Berlins Innensenator Henkel schaltet auf Angriff. Vorher gibt er einen weiten V-Mann mit NSU-Bezug zu. Die Polizei weist den Schweigeauftrag an den Spitzel zurück. Von Konrad Litschko.
BERLIN taz | Jetzt ist der Spitzel auch offiziell. Am Mittwochnachmittag räumte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) ein, dass das Berliner LKA einen weiteren V-Mann mit NSU-Bezug führte: den militanten Thüringer Neonazi Nick G. Bereits am Wochenende äußerte die Opposition den Verdacht, dass G. als Spitzel geführt wurde.
Die Polizei äußerte sich nur vage und berief sich auf einen „bestehenden Vertrauensschutz“. Henkel schrieb nun in einer Mitteilung, er dürfe zwar keine Identitäten offenlegen, aus V-Mann-Akten, die der Opposition vorlägen, gehe aber hervor, dass das Berliner LKA von 2001 bis 2003 eine „VP 598“ geführt habe. Dahinter verbirgt sich Nick G.
Bereits 2012 musste das Berliner LKA einräumen, mit dem Sachsen Thomas S. einen direkten NSU-Bekannten als V-Mann geführt zu haben – ohne dass dies bei der Fahndung nach dem untergetauchten Trio half. Auch Nick G. hätte den Ermittlern möglicherweise helfen können.
Der Thüringer war bekannt mit dem Brandenburger Neonazi Carsten S. Beide wurden 2000 für einen geplanten Rohrbombenanschlag auf Antifaschisten verurteilt. S. wiederum war unter dem Namen „Piatto“ eine der „Topquellen“ des Brandenburger Verfassungsschutzes. Dort berichtete er, dass das NSU-Trio nach Waffen suche und einen Überfall plane – auch dies blieb folgenlos.
Nach taz-Informationen wurde Nick G. 2001, noch in Haft für den Anschlagsversuch, vom LKA angeworben. Elfmal trafen ihn die Beamten dort, noch einmal nach der Entlassung. Im März 2003 erfolgte die Abmeldung. Warum die Polizei ihren Informanten fallen ließ, ist bisher noch offen.
Henkels Gegenoffensive
Die Opposition in Berlin kritisiert die Enthüllung scharf. Auch die Thüringer Linksfraktion warf den Berliner Behörden „fehlenden Aufklärungswillen“ vor. Innensenator Henkel ging am Mittwoch in die Gegenoffensive. Er wies „entschieden“ zurück, etwas verschwiegen zu haben. Er verwies auf die 40 Ordner mit V-Mann-Akten, die er im Herbst, nach dem Wirbel um den ersten V-Mann, der Opposition bereitstellte. Entweder habe die Opposition diese nicht gelesen, polterte Henkel: „Oder sie stellt ihre Behauptungen wider besseres Wissen auf.“
Henkel bestätigte zudem ein „Sensibilisierungstreffen“ von Beamten mit Nick G. im letzten Oktober. Der 36-Jährige hatte behauptet, die LKA'ler hätten ihm dabei aufgetragen, keine Aussagen über „Piatto“ zu machen. Auch seien Akten mit Bezug auf ihn und Carsten S. „so gut es ging“ geschwärzt worden. Henkel bestritt das: Dafür gebe es „keinerlei Anhaltspunkte“.
Laut Berliner Polizei diente das Treffen dazu, Nick G. über die überstellten V-Mann-Akten zu informieren. Da nicht auszuschließen gewesen sei, dass Informationen aus den Akten öffentlich würden, habe man G. „auf eine mögliche Gefährdung hingewiesen“, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich der taz. „Mit keinem Wort wurde er zu einem bestimmten Verhalten vor Untersuchungsausschüssen aufgefordert.“ Nicht nur Nick G., sondern auch weitere ehemalige V-Männer seien im Herbst über die Aktenübergabe informiert worden. Wie viele Personen dies betraf, wollte Redlich nicht sagen.
Warnung vor Aktenschwärzungsaffäre
Anders als die anderen Kontaktierten wandte sich Nick G. nach dem Gespräch allerdings an eine Zeitung, mehrere Nachrichtendienste und den früheren Vorsitzenden des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss, Sebastian Edathy (SPD), und warnte vor einer „Aktenschwärzungsaffäre“, so die Polizei. Darüber sei bereits am 6. November 2013 auch Innensenator Henkel informiert worden, sagte Redlich. Die Vorwürfe habe man als „unsinnig“ dargestellt.
G. selbst hatte jedoch im Dezember in einem Internetvideo von dem Besuch der Berliner Beamten berichtet. Dieses hatte die Polizei bereits kurz danach im Netz gefunden. Henkel wurde darüber nicht nochmals informiert. Der erfuhr davon erst am vergangenen Freitag – nachdem sich unter anderem die taz danach erkundigte.
Abgehakt ist die Affäre damit noch nicht. Am Donnerstag will Innensenator Henkel den Innenausschuss über den Fall in einer Sondersitzung informieren.