Totschlag-Anklage für Demonstranten

Erstveröffentlicht: 
07.01.2014

Ein junger Mann aus Stuttgart soll bei Demonstrationen in Dresden im Jahr 2011 Polizisten mit Leuchtmunition beschossen haben.

 

Von Alexander Schneider

 

Dresden/Stuttgart. Drei Jahre nach den Krawallen vom 19. Februar 2011 in Dresden hat die Staatsanwaltschaft überraschend Anklage gegen einen 23-jährigen Demonstranten erhoben. Sie wirft ihm versuchten Totschlag in zwei Fällen vor. Im Rahmen von Anti-Nazi-Protesten soll er Polizisten bei Ausschreitungen mit Leuchtmunition beschossen haben. Es sind die bislang schwersten Vorwürfe nach dem 19. Februar 2011 gegen einen Störer.

 

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart sei Ende 2013 eingegangen und werde nun von der Jugendkammer geprüft, bestätigte der Sprecher des Landgerichts Stuttgart Recherchen der Sächsischen Zeitung. Wird das Verfahren eröffnet, sei noch dieses Jahr mit einem Prozess zu rechnen. Neben zweifachem versuchtem Totschlag wird dem Beschuldigten auch schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

 

Der Dresdner Staatsanwaltschaft war von einer Anklage wegen versuchten Totschlags zunächst nichts bekannt. Weil der Beschuldigte aus Stuttgart stamme, gaben die Dresdner Ermittler das Verfahren an die Kollegen in Baden-Württemberg ab, sagte Behördensprecher Lorenz Haase. So wie in den anderen etwa 70 Jugendstrafverfahren vom 19. Februar 2011. Nach Angaben Haases ist der Beschuldigte mit Pyrotechnik und Steinwürfen aufgefallen. Der ermittelnde Staatsanwalt in Stuttgart hat die Vorwürfe geprüft und offenbar anders gewertet als die Kripo-Sonderkommission „Soko 19/2“ oder die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft in Dresden.

 

Nach SZ-Informationen soll der 23-Jährige an zwei Brennpunkten in der Dresdner Südvorstadt nahe dem Hauptbahnhof Signalmunition gezielt auf Uniformierte abgefeuert haben – ganz in der Nähe der Kreuzung, an der Hunderte Demonstranten eine Sitzblockade errichteten, um einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern. Der Beschuldigte ist der linksautonomen Szene zuzurechnen und soll bereits wiederholt Polizisten angegriffen haben.

 

Bei den Demonstrationen rund um den Jahrestag der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 kam es 2011 zu den bislang schwersten Ausschreitungen. Mehr als 100 Beamte wurden bei Auseinandersetzungen mit Demonstranten aus dem links- und rechtsextremen Lager verletzt. Weit über 10.000 Gegendemonstranten hatten den bis dahin größten Nazi-Aufmarsch Europas verhindert.

 

Bis heute gibt es Anklagen gegen friedliche Blockierer und gewalttätige Demonstranten. Das größte Aufsehen verursachte der Prozess gegen Jenas Jugendpfarrer Lothar König wegen schweren Landfriedensbruchs. Er platzte Mitte 2013 und soll 2014 am Amtsgericht Dresden neu beginnen.