Hat der Thüringer LKA-Chef Jakstat die Fahndung nach dem NSU-Trio behindert? Vor dem Ausschuss berichtet ein Polizist von einem Anruf – und wirft Kollegen Vergessen vor.
Eigentlich, sagt Marko G., habe auch er sich ja nicht erinnern wollen. Vor wenigen Tagen hatte er gegenüber dem Thüringer Innenministerium eine dienstliche Erklärung abgegeben. Die hat den Stellenwert einer eidesstattlichen Versicherung. Und im Kern hatte er dort festgehalten, er könne mangels Erinnerung kaum etwas zur Frage beitragen, ob der heutige Präsident des Thüringer Landeskriminalamtes, Werner Jakstat, 2003 die Fahndung nach dem Terrortrio NSU hintertrieben habe. "Ich war mir sehr sicher, ich werde wie viele andere sagen: Ich weiß nichts mehr", sagte er. Nach einigen Diskussionen mit aktuellen Kollegen habe er es sich dann aber anders überlegt. "Deshalb habe ich mich dann relativ frisch entschieden, mich doch zu erinnern."
Die Erinnerungen G.s an ein Telefonat mit Jakstat im Juni 2003 bringen Letzteren nun weiter in Bedrängnis. Denn was G. am Donnerstag in Erfurt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages aussagte, bestätigt in weiten Teilen einen Bericht des ARD-Magazins Report Mainz vom Dezember. Darin war der Vorwurf laut geworden, Jakstat habe vor etwa zehn Jahren per Telefon angewiesen, einem Zeugenhinweis auf den möglichen Aufenthaltsort des damals schon untergetauchten mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt nicht mit dem Willen zu Ermittlungsergebnissen nachzugehen.
G. sagte, er sei der Mann gewesen, den Jakstat damals in dieser Sache angerufen habe. Der 44-jährige Polizist war damals Dezernatsleiter im LKA, Jakstat bereits in leitender Funktion in der Behörde tätig, als ständiger Vertreter des Präsidenten. Dass Jakstat ihn angerufen habe sei wie ein Anruf "von Gott" gewesen, sagte G. Wegen eines konkreten polizeilichen Falls habe er nur dieses eine Mal mit Jakstat telefoniert.
Ein konkretes Ergebnis der Ermittlungen sei unerwünscht gewesen
Das nicht einmal eine Minute dauernde Gespräch habe im Wesentlichen zwei Teile gehabt, erklärte G. Zunächst habe Jakstat gesagt, G. beziehungsweise Mitarbeiter seines Dezernats sollten "rausfahren" und dem Hinweis auf den Aufenthaltsort Böhnhardts nachgehen. Im zweiten Teil habe Jakstat dann deutlich gemacht, er wünsche nicht, dass diese Ermittlung zu einem konkreten Ergebnis führe. Zwar könne er sich nicht mehr an den genauen Wortlaut dieses zweiten Gesprächsteils erinnern, sagte G. aus. Aber der Unterton sei ganz klar "kriegen Sie da nichts raus" gewesen. "Von der Wirkung her" beschreibe dieser Satz ziemlich genau, wie er Jakstat verstanden habe, sagte G.
Daraufhin, erzählte G. weiter, habe er sofort das Gespräch mit seinen Kollegen gesucht, weil ihm diese Anweisung so eigenartig vorgekommen sei. Mehrere von ihnen – solche, die schon länger in dem Dezernat arbeiteten – hätten sich allerdings deutlich weniger überrascht gezeigt. Es habe ähnliche Fälle schon früher gegeben, hätten sie deutlich gemacht. Dies hätten seine Kollegen damals mit Geschichten begründet, der Verfassungsschutz sei irgendwie in die Fahndung nach Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe involviert gewesen. "Die Rede war von einem Zeugenschutzprogramm, das vielleicht außer Kontrolle geraten sei", sagte G. Weil er das Gespräch mit Kollegen gesucht habe, könnten mehrere Personen bezeugen, dass er sich über den Anruf Jakstats so gewundert habe. "Vielleicht werden sich auch einige andere dazu erinnern, wenn Sie sich daran erinnern wollen."
