Schreiben parodiert exakt die aktuelle Politik des Oberbürgermeisters. Ob Olympia, Stadtteilaufwertung oder sonderbare Auflagen zur Erschwerung des CSD: All das ist reale Politik in Rostock. Und auch die möglicherweise nicht von den AutorInnen intendierte Wahrnehmung ihres Schreibens als „rechtsextrem“ ist interessant. Die AutorInnen persiflagieren lediglich das leider mittlerweile ganz normale nationalistische Deutschland-Gedröhne, dass gerade im Kontext von Sportereignissen wie Olympia oder Fussball-WM auf allen Kanälen in den Diskurs geballert wird. Der Brief schafft hier also interessante Einsichten. Dadurch, dass der Inhalt als Fälschung kritisch betrachtet wird, entschlüsseln selbst Angehörige des UFR die auch für ihre Politik typischen nationalistischen Floskeln als „rechtsextrem“. Am deutlichsten zeigt dies der anscheinend literarisch nicht sehr begabte Frank von Olzewski in einem Kommentar vom Donnerstag, den 13.2.2014 in der er über die Herkunft des Inhaltes grübelt: „Andere Versatzstücke könnten vermutlich aus Texten stammen, die rechte oder halbrechte Wurzeln haben (…). Wie man es auch betrachtet, weder der OB noch die UFR-Mitglieder denken, schreiben oder sprechen in diesem Duktus“. Sicher? Herr Melan sollte sich die Politik und Rhetorik seiner größenteils Kameraden mal genauer anschauen.
Der gefälschte Brief:
http://www.fuer-rostock.de/images/1Brief_Wmde_11.02.14.jpg
http://www.fuer-rostock.de/images/2Brief_Wmde_11.02.14.jpg
Dementi vom OB, 11.2.2014:
http://rathaus.rostock.de/sixcms/detail.php?id=41357&_sid1=rostock_01.c....
OZ-Nachricht vom 12.2.2014:
http://www.ostsee-zeitung.de/Region-Rostock/Rostock/Olympia-Brief-des-OB...
Stellungnahme des UFR, 12.2.2014
http://www.fuer-rostock.de/index.php/presseinformationen/2727-distanzier...
NNN-Bericht vom 13.2.2014
http://www.nnn.de/lokales/rostock/gefaelschter-brief-sorgt-fuer-wirbel-i...
Stellungnahme UFR, 13.2.2014:
http://www.fuer-rostock.de/index.php/news-fuer-rostock/2728-frank-von-ol...
Auf das NNN-Statement von Sybille Bachmann reagierende PM des OB, 13.2.2014:
http://rathaus.rostock.de/sixcms/detail.php?id=41383&_sid1=260&_sid2=291...
Erneute Positionierung von Sybille Bachmann, 14.2.2014:
http://ob2019.files.wordpress.com/2011/12/14-02-13-vorsicht-satire.pdf