Diese Hoffnung G.s erfüllte sich während der mehr als zehnstündigen Sitzung des Ausschusses nicht. Von den etwa ein halbes Dutzend weiteren Polizeibeamten, die am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuss aussagten, belastete kein weiterer Jakstat. Zwar wollten mehrere Beamte G. auch nicht in den Rücken fallen. Wenn der sage, ein solches Gespräch mit diesem Inhalt entgegengenommen zu haben, dann müsse man das zur Kenntnis nehmen, hieß es mehrfach. Aber an mehr konnte oder wollte sich kein Polizist erinnern.
Damit steht zu diesem Vorwurf weiterhin Aussage gegen Aussage. Wie schon in der Vergangenheit bestritt Jakstat nämlich auch am Donnerstag bei seiner Vernehmung durch das Gremium vehement, einen solchen Anruf getätigt zu haben. Er könne sich an kein Telefongespräch "erinnern", bei dem er Polizisten aufgefordert habe, einem Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort Böhnhardts nicht nachzugehen, sagte er. Ohnehin es sei "irrsinnig", anzunehmen, er habe eine solche Anweisung erteilt. Auf die Frage, welche Gründe G. haben solle, ihn mit falschen Aussagen zu belasten, antwortet Jakstat: "Er ist definitiv kein Freund meiner Person." Der gewerkschaftlich aktive Beamte habe in der Vergangenheit angekündigt, er werde ihn "hart anzugehen".
G. blieb auch bei seiner Darstellung, als er innerhalb weniger Stunden noch mal vor den Ausschuss musste, und damit konfrontiert wurde, dass Jakstat weiterhin angegebenen hatte, sich an dieses Telefongespräch nicht mehr zu erinnern; ja dessen Existenz überhaupt bestritt.
Thüringer Polizei soll Hinweisen nicht nachgegangen sein
Die Kontroverse um das Telefonat oder Nicht-Telefonat überlagerte indes fast völlig, dass während der Sitzung auch mehrere Hinweise darauf auftauchten, dass die Thüringer Polizei 2003 bei der Fahndung nach dem Trio damals noch vorhandenen Hinweisen nicht konsequent nachging – entgegen anders lautender Beteuerungen ranghoher Polizisten aus den vergangenen Monaten.
Denn offenbar gab es damals eben nicht nur den Hinweis eines Bekannten von Böhnhardt, er habe diesen damals an einer Ampel in Jena gesehen; jener Hinweis, der mutmaßlich der Anlass für das angebliche Telefonat zwischen Jakstat und G. war. Dieser Bekannte Böhnhardts sagte am Donnerstag ebenfalls in Erfurt aus. Dabei erklärte er – dessen Glaubwürdigkeit nicht abschließend zu klären war –, diese Begegnung habe im Sommer 2003 und nicht wie von Report Mainz berichtet ein Jahr zuvor stattgefunden. Er und Böhnhardt hätten sich in Autos sitzend gesehen und gegrüßt. Anschließend seien sie auf einen Platz in der Innenstadt gefahren, um kurz miteinander zu sprechen. Dabei sei Böhnhardt überhaupt nicht hektisch gewesen, habe nicht gestresst gewirkt. Er habe sich nicht verhalten, wie einer, der da "zu den meistgesuchten Menschen Deutschlands" gehört habe.
So tauchte zum Beispiel auch der Hinweis auf, es habe 2003 eine weitere Polizeimaßnahme im Zusammenhang mit der Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gegeben, die nicht in den Akten zu finden ist. Ein Polizist sagte, er könne sich daran so genau erinnern, weil zwei seiner Kollegen dabei kugelsichere Westen angezogen hätten – er dies aber nicht habe tun können, weil er keine dabeigehabt habe